Die Demokratisierungswelle, die die Länder des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas seit einigen Monaten erfasst hat, hat auch die Debatte um die demokratiefördernde Wirkung des Internets neu befeuert. Im Zuge dieser Debatte sind auch diejenigen, deren Unternehmen die Technik liefern, die dazu beiträgt, Kommunikation via E-Mail, in sozialen Netzwerken und in Blogs zu manipulieren oder gar ganz verstummen zu lassen, in den letzten Monaten wieder verstärkt in den Fokus gerückt – und das ist gut so.

Im Februar hatten wir die Bundesregierung, nachdem Bundeskanzlerin Merkel auf der Münchener Sicherheitskonferenz den demokratischen Mehrwert von Twitter und Co. lobte, die Bundesregierung in einem Artikel im Handelsblatt mit dem Titel „Freiheit des Internets: Wenn deutsche Technik Twitter verstummen lässt“ zur Überprüfung der Exportrichtlinien aufgefordert. Geschehen ist seitdem nichts – obwohl wir die Bundesregierung seitdem immer wieder aufgefordert haben, tätig zu werden und den Druck auf deutsche Unternehmen, die entsprechende Technologien zur Störung von Telekommunikationsdiensten und Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs lieferten, zu geben und zukünftig Sorge dafür zu tragen, dass deutsche Technik nicht dabei hilft, demokratischen Protest zu unterdrücken und universelle Menschenrechte auszuhebeln.

Während das Europäische Parlament den Sacharow-Preises für geistige Freiheit 2011 an eine Gruppe von fünf Aktivisten des Arabischen Frühlings, die ihr Leben im Kampf für Demokratie, Grundrechte und Würde aufs Spiel gesetzt haben, bekannt gegeben hat, wird die Bundesregierung noch immer nicht tätig – ganz  im Gegenteil.

Vor wenigen Tagen berichtete Spiegel Online, dass die Bundesregierung in einem Schreiben an die Europäische Kommission vom 27. Oktober 2011 bezüglich der Überarbeitung der Rüstungsexportrichtlinien vor allem die Interessen der deutschen Wirtschaft betont. Bei dem Schreiben handelt es sich um eine Stellungnahme der Bundesregierung im Rahmen eines so genannten Konsultationsprozesses, zu dem die Europäische Kommission im Zuge einer Vorlage eines so genannten Grünbuchs aufgerufen hat. In dem 21-seitigen Brief des Wirtschaftsministeriums findet das Wort „Menschenrechte“ nicht an einer Stelle Erwähnung.

Wir fordern die Bundesregierung noch einmal mit Nachdruck dazu auf, endlich tätig zu werden und tatsächlich eine dringend angeratene Reform der aus heutiger Sicht überholten Rüstungsexportrichtlinien vorzunehmen und auch „Dual-use-Güter“ und entsprechende Techniken zur Störung von Telekommunikationsdiensten und zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs in die Bestimmungen aufzunehmen. Um den Druck auf die Bundesregierung, hier endlich tätig zu werden, noch einmal zu erhöhen und die Bundesregierung dazu zu bringen, sich endlich mit den deutschen Firmen auseinanderzusetzen, die entsprechende Techniken und Know-How liefern, haben wir eine ausführliche Kleine Anfrage geschrieben, die wir an dieser Stelle dokumentieren. An dieser Stelle möchten wir uns vor allem bei all denjenigen bedanken, die durch ihre Recherchen dazu beigetragen haben, dass heute vielfältige Informationen über Firmen, die entsprechende Techniken lieferten, zur Verfügung steht. Genauso möchten wir uns bei denjenigen bedanken, die überall auf der Welt unter hohem Einsatz und persönlichem Engagement dafür gesorgt haben bzw. sorgen, dass entsprechende Techniken nicht die Wirkung entfalten,  die sie ohne diesen Einsatz für den Schutz und die Wahrung der Menschenrechte entfalten könnten.

