Am Mittwoch stellte die Bundesregierung ihren Entwurf einer „Digitalen Agenda“ vor. Gemeinsam mit meiner Kollegin Tabea Roessner habe ich den Inhalt der Agenda und das Vorgehen der Bundesregierung kritisiert. In einem aktuellen Beitrag für die Zeitschrift „Promedia“ habe ich mich noch einmal etwas ausführlicher mit der Vorlage der Großen Koalition beschäftigt. Der Artikel erscheint in der Promedia-Ausgabe Nr. 9/2014, ist aber bereits vorab auf medienpolitik.net veröffentlicht wurden, so dass wir auch hier auf den Artikel aufmerksam machen. Hier der Originalbeitrag auf den Seiten von medienpolitik.net. Wie immer gilt: Über Rückmeldung freue ich mich.
Schlaftrunken aus dem Dornröschenschlaf
Selten lagen Erwartungen und Ergebnisse weiter auseinander: Die „Digitale Agenda“ sollte der große Programmentwurf der Bundesregierung zur Netzpolitik werden, herausgekommen ist ein Sammelsurium bekannter Ankündigungsrhetorik bar jeder Vision. Diese „Agenda“ wird der Bedeutung netzpolitischer Fragestellungen in der digitalen Gesellschaft absolut nicht gerecht. Die ersten Einschätzungen zur „Digitalen Agenda“ lesen sich wie schwer enttäuschte Offenbarungen: Es liege „viel brach“ und die „Digitale Agenda“ sei „nett gemeint, aber zu kurz gedacht“, wobei die Bundesregierung „desorientiert“ und „orientierungslos durchs ‚Neuland‘ taumelt“, „nicht auf der Höhe“ sei und im „netzpolitischen Konzeptstau“ stecke. Koalitionspolitiker zeigten sich besorgt und schrieben mehrseitige Briefe an die eigene Regierung. Schon heute ist klar: Diese „Agenda“ wird niemandem helfen. Selbst angesichts der eigenen netzpolitischen Konzeptlosigkeit fehlt der Bundesregierung der Mut, auf diese wichtige Vorarbeit des Parlaments zurückzugreifen.
Altbekanntes ohne jede politische Vision
Dieser Entwurf hat den Namen „Agenda” nicht verdient. Er ist kaum mehr als ein Sammelsurium längst bekannter Positionen, die teilweise sogar hinter den Vereinbarungen des schwarz-roten Koalitionsvertrags zurückbleiben. Statt den Herausforderungen der digitalen Gesellschaft zu begegnen und den digitalen Wandel aktiv im Sinne der Nutzer, der Kreativen und der Wirtschaft anzugehen, versteckt man sich hinter allgemeinen Plattitüden oder verweist auf die Europäische Ebene. Eine Vision, wohin die netzpolitische Reise gehen soll, hat die Große Koalition noch immer nicht. Die „Digitale Agenda“ ist ein Potemkisches Dorf, das mit Monstranz im Vorfeld des nächsten IT-Gipfels errichtet wird. Sie soll offenbar nur der Beruhigung derjenigen dienen, die von der Bundesregierung – zu Recht – endlich Antworten auf drängende netzpolitische Fragestellungen erwarten. Dieses Ziel verfehlt der vorgelegte Entwurf fulminant.
Rückschritt hinter längst erarbeiteter netzpolitischer Positionen
Netzpolitisch waren wir schon einmal sehr viel weiter. Die Enquete-Komission “Internet und digitale Gesellschaft” des Bundestages hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit allen netzpolitischen Fragestellungen befasst. Sie hat nicht nur eine 2000 Seiten umfassende Bestandsaufnahme, sondern auch mehrere hundert Handlungsempfehlungen für den Gesetzgeber vorgelegt. Diese wurden am Ende der vergangenen Legislaturperiode mit den Stimmen aller Fraktionen im Bundestag verabschiedet. Sie hätten als Grundlage für eine “Digitale Agenda” dienen müssen. Statt auf diese wichtige Vorarbeit aufzubauen, legt die Bundesregierung nun einen eigenen, ca. 40-seitigen Entwurf vor, der substanzloser kaum sein könnte. Der Kardinalsfehler der Bundesregierung im Bereich der Netzpolitik wird sichtbar: Es wurde, trotz eindeutiger Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission, bis heute verpasst, netzpolitische Kompetenzen zu bündeln und angemessen zu koordinieren.
Zentrale netzpoltische Aspekte werden nicht berücksichtigt
Stattdessen bemühen sich „drei federführenden Minister“ (sic!) vergeblich um eine einheitliche Linie. Sie geben sich weit mehr als ein Jahr nach dem Start der Regierungsarbeit die Hausaufgabe auf, ihre Staatssekretäre nun in gewissen Abständen an einen Tisch zu setzen. Diese mangelnde Koordinierung macht sich auch inhaltlich schmerzhaft bemerkbar. Offenbar erst in der letzten Runde fiel der Regierung auf, dass eine „Digitale Agenda“ ohne den zentralen Aspekt des digitalen Daten- und Verbraucherschutz, der mal Schwerpunkt dieser Legislaturperiode werden sollte, kaum ernst zu nehmen ist. So durfte das zuständige Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz, das bis heute kein ordentliches Mitglied des Steuerungskreises ist, lediglich ein paar Mal die Worte „Verbraucherschutz“ und „Urheberrecht“ in das halbfertige Vertragswerk einflechten, ohne dass diese netzpolitischen Großbereiche substantiell mitgedacht wurden.
