Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen (Tagesordnungspunkt 14)

Ansgar Heveling (CDU/CSU): Vielleicht ist für den einen oder anderen heute hier vordergründig ein Tag des stillen oder lauten Triumphs. Wir beraten in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen. Ich will nicht verhehlen, dass meine Empfindungen zwiespältig sind, und es mag nicht nur mir so gehen. Vor allem: Die bloße Beseitigung eines Gesetzes vermag diesen Zwiespalt nicht so einfach zu beseitigen.

Zunächst einmal ist das Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen ein Lehrstück, ein Lehrstück für vieles.

Es ist erstens ein Lehrstück dafür, was passiert, wenn Gesetze im Zuständigkeitsgestrüpp einer Regierung wachsen. Bei der Entstehung des Gesetzes hat seinerzeit das eigentlich federführende Ministerium nicht die Feder geführt. Ein anderes Ministerium hat sich dann die Zuständigkeit aus der Verfassung konstruiert, und ein unzuständiges Ministerium hat die Debatte beherrscht. Ich scheue mich nicht, das hier so anzusprechen; denn am Schluss des Prozesses hat sich eine Regierung ja auch als Erste von diesem, ihrem Werk durch Nichtanwendung distanziert. Und was bleibt? Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass das insbesondere einem nicht gedient hat: der Sache selbst.

Das Gesetz ist zweitens ein Lehrstück dafür, wie aus der Umdeutung von Begriffen, aus der Umwertung von Werten, politische Kampfinstrumente werden. Rasch bekam die öffentliche Diskussion einen Spin, der gar nichts mit dem Thema Kinderpornografie zu tun hat. Das Stichwort Zensur rückte in den Vordergrund. Dieser Begriff sollte fortan die Diskussion beherrschen. Man mag an dem Gesetz vieles kritisieren, vieles auch zu Recht, aber mit Zensur hat es überhaupt gar nichts zu tun. Und es bleibt für mich die bange Frage: Welches Staats- und Gesellschaftsbild haben diejenigen im Kopf, die mit Verve „Zensur“ gebrüllt haben, um das Gesetz zu Fall zu bringen? Denn da geht es denjenigen ja wohl um mehr als um die Frage der Tauglichkeit des Mittels Internetsperren. Es geht um die grundsätzliche Haltung zu staatlichen Eingriffen zur Abwehr von Straftaten. Gesetzmäßigkeit, Rechtschutzgarantie und Verhältnismäßigkeit, also Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit, sind die klassischen Instrumente des Rechtsstaats zur Limitierung von Eingriffen. Wer diese Mechanismen aufgeben möchte, redet entweder dem überstarken Staat das Wort oder einem Staat, für den unter dem Diktum vorgeblicher Freiheit der Ausgleich divergierender Grundrechte – etwa die Schutzpflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, für deren Sicherheit zu sorgen – gleichgültig zu sein hat. Das aber ist meiner Ansicht nach ein Verständnis von Freiheit, das mit der Gefahr behaftet ist, sich in letzter Konsequenz gegen sie selbst zu richten. Mich besorgt das, und ich hoffe, dass ich mit dieser Sorge nicht alleine stehe. Wie sehr im Übrigen das Zensurargument tönend Erz ist, zeigt ein Blick auf die Polizeigesetze der Länder, die das Sperren von Internetseiten bisher, jetzt und auch in Zukunft auf gesetzlicher Grundlage zur Gefahrenabwehr erlauben. Sie erlauben es, weil es ein ganz normales Mittel zur Gefahrenabwehr darstellt, sofern es auf rechtsstaatlicher Grundlage erfolgt. Und das sind keine chinesischen Verhältnisse!

Drittens ist das Gesetz ein Lehrstück für politische Halbwertszeiten – auf allen Seiten. Die SPD – ich habe seinerzeit in verschiedenen Reden die damaligen Einlassungen der Kolleginnen und Kollegen bereits genüsslich zitieren dürfen – hat mit dem Verlassen der Großen Koalition offensichtlich auch ihre Haltung zum Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen sehr schnell hinter sich gelassen. Aber auch die Koalition hat sich schon im Koalitionsvertrag, um es vorsichtig zu formulieren, durch einen Formelkompromiss von einem geltenden Gesetz distanziert. Aus legislativer Sicht ist das eine bedenkliche Situation. Hier wird ein über ein Jahr währender Konflikt zwischen Gesetzeslage und mangelnder Gesetzesanwendung durch Aufhebung des Gesetzes gelöst.

Wenn in solchen Konflikten stets die Legislative vor der Exekutive durch die Beseitigung von Gesetzen zurückweichen würde, dann wäre dies sicherlich eine Bankrotterklärung des demokratischen, auf Gewaltenteilung basierenden Rechtsstaats. Was wir heute tun, darf daher keine Schule machen.