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Tom Koenigs, Omid Nouripour, Kerstin Müller (Köln), Ute Koczy, Volker Beck (Köln), Frithjof Schmidt, Agnes Malczak, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Viola von Cramon-Taubadel, Uwe Kekeritz, Memet Kilic, Ingrid Hönlinger, Jerzy Montag, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung bezüglich des Exports von „Dual-use-Gütern“ im Bereich der Technologie zur Störung von Telekommunikationsdiensten sowie Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs durch deutsche Firmen

Angesichts der demokratischen Proteste im Zuge des sogenannten „arabischen Frühlings“ wurde immer wieder berichtet, dass Soziale Netzwerke, Blogs und Microbloggingdienste, über die sich demokratischer Protest organisiert und vernetzt, von staatlicher Seite überwacht und mit dem Ziel manipuliert wurden, Oppositionelle zu verfolgen und demokratischen Protest zu unterbinden. Damit sich oppositionelle Kräfte nicht weiter vernetzen konnten, versuchten die Führungen einzelner Staaten zeitweise gar, die komplette Kommunikationsstruktur ihrer Länder vom Internet abzutrennen, was im Falle Ägyptens auch kurzfristig gelang. Bereits bei den iranischen Protesten im Jahr 2009 war deutlich geworden, wie weit derartige Technik die politische Opposition behindern und ihre Vertreterinnen und Vertreter der Verfolgung aussetzen kann.

Die Demokratisierungswelle, die die Länder des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas vor einigen Monaten erfasst hat, hat auch die Debatte um die demokratiefördernde Wirkung des Internets neu befeuert. Im Zuge dieser Debatte sind auch deutsche Unternehmen, die Technik liefern, die dazu beitragen kann, Kommunikation via Mobilfunk, E-Mail, in sozialen Netzwerken und in Blogs zu manipulieren oder gar ganz verstummen zu lassen, wieder verstärkt in den öffentlichen Fokus gerückt. Hierzu tragen insbesondere Überwachungstechniken bei, die auf der Infrastrukturebene direkt Inhalte von Datenströmen durchsuchen, filtern und manipulieren können. Teilweise wird dies durch Techniken zum „Verkehrsmanagement“ ermöglicht, etwa durch Inspektion der Paket-Kopfdaten der Internet-Kommunikation, bis hin zur sogenannten „Deep-Packet-Inspection“ zur Inhaltsdurchleuchtung und -manipulation.

Bereits am 12. März 2011 dieses Jahres legte die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ anlässlich des „Welttags gegen Internetzensur“ ihren jährlichen Bericht vor, in dem sie die „Feinde des Internets“ auflistet. Kurze Zeit später legte die „OpenNet-Initiative“ ebenfalls einen Bericht vor, in dem Verwicklungen westlicher Firmen bei Zensurbestrebungen autoritärer Systeme aufgezeigt wurden. In ihrer Untersuchung kommen die Autoren der Studie zu folgendem Schluss: „Mindestens neun Staaten im Mittleren Osten und Nordafrika nutzen westliche Filtersysteme, um den Nutzern Zugriff auf Online-Inhalte zu verwehren.”

Ebenso sprach die tageszeitung in einem Artikel vom 1. April 2011 von einem „Exportschlager Zensur“ und listete einige Unternehmen auf, die entsprechende Techniken lieferten. In dem Artikel heißt es unter anderem „Westliche Regierungen haben offenbar kein großes Problem mit dem Zensur-Export.“ Bereits im Juni 2009 berichtet die Süddeutsche Zeitung über unter dem Titel „Überwachung Made in Germany“ über die Verwicklungen deutscher Unternehmen in die Ausfuhr entsprechender Techniken.

Das Europäische Parlament hat am 27. September 2011 Änderungen zu den neuen Regeln für die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem – zivilem und militärischem – Verwendungszweck (so genannte „Dual-use-Güter“) angenommen und sich dafür ausgesprochen, die Exportregeln für Überwachungstechnik, vor allem die Ausfuhr so genannter „Dual-use-Güter“ betreffend, verschärfen zu wollen. Der Export von Hard- und Software zur Telekommunikationsüberwachung soll künftig nicht mehr allgemein genehmigt werden, wenn sie Menschenrechte, demokratische Prinzipien oder die Redefreiheit verletzen könnten, insbesondere wurde ein Verweis auf die problematische Nutzung von Lawful Interception Gateways und Monitoring Centres in die Verordnung mitaufgenommen. Rat und Parlament stimmten darin überein, dass es zukünftig eines sicheren Systems für Mitteilungen bedürfe und auch jene Fälle berücksichtigt werden müssen, in denen Ausfuhrgenehmigungen verweigert wurden. Das Parlament soll regelmäßig über das Funktionieren dieses Informationssystems informiert werden. Darüber hinaus fordern die EU-Parlamentarier jährlich einen Bericht, um die Transparenz der Ausfuhrkontrollregelung zu verbessern.

