Die Kritik an Plänen der EU-Kommission für Fluggastdatenspeicherung reißt nicht ab. Nun hat auch der juristische Dienst des Rates der EU-Mitgliedsstaaten in einem Gutachten die Ansicht vertreten, dass die Pläne der EU zur Sammlung und Speicherung von Fluggastdaten (Passenger Name Record, kurz: PNR) verfassungswidrig sind.

Auf das seit Anfang April vorliegende Gutachten machte gestern die Financial Times Deutschland aufmerksam. In dem Gutachten, das der Zeitung vorliegt, heißt es, die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Richtlinie schränke das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten in einem Maße ein, dass zu befürchten steht, dass die entsprechende Richtlinie vor Gericht anfechtbar sei. Weiter machen die Verfasser des Gutachtens darauf aufmerksam, dass eine in der Richtlinie vorgesehene Daten-Vorabverarbeitung angesichts der einschlägigen Rechtsprechung „äußerst problematisch“ sei. Deutliche Worte von Seiten der EU-Juristen und ein herber Rückschlag für die Europäische Kommission.

Darauf, dass wir Grünen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, aber auch der EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ganz erhebliche Zweifel an der Möglichkeit einer verfassungskonformen Umsetzung einer solchen Richtlinie in deutsches Recht und an der Vereinbarkeit des Richtlinienvorschlag mit den geltenden EU-Grundrechten haben, haben wir die Bundesregierung frühzeitig aufmerksam gemacht und uns klar gegen die Pläne der Kommission ausgesprochen.

Die Bundesregierung hat es jedoch verpasst, beim EU-Rat Justiz und Inneres am 11. April 2011 die massiven Bedenken gegen den Richtlinienvorschlag geltend zu machen. Interessant ist natürlich die Frage, ob die Bundesregierung das nun bekannt gewordene Gutachten bereits am 11. April kannte? So oder so ist das Vorgehen der Bundesregierung jedoch auch vor dem Hintergrund der jüngsten Verfassungsrechtsprechung, der vorausgegangenen deutlichen Kritik, die im Bundestag und Bundesrat, aber auch auf der 81. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder  in einer Entschließung geäußert wurde, vollkommen unverständlich.

In der Entschließung der Datenschützer aus Bund und Ländern heißt es u.a.:

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in seinem Urteil vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08) zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten gemahnt hat: Zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik gehört es, dass die Freiheitswahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf. Hierfür hat sich die Bundesrepublik auch auf europäischer und internationaler Ebene  einzusetzen”.

Doch obwohl zahlreiche Experten darauf hingewiesen haben, dass die geplante Speicherung und Verwendung der Fluggastdaten zentralen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts widerspricht und es erhebliche Konsequenzen für den deutschen und europäischen Grundrechtsschutz hätte, sollte die Vorschläge der Kommission tatsächlich bindendes EU-Recht werden, tut die Bundesregierung genau das nicht.

Die ausbleibende Kritik der Bundesregierung haben wir scharf kritisiert. Zuletzt im Plenum anlässlich der Rede des  von uns vorgelegten Antrags  “Keine Vorratsspeicherung von Fluggastdaten”, über den wir hier ausführlich gebloggt haben.

Wir Grünen im Bundestag werden uns auch weiterhin in enger Abstimmung mit Jan Philipp Albrecht, der das Thema im Europaparlament betreut, dafür einsetzen, dass die Bundesregierung ihre Position in Sachen PNR am deutschen Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausrichtet und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt wird.

Hintergrund:
Im Februar 2011 hat die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf über die Verwendung von Fluggastdaten zur präventiven und repressiven Verbrechensbekämpfung vorgelegt. Die geplante Richtlinie soll die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, 19 Datenkategorien von Fluggästen anlasslos bei einer staatlichen Zentralstelle zu speichern und auch zur Rasterung und Profilbildung zu nutzen. Eine konkrete Begründung dafür, dass diese Maßnahme für die Bekämpfung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität geeignet und erforderlich ist, fehlt im Richtlinienvorschlag der Kommission, ein milderes Mittel wurde nicht geprüft.

Update vom 25.05. 17:45

Mittlerweile liegt uns das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rats vor.

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