Seit einigen Wochen erleben wir eine Kampagne konservativer Politikerinnen und Politiker, die das Ziel verfolgt, eine Klarnamenpflicht einzuführen und das Recht auf Anonymität im Netz infrage zu stellen. Gerade erst hat sich Annegret Kramp-Karrenbauer mit einem solchen Vorstoß hervorgetan. An Unwissen oder gar Zufall mag ich mittlerweile nicht mehr glauben. In einem Gastbeitrag, den ich für die Deutsche Richterzeitung (DRiZ) (06|19) verfasst habe, skizziere ich die Gefahren, die von entsprechenden Forderungen ausgehen. Den Beitrag veröffentlichen wir hier mit freundlicher Genehmigung der Richterzeitung. Wie immer gilt: Über Eure Kommentare freue ich mich.

Gegen die Klarnamenpflicht

Seit Jahren wird Technologie von autoritären und totalitären Staaten genutzt, um eine weitreichende Überwachung der eigenen Bevölkerung zu ermöglichen. So wird der Generalverdacht im Digitalen mehr und mehr zum Normalzustand.

Davon, dass auch gefestigte Demokratien nicht davor gefeit sind, der Versuchung zu widerstehen diesen fragwürdigen Vorbildern zu folgen, zeugen in den letzten Tagen kampagnenartig vorgebrachte Forderungen von Manfred Weber, Günter Krings und Wolfgang Schäuble nach einem „Vermummungsverbot im Internet“ sowie das offene Infragestellen verschlüsselter Messenger durch Innenminister Seehofer. Bei ihnen allen handelt es sich um einen Generalangriff auf die Anonymität im Netz. 

Nach einer 2009 beendet geglaubten Diskussion sollte allgemein bekannt sein: Dem im deutschen Telemediengesetz verankerten Recht, Telemedienangebote auch anonym nutzen zu können, kommt eine zentrale Schutzfunktion für die Nutzer zu – selbstverständlich auch in Demokratien. Zahllose Datenskandale der letzten Jahre haben gezeigt: Anonymität schützt nicht nur Oppositionelle in autoritären Staaten. Auch so manches Opfer von Identitätsdiebstahl hätte sich gewünscht, sich mit einem Pseudonym im Netz bewegt zu haben. 

Es ist unbestritten, dass wir mehr gegen klar strafbare Handlungen im Internet unternehmen müssen. Darauf haben wir immer wieder hingewiesen – zuletzt in einem Beitrag in der DRiZ 03/2019. Vorschläge zur notwendigen Weiterentwicklung des schlecht gemachten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes liegen seit langem auf dem Tisch – wurden aber nie umgesetzt.

Wer nun glaubt, er könne die eigenen Versäumnisse bei der Regulierung im Digitalen kaschieren, befindet sich auf einem digitalpolitischen Holzweg. Er zeigt, dass er den Wert des Selbstdatenschutzes, auch vor dem Hintergrund der Verweigerung eigener Schutzhandlungen, noch immer nicht verstanden hat.

Die jetzigen Vorstöße sind das Gegenteil von dem, was die Bundesregierung seit Jahren verspricht, nämlich Anonymität und Verschlüsselungs-Verfahren zu stärken. In der „Digitalen Agenda“ kündigte man an, Deutschland „zum Verschlüsselungsland Nummer eins auf der Welt“ zu machen – und handelte stets gegensätzlich.

Die Äußerungen von Weber, Krings, Schäuble und Seehofer zeigen erneut, die Demokratien westlichen Typs stehen vor digitalpolitischen Grundsatzentscheidungen. Die Beantwortung seit Jahren diskutierter Fragen ist überfällig: Wie hält man es mit Verschlüsselung, dem staatlichen Handel mit Sicherheitslücken und Forderungen nach generellen Hintertüren in Hard- und Software?

JedeR mit der Materie Vertraute weiß: Es gibt längst Möglichkeiten, zielgerichtet auch auf verschlüsselte Kommunikationen zuzugreifen. Von ihnen wird immer wieder Gebrauch gemacht, zahlreiche Verfahren der letzten Monate zeugen davon.

Statt weiterhin den totalitären Ansatz zu erfolgen, in jede Kommunikation, sei sie noch so privat, schauen zu können und die IT-Sicherheit für die Gesamtbevölkerung zu schwächen, müssen wir uns auf eine zielgerichtete Abwehr zweifellos konkreter Gefahren konzentrieren und gute Verschlüsselung zum absoluten Standard machen.

Statt Hintertüren, staatliche Hehlerei mit Sicherheitslücken und im rechtsfreien Raum schwebende Einrichtungen, deren originäre Aufgabe es ist, Kryptografie zu brechen, brauchen wir mehr und bessere Verschlüsselung – und ganz bestimmt nicht weniger.

Dass wir diese Diskussion nach zehn Jahren nun erneut führen, ist bitter und macht die massiven Versäumnisse der Bundesregierung im Bereich der IT-Sicherheit und beim Grundrechtsschutz erneut deutlich.

Dr. Konstantin von Notz, stellv. Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag

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