Auch Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung haben immer wieder die Bedeutung von modernen Kommunikationsmedien für demokratische Veränderungen in unserer Welt betont. Nun berichtet Spiegel Online am 06.11.2011, dass die Bundesregierung in einem Schreiben an die Europäische Kommission vom 27. Oktober 2011 bezüglich der Ausfuhr von „Dual-use-Gütern“ vor allem die Interessen der deutschen Wirtschaft betont. So wird eine Stelle eines Konsultationsbeitrags der deutschen Bundesregierung an die Europäische Kommission zitiert, in der die Bundesregierung darum bittet, dass zukünftig sowohl „außen- und sicherheitspolitische Interessen“ als auch „die Interessen der Wirtschaft“ demnach „ausgewogen Berücksichtigung finden“ sollen. In dem 21-seitigen Schreiben werden die „Menschenrechte“ nicht ein einziges Mal erwähnt, obwohl Bundeskanzlerin Merkel und andere Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung öffentlich immer wieder die jüngsten Demokratiebestrebungen gelobt und den „wertegeleiteten“ Charakter der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik betont haben.

In ihrer Stellungnahme zum Grünbuch der Europäischen Kommission zum EU-Ausfuhrkontrollsystem von „Dual-use-Gütern“ vom 27. Oktober 2011 legt die Bundesregierung einen einseitigen Schwerpunkt auf Wirtschaftsinteressen. Die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands scheinen der Bundesregierung wichtiger zu sein als menschenrechtliche Bedenken. So ist in der Stellungnahme die Rede davon, dass Bemühungen, die Proliferation zu begrenzen, den legalen Handel nicht unangemessen erschweren oder verhindern sollen

Wir fragen daher die Bundesregierung:

  1. Inwiefern fallen nach Ansicht der Bundesregierung die sogenannten „Dual-use-Güter“ unter die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000?
  2. Inwiefern hält die Bundesregierung den Umstand, dass die Ausfuhr von Technologie zur Störung von Telekommunikationsdiensten sowie Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs bislang nicht von Anhang I der VO (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (EG-Dual-use-VO) erfasst war, angesichts der Erfahrungen der letzten Monate noch für zeitgemäß oder wird sich die Bundesregierung für eine grundlegende Reform der entsprechenden Bestimmungen mit dem Ziel, diese Technologie ebenfalls mit aufzunehmen, auch auf europäischer Ebene, einsetzen?
  3. Wie begründet die Bundesregierung ihre in der Stellungnahme an die Europäische Kommission vom 27. Oktober 2011 zum Ausdruck gekommene Haltung, dass auch eine gewaltsame Unterdrückung von legitimen Demokratiebewegungen in Regionen zu Gunsten von Wirtschaftsinteressen hingenommen werden kann?
  4. Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass deutschen Firmen der Export rüstungsrelevanter Güter mit doppeltem Verwendungszweck, sogenannter „Dual-use-Güter“ erleichtert werden soll?
  5. In welchen Gremien und auf welche Weise setzt sich die Bundesregierung derzeit dafür ein, deutschen Firmen den Export sogenannter „Dual-use-Güter“ zu erleichtern?
  6. Unterstützt die Bundesregierung in irgendeiner Form, zum Beispiel durch die Gewährung von Hermes-Bürgschaften, den Export derartiger Überwachungstechnologien?
  7. Welche Länder subsummiert die Bundesregierung unter dem Begriff „Gestaltungsmächte“, zählen dazu auch Länder wie das autokratisch geführte Saudi-Arabien und nach welchen Kriterien ordnet die Bundesregierung diese Länder zur Kategorie „Gestaltungsmächte“?
  8. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung im Hinblick auf den Export der genannten Überwachungstechnologien etwa auch an Saudi-Arabien, obgleich es sich bei Saudi-Arabien grundsätzlich nicht um einen rechtsstaatlichen und demokratischen Staat handelt und seine Einflussnahme auf die Länder des arabischen Frühlings als äußerst kritisch angesehen werden muss?
  9. Wie verhält sich der Inhalt der Stellungnahme der Bundesregierung vom 27. Oktober 2011 zu den Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch die demokratiefördernde Wirkung von Microbloggingdiensten lobte und wörtlich sagte, dass es auch der Verdienst der Bundesregierung sei, “dass man Facebook und Twitter überall auf der Welt hat, dass es zunehmend schwer wird, das zu sperren, ob es in China ist, in Ägypten, in Tunesien oder sonstwo auf der Welt“?
  10. Inwiefern hält die die Bundesregierung den Inhalt ihrer Stellungnahme vom 27. Oktober 2011 und die Formulierungen des schwarz-gelben Koalitionsvertrages für vereinbar, in denen das Internet als „das freiheitlichste Informations- und Kommunikationsforum der Welt“ bezeichnet wird und es weiter heißt, dass „die Gedanken- und Meinungsfreiheit zu den unveräußerlichen Prinzipien der schwarz-gelben Menschenrechtspolitik“ gehöre?
  11. Inwieweit teilt die Bundesregierung noch immer die Auffassung der Fragesteller, dass es zum Selbstverständnis einer jeden Demokratie gehören sollte, die Freiheit des Internets zu fördern, statt sie zu beschneiden und jedes repressive Vorgehen gegen die freie Meinungsäußerung und demokratischen Protest – auch im Internet – zu verurteilen und letztlich auch zu ahnden ist?
  12. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass eine Zensur und eine anlass- und verdachtsunabhängige Überwachung von Internet und Mobilfunk und eine damit einhergehende Verhinderung demokratischen Protestes nicht mit Artikel 18, Artikel 19 und Artikel 20 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den darin verankerten Prinzipien der Presse- und Meinungsfreiheit zu vereinbaren ist, insbesondere in Hinblick auf den Koalitionsvertrag vom 26.10.2009, laut dem „Gedanken- und Meinungsfreiheit […] unveräußerliche Prinzipien“ der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung sind?
  13. Inwieweit ergibt sich nach Auffassung der Bundesregierung aus den Artikeln 11 und 12 der Grundrechtecharte der EU, in denen die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit garantiert wird, die normative und politische Pflicht, diese Freiheiten nicht nur innerhalb der EU, sondern auch im staatlichen Handeln in den auswärtigen Beziehungen anzuwenden, und inwieweit leitet sich aus diesen Artikeln eine Verpflichtung ab, solche Akteure weder direkt noch indirekt zu unterstützen, die die in den genannten Artikeln verankerten Prinzipien und Werte verletzen?