Schließlich: Was bleibt übrig? Ein sicherlich nicht optimales Gesetz wird aufgehoben. Das Problem indessen bleibt nach wie vor nicht gelöst. Nach wie vor sind die Löscherfolge ausgesprochen dispers. So finden sich im ersten Halbjahr des Jahres 2011 einige Monate, in denen über 80 Prozent der identifizierten Seiten innerhalb einer Woche gelöscht werden konnten. Ebenso gibt es aber auch Monate, in denen nur rund 30 Prozent der Seiten gelöscht wurden. Im Durchschnitt gelingt es, bei knapp über 60 Prozent der Seiten eine Löschung innerhalb der ersten Woche zu veranlassen. Damit sind aber immer noch 40 Prozent der Seiten nach einer Woche verfügbar. Das alles zeigt: Nach wie vor mangelt es an einer wirksamen Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen. Ich möchte nicht verschweigen, dass sich im vergangenen Jahr hier eine Menge bewegt hat, nicht zuletzt was die Zusammenarbeit von staatlichen Stellen und Selbstregulierungseinrichtungen der Internetwirtschaft angeht. Das ist ausdrücklich positiv zu bewerten.

Aber gerade in grundrechtssensiblen Bereichen kann nicht bloß eine gut funktionierende Zusammenarbeit von Behörden und privaten Einrichtungen Maßstab sein. Das genügt den rechtsstaatlichen Vorgaben nicht, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Bereitstellung von Eingriffsmöglichkeiten, sondern auch ebenso mit Blick auf deren Limitierung. Daher ist das pure Aufheben des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion zu wenig.

In der weiteren Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfes sollten wir daher folgende Überlegungen miteinander diskutieren.

Zum einen sollten wir darüber nachdenken, ob wir zumindest die Evaluierungspflicht hinsichtlich des Löschens weiter gesetzlich konstituiert lassen. Ich habe es eben schon ausgeführt: Die Löschergebnisse sind ausgesprochen dispers. Unserer Ansicht nach täten wir gut daran, wenigstens hierauf auch weiterhin ein wachsames Auge zu haben. Denn wie ebenfalls bereits gesagt: Nach wie vor ist eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Kinderpornografie nicht oder nur in Ansätzen zu erkennen.

Wir halten hier die Vorschläge des Bundesrates ausdrücklich für bedenkenswert.

Zum anderen: Es wäre gut, eine ausdrückliche Zuständigkeitsregelung für das BKA im Hinblick auf die Bekämpfung der internationalen Kinderpornografie im Sinne des § 184 b StGB gesetzlich festzuschreiben. Derzeit wird diese Zuständigkeit allein aus der Zentralstellenfunktion des BKA abgeleitet. Damit wird das BKA allein aufgrund der Entscheidung der Exekutive tätig. Hier ist unserer Ansicht nach aber der Gesetzgeber gefordert. Wenn die von allen Fraktionen stets wiederholten Beteuerungen, wir sollten den Kampf gegen Kinderpornografie mit dem Mittel des Löschens konsequent fortführen, wirklich ernst gemeint ist, reicht das Aufheben eines Sperrgesetzes eben nicht. Denn einen Löschauftrag suchen wir im Bundesrecht weit und breit vergebens. Wir sollten daher festlegen, wozu eine Polizeibehörde zuständig ist und wozu nicht. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf könnten wir daher beispielsweise eine Ergänzung des BKA-Gesetzes vornehmen.

Die Aufhebung des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen steht an. Doch die Herausforderung bleibt. Wie können wir wirksam gegen Kinderpornografie in einem Medium vorgehen, das keine Grenzen kennt? Die Aufhebung eines Gesetzes gibt darauf leider keine Antwort.

Lars Klingbeil (SPD): Besser spät als nie! Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Aufhebung der Netzsperren. Um es vorweg zu sagen: Es ist gut, dass sich nunmehr – nach über drei Jahren Debatte und zwei Jahre nach der Verabschiedung des Zugangserschwerungsgesetzes – alle Fraktionen im Deutschen Bundestag und auch die Bundesregierung einig sind, dass Internetsperren wenig effektiv, ungenau und technisch ohne größeren Aufwand zu umgehen sind. Internetsperren können damit keinen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderpornografie leisten und schaffen zudem eine Infrastruktur, die grundsätzliche Bedenken hervorruft und verfassungsrechtlich problematisch ist.

Die Regierungsfraktionen hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das Zugangserschwerungsgesetz zunächst für ein Jahr nicht anzuwenden. Dementsprechend wurde das BKA durch Erlass des Bundesministeriums des Inneren aufgefordert, den „in § 1 Abs. 2 ZugErschwG eingeräumten Beurteilungsspielraum dahin gehend zu nutzen, dass keine Aufnahme in Sperrlisten erfolgt und Zugangssperren unterbleiben“. Einen solchen Beurteilungsspielraum gibt es aber nicht, und von daher kann diese Anordnung der Nichtanwendung eines Gesetzes durch Ministererlass durchaus als Verstoß gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes, Art. 20 Abs. 3 GG, bewertet werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat diese verfassungsrechtlichen Bedenken immer wieder deutlich gemacht. Auch die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses zum Thema hat diese Bedenken aus unserer Sicht eindeutig bestätigt.