Viele Ankündigungen, oftmals völlig ungeklärte Finanzierung
Die zahlreichen inhaltlichen Unausgegorenheiten der Agenda aufzulisten, würde den Umfang der Agenda selbst sprengen. Daher nur ein exemplarisches Beispiel: Deutschland hinkt im Breitbandausbau im internationalen Vergleich weit hinterher. Soweit so schlecht. Nachdem im Koalitionsvertrag die zwischenzeitlich eingestellte, jährliche Milliarde an zusätzlichen Mitteln wieder gestrichen wurde, verfügt der selbsternannte Minister für Modernität, Alexander Dobrindt, über keinerlei substanziellen finanziellen Mittel. Sämtliche seiner Ankündigungen bauen daher auf einen Taschenspielertrick auf: Die Regierung kalkuliert mit Einnahmen von Funkfrequenzvergaben, von denen unklar ist, a) wann sie kommen und b) ob sie die anvisierten Einnahmen generieren. Klar ist nur, dass etwaige Einnahmen aller Voraussicht nach erst nach 2018 zur Verfügung stehen werden, den Bundesländern die Hälfte davon zusteht und eine Zweckbindung nur schwer durchzusetzen sein dürfte.
Keinerlei kritische Selbstreflexion
Zur Vorlage einer Agenda gehört zweifellos, das eigene Agieren der letzten Jahre selbstkritisch zu hinterfragen und Versäumnisse und Fehlentwicklungen zu analysieren. Das verpasst die schwarz-rote Bundesregierung jedoch. Ein Jahr nach den Enthüllungen durch Edward Snwoden reflektiert sie nicht mal ansatzweise ihre eigene Untätigkeit. Noch immer hält sie an verfassungsrechtlich hoch umstrittenen Überwachungsmaßnahmen wie der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung oder der Überwachung und Infiltrierung von Computer mit Hilfe sogenannter „Staatstrojaner“ fest. Die Rolle der Geheimdienste, die nach heutigem Kenntnisstand einen erheblichen Anteil an der Kompromittierung digitaler Infrastrukturen haben, wird ebenfalls nicht hinterfragt. Noch immer kann sich die Bundesregierung nicht dazu durchringen, konsequent für die Rechte und den Schutz der Bürgerinnen und Bürger einzustehen. Im Gegenteil: Die Befugnisse der Dienste sollen, statt auf den Prüfstand gestellt, in den nächsten Monaten weiter ausgebaut werden.
Beteiligung an der Agenda? Erneut verschoben!
Von der durch die Bundesregierung in den letzten Monaten vielbeschworenen Einbeziehung der Zivilgesellschaft und anderer Multistakeholder war bei der Erarbeitung der „Digitalen Agenda“ nichts mehr zu hören. Entwürfe der „Digitalen Agenda“ erreichten Interessierte erneut nur über die Medien. Eine tatsächliche Diskussion über die Inhalte des Papiers wurde erst durch Leaks möglich. Auch das Parlament erhielt den Entwurf einer “Digitalen Agenda” trotz mehrfacher Nachfragen ebenfalls erst auf diesem Weg. Statt die Versprechungen einer tatsächlichen Mitarbeit einzulösen, kritisierte der Bundesinnenminister die Leaks und die „Gier der sogenannten Internetgemeinde“ und stellt die Agenda – wohlgemerkt nach der Verabschiedung durch das Bundeskabinett – online zur Diskussion. Das zeigt wiederrum: Die Bundesregierung hat auch die Vorteile einer partizipativen, modernen digitalen Gesellschaftspolitik bis heute nicht verstanden.
Weitere parlamentarische Beratung der Agenda
Erneut kommt dem Parlament in den nächsten Monaten die Aufgabe zu, der substanzlosen Vorlage der Bundesregierung im weiteren parlamentarischen Verfahren anzudicken. Daher ist es richtig, dass der gleichnamige Internet-Ausschuss des Bundestages das Thema in einer Sondersitzung aufgreifen wird. Als grüne Bundestagsfraktion werden wir Kleine Anfrage zu verschiedenen Aspekten der „Digitalen Agenda“ an die Bundesregierung richten, um herauszufinden, wie sie die in der Agenda angerissenen Themen konkret politisch umsetzen will. Darüber hinaus behalten wir uns vor, eigene Vorschläge für eine tatsächliche „Digitalen Agenda“ vorzulegen und die Bundesregierung an die im Rahmen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ geleistete Arbeit und die gemeinsam durch den Bundestag verabschiedeten Handlungsempfehlungen zu erinnern.
Dr. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, netzpolitischer Sprecher seiner Fraktion.
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