  14. Teilt die Bundesregierung noch immer die Auffassung der Fragesteller, dass die internationale Staatengemeinschaft in der Verantwortung steht, Sanktionsmechanismen zu erarbeiten, die eine derartige Zensur des Internets und eine Verhinderung demokratischen Protestes ächten?
  15. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Konferenz der Präsidenten des Europäischen Parlaments am 27. Oktober 2011 bekanntgegeben hat, den mit 50 000 € dotierten Sacharow-Preis für geistige Freiheit, einen „Preis für die Verteidigung der Menschenrechte“, fünf Bloggern zu verleihen, die im Zuge des „Arabischen Frühlings“ aus ihren Ländern berichtet hatten, und welche Auswirkungen auf die Positionierung der Bundesregierung hat dies?
  16. Ist der Bundesregierung bekannt, dass US-Außenministerin Clinton in ihrer am 15. Februar 2011 gehaltenen Grundsatzrede zur Internet-Freiheit von einer „globalen Verpflichtung“ zum Schutz der Internetfreiheit gesprochen und an die internationale Staatengemeinschaft appelliert hat, diese zu schützen? Wenn ja, wie kommt die Bundesregierung dieser Aufforderung nach?
  17. Plant die Bundesregierung, vergleichbare Initiativen zur Netzfreiheit, wie die der US-Außenministerin Hillary Clinton zu starten, die zur Unterstützung von Menschenrechtsbewegungen ein Förderprogramm gegen Repression und Zensur aufgelegt hat, das für die Nutzung verschlüsselter Kommunikationstechnologien und den Aufbau eigener Netze erhebliche finanzielle Mittel vorsieht (New York Times vom 12. Juni 2011)? Wenn ja, wie sollen diese Programme genau ausgestaltet sein? Wenn nein, warum nicht?
  18. Findet im Auswärtigen Amt ein kontinuierliches Monitoring der Nutzung von Zensurinfrastruktur gegen Demokratisierungs- und Menschenrechtsbewegungen statt? Wenn ja, wie wirken sich die auf diesem Weg gewonnenen Erkenntnisse auf den Export der genannten „Dual-use-Gütern“ aus? Wenn nein: Innerhalb welchen Zeitrahmens wird die Bundesregierung ein solches Programm aufsetzen?
  19. Warum hält die Bundesregierung es angesichts der jüngsten Erfahrungen nicht für notwendig zu prüfen, inwieweit die deutschen Exportrichtlinien für derartige Techniken zu überarbeiten und angesichts der dramatischen politischen und raschen technologischen Entwicklung einer grundlegenden Überarbeitung zu unterziehen sind?
  20. Inwiefern hält sich die Bundesregierung an die Regelungen des am 23.11.2001 verabschiedeten Übereinkommens über Computerkriminalität des Europarats, insbesondere hinsichtlich des Missbrauchs von Vorrichtungen, die es ausländischen Regierungen erlauben, Straftaten gegen die Vertraulichkeit, Unversehrtheit und Verfügbarkeit von Computerdaten und -systemen zu begehen (Titel 1, Artikel 2-6)?
  21. Ist es zutreffend, dass im Namen des damaligen Wirtschaftsministers Rainer Brüderle (FDP) im März 2011 das Bundeswirtschaftsministerium vor einer Plenarabstimmung intervenierte, um das Abstimmungsverhalten der deutschen Abgeordneten im Europaparlament dahingehend zu beeinflussen, dass sie einer Verschärfung der Ausfuhrbestimmung bei „Dual-use-Gütern“ – insbesondere mit Blick auf die vom Auswärtigen Ausschuss und dem Ausschuss für den Internationalen Handel geforderte Einführung von strengen Vorabkontrollen –   nicht zustimmten (Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. September 2011 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1334/2000 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck (KOM(2008)0854 – C7-0062/2010 – 2008/0249(COD)) und ist dies die Haltung der Bundesregierung?
  22. Hält die Bundesregierung an den für sie laut ihrer Antwort auf eine parlamentarische Frage vom 1. April 2011 nach wie vor Gültigkeit besitzenden „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000 und dem „Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“ als Kriterium für die Ausfuhr entsprechender Güter fest oder teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass es – auch angesichts des massiven technologischen Fortschritts der vergangenen Jahre und den Erfahrungen der letzten Monate – dringend notwendig ist, die entsprechenden Regelungen grundlegend zu überarbeiten?