Die Bundesregierung begründet ihren nun vorgelegten Gesetzentwurf wie folgt: „Die Möglichkeiten einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden und nicht staatlichen Einrichtungen wie Selbstregulierungsorganisationen der Internetwirtschaft und Nichtregierungsorganisationen wurden in jüngster Zeit weiter genutzt, um national und international eine schnellstmögliche Löschung der Inhalte zu erreichen. Dieses Vorgehen hat sich als erfolgreich erwiesen, so dass Sperrmaßnahmen nicht erforderlich sind. Das Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen (Zugangserschwerungsgesetz – ZugErschwG) wird daher aufgehoben.“

Zu möglichen Alternativen ihres Gesetzentwurfes gibt die Bundesregierung den bemerkenswerten Hinweis: Keine. Alternativen liegen seit Anfang 2010 vor. Die SPD Bundestagsfraktion hat ihre Zustimmung zu diesem Gesetz im Jahr 2009 als Fehler eingeräumt und im Februar 2010 einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen eingebracht. Es war die Koalition, die immer wieder verhindert hat, dass dieser Gesetzentwurf und die vergleichbaren Gesetzentwürfe der anderen Oppositionsfraktionen auf die Tagesordnungen im Plenum und der Ausschüsse gesetzt wurde. Am 25. Oktober 2010 hat der Unterausschuss Neue Medien auf Antrag der SPD-Fraktion ein Expertengespräch zu den Gesetzentwürfen der Opposition zur Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes und hierbei insbesondere zu den technischen und organisatorischen Fragen und Problemen bei der Löschung von  Kindesmissbrauchsdarstellungen im Internet durchgeführt. Hierbei wurde überaus deutlich, dass es große Erfolge bei der Durchsetzung der Löschung und vor allem deutliche Verbesserungen bei der Zusammenarbeit zwischen dem BKA, den Beschwerdestellen und den Selbstkontrolleinrichtungen gibt, vor allem mit Blick auf das direkte Zugehen auf die Hostprovider im Ausland. Einhellige Feststellung bei diesem Expertengespräch war, dass Internetsperren kein geeignetes Instrument zur Bekämpfung von Kinderpornografie sein und bestenfalls Symbolpolitik darstellen können, zugleich aber eine Infrastruktur schaffen, die bedenklich ist und die missbraucht werden kann. Am 10. November 2010 hat der federführende Rechtsausschuss eine öffentliche Anhörung zu den Gesetzentwürfen der Opposition zur Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes durchgeführt. Auch hier wurde von der überwiegenden Mehrzahl der geladenen Sachverständigen festgestellt, dass das Gesetz verfassungsrechtlich zumindest bedenklich ist und keinen Beitrag zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen leisten kann.

Immerhin ein knappes Jahr nach der Anhörung des federführenden Rechtsausschusses legt die Bundesregierung nun endlich ihr Aufhebungsgesetz vor und schlägt – wie die Gesetzentwürfe der Opposition – vor, dass das Zugangserschwerungsgesetz ersatzlos aufgehoben werden soll. Dies ist richtig und findet unsere Zustimmung, allerdings kommt diese Einsicht sehr spät. Auf jeden Fall ist zu begrüßen, dass das Instrument der verfassungsrechtlich bedenklichen und zur Verfolgung von Straftaten untauglichen Netzsperren abgeschafft wird, und es ist – angesichts vergleichbarer Forderungen beispielsweise bei Urheberrechtsverletzungen – zu hoffen, dass die Bundesregierung sich damit hoffentlich vollständig von der Absicht, eine solche Sperrinfrastruktur aufbauen zu wollen, verabschiedet.

Bedauerlich ist, dass – weil die Bundesregierung sich seit ihrem Amtsantritt und trotz entsprechender öffentlichkeitswirksamer Ankündigungen in ihrem Koalitionsvertrag nicht auf eine gemeinsame Linie hat verständigen können – es keine wirklich unabhängige Evaluierung gegeben hat, denn nur so hätte man noch bestehende Defizite bei der Durchsetzung der Löschung aufzeigen können. Daher ist es bis heute so, dass es zwar überdeutliche Verbesserungen bei der Löschung entsprechender Inhalte in kürzester Zeit gibt, dass aber zugleich nach wie vor erhebliche Differenzen zwischen den Zahlen des BKA und den Selbstregulierungseinrichtungen vorliegen. Aufgrund ihrer internen Differenzen ist die Bundesregierung hier zwei Jahre lang untätig geblieben, sodass eine unabhängige Evaluation leider immer noch aussteht. Aus diesem Grund hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme eine Änderung des Gesetzentwurfes gefordert und einen Evaluierungsbericht gefordert, um möglicherweise erneut auftretende Schutzlücken rechtzeitig erkennen zu können.

Problematisch ist zudem, dass – trotz zweijährigen Wartens – viele der Verabredungen zur besseren Zusammenarbeit zwischen BKA und den Beschwerdestellen und den Selbstkontrolleinrichtungen lange gar nicht greifen konnten, weil das diesbezügliche