  23. Hält die Bundesregierung angesichts der jüngsten Exporte und ihrer Stellungnahme an die Europäische Kommission vom 27. Oktober 2011 an ihrer am 1. April 2011 im Rahmen der Beantwortung einer parlamentarischen Frage getätigten Aussage fest, dass sie gegenüber Drittstaaten „grundsätzlich eine restriktive Rüstungspolitik“ verfolge?
  24. Inwieweit haben die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000, in denen bestimmt ist, dass Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern bei einem hinreichenden Verdacht des Missbrauchs zur inneren Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen grundsätzlich nicht erteilt werden, die nach Aussagen der Bundesregierung auch für die Genehmigungserteilung bei „Dual-use-Gütern“ gelten, vor dem Hintergrund der jüngsten Bemühungen der Bundesregierung, entsprechende Regelungen für den Bereich der „Dual-use-Güter“ zu lockern, noch Bestand?
  25. Auf welchen Wegen und in welchen Gremien wird sich die Bundesregierung zukünftig dafür einsetzen, dass Verletzungen gegen die in den universellen Menschenrechten verankerten Prinzipien der Presse- und Meinungsfreiheit geahndet werden?
  26. Wäre es nach Ansicht der Bundesregierung nicht dringend angeraten, die einschlägigen EU-Sanktionsverordnungen, nach denen Güter, die der Repression dienen könnten, nicht in bestimmte Länder ausgeführt werden dürfen, um Technologie zur Störung von Telekommunikationsdiensten sowie Techniken zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs, welche bislang in den Anhängen dieser Verordnungen, in denen die zur internen Repression verwendbaren Ausrüstungen aufgezählt werden, nicht aufgeführt sind, aufzunehmen und wird sich die Bundesregierung für die Aufnahme einsetzen?
  27. Welche Schlussfolgerung für die Regelung des Exports von Telekommunikationstechnologie hat die Bundesregierung aus dem Eingeständnis der Firma Siemens (vgl. Süddeutsche Zeitung v. 23. 06. 09 „Überwachung Made in Germany“) gezogen, dass ihre Überwachungstechnik von der iranischen Regierung zur Unterdrückung der Opposition eingesetzt wurde und der Export derartiger Technik geläufige Praxis sei, gezogen?
  28. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienst (BND) mit den Lieferanten von Abhörtechnik an totalitäre Staaten (siehe in Frage 27 zitierter Artikel) zu beenden?
  29. Welcher Erkenntnisse hat die Bundesregierung, auch vor dem Hintergrund der Antworten der Bundesregierung auf eine parlamentarische Frage vom 1. April 2011, über deutsche Firmen, die an der Überwachung und Unterdrückung demokratischer Proteste im Zuge des „arabischen Frühlings“ beteiligt waren?
  30. Wie gedenkt die Bundesregierung zukünftig sicherzustellen, dass keine deutschen Firmen und Bundesbehörden an Verstößen gegen die in den universellen Menschenrechten verankerten Prinzipien der Presse- und Meinungsfreiheit beteiligt sind?
  31. Ist der Bundesregierung der am 12. März 2011 von „Reporter ohne Grenzen“ anlässlich des „Welttags gegen Internetzensur“ vorgelegte jährliche Bericht bekannt, in dem diejenigen Staaten, die im vergangenen Jahr Verstöße gegen in den universellen Menschenrechten verankerten Prinzipien der Presse- und Meinungsfreiheit, als „Feinde des Internets“ aufgelistet werden? Wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie aus diesem Bericht?
  32. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Fragesteller, dass, sollte der Eindruck entstehen, sie würde nicht engagiert gegen derartige Verletzungen der in den universellen Menschenrechten verankerten Prinzipien der Presse- und Meinungsfreiheit vorgehen, die Gefahr besteht, dass die Bundesrepublik selbst in diese Liste aufgenommen werden könnte?
  33. Ist der Bundesregierung der ebenfalls im März 2011 von der OpenNet-Initiative herausgegebene Bericht bekannt, in dem die Verfasser Verwicklungen westlicher Firmen bei derartigen Zensurbestrebungen autoritärer und totalitärer Systeme aufgezeigt haben? Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesem Bericht?
  34. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass die Firma DigiTask GmbH entsprechende technische Lösungen in autoritäre und totalitäre Staaten exportiert hat? Wenn ja, welche und hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Ausfuhr derartiger Technik durch die Firma DigiTask GmbH an autoritäre oder totalitäre Staaten zu unterbinden?
  35. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Zusammenarbeit der Münchner Firma Trovicor vor, die entsprechende Technik (u.a. ein sogenanntes Communication Monitoring System, mit dem man Telefon- und VoIP-Anrufe, Emails und SMS abhören, Textinhalte verändern, Stimmen und Worte automatisiert erkennen sowie Laptop-Webcams und Mobiltelefon-Mikrophone aktivieren kann) nach heutigem Kenntnisstand in mindestens 12 Länder im mittleren Osten und Nordafrika verkauft hat, unter anderem an Ägypten, Syrien, Yemen und Bahrain, und hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Ausfuhr derartiger Technik durch die Firma Trovicor an autoritäre oder totalitäre Staaten zu unterbinden? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?
  36. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Zusammenarbeit des deutschen Unternehmens Utimaco AG vor, das offenbar Überwachungstechnologie über Italien nach Syrien geliefert hat, welche eine Real-Time-Überwachung der Kommunikation und ein graphisches Mapping der Netzwerke erlaubt und laut eines Fachmanns “maßgeschneidert für Repression” sei, und hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Ausfuhr derartiger Technik durch die Firma Utimaco an autoritäre oder totalitäre Staaten zu unterbinden? Wenn ja, welche?
  37. Haben auch deutsche Regierungsvertreter an der am 21. Februar 2011 in Dubai stattgefundenen „ISS-World Middle East and Africa“-Konferenz teilgenommen, bei der Repräsentanten auch deutscher Firmen mit hochrangigen Vertreterinnen und Vertreter von Polizei- und Geheimdienstkräften aus Nordafrika und Nahost zusammenkamen, um sich über neueste Entwicklungen derartiger Überwachungstechniken auszutauschen?
  38. Ist der Bundesregierung bekannt, dass im Rahmen der Konferenz auch die auf die sogenannte „Deep Packet Inspection“, einer Methode, die auf das Filtern und Kategorisieren des gesamten Netzwerkverkehrs abzielt und in Kombination mit einer nationalen Firewall, wie sie etwa im Iran oder in China eingesetzt wird, die Kontrolle über die gesamte Kommunikation eines landesweiten Netzwerks ermöglicht, spezialisierte Leipziger Firma Ipoque teilgenommen und laut Konferenzprogramm ein „Trainingsseminar“ zum Thema effiziente „Überwachung des Internetverkehrs“ abgehalten hat? Wenn ja, hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Ausfuhr derartiger Technik durch die Firma Ipoque an autoritäre oder totalitäre Staaten zu unterbinden?
  39. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die deutsche Firma Trovicor im Rahmen der Konferenz öffentlich eine „Geheimdienstlösung für Strafverfolger“ präsentierte, ein sogenanntes „State of the Art Monitoring Center“, das es ermöglicht, den „aktuellen Herausforderungen in der Überwachung“ gerecht zu werden? Wenn ja, hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Ausfuhr derartiger Technik durch die Firma Trovicor an autoritäre oder totalitäre Staaten zu unterbinden?
  40. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die deutsche Firma Utimaco, deren Firmenmotto „Making the world a safer place“ lautet und die 1993 aus dem Siemens-Konzern ausgelagert wurde und mittlerweile zur Sophos-Gruppe gehört, im Rahmen der Konferenz ihr „Lawful Interception Management System“ sowie ein technisches Upgrade herkömmlicher Überwachungsmethoden von Telefonienetzen mittels „Deep Packet Inspection“ präsentierte? Wenn ja, hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Ausfuhr derartiger Technik durch die Firma Utimaco an autoritäre oder totalitäre Staaten zu unterbinden?
  41. Ist der Bundesregierung bekannt, dass das Bad Homburger Unternehmen ATIS Uher im Rahmen der Konferenz mit Hilfe einer PowerPoint-Präsentation demonstrierte, wie man Überwachungsprobleme bei Web-2.0-Anwendungen löst und in diesem Zusammenhang seine sogenannte „Klarios-Überwachungssuite“ vorstellte, welche WWW-Sessions vollständig überwachen und hierbei explizit Geodaten einbeziehen kann, wodurch Überwacher durch eine Kombination von GPS-Daten mit Geodaten aus dem Mobilfunksystem in die Lage versetzt werden, sowohl ein „genaues Tracking“ zur Überwachung von Einzelpersonen vorzunehmen, als auch ein „bad guy gathering“, also eine Versammlung potentieller Gefährder, zu erkennen und sogar sogenannte „Hotzone in/out alerts“ erstellen zu lasen? Wenn ja, hat die Bundesregierung bereits Versuche unternommen, die Ausfuhr derartiger Technik durch die Firma ATIS Uher an autoritäre oder totalitäre Staaten zu unterbinden?

Berlin, den 15. November 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

 

Weiterführende Infos:

Tags

Comments are closed

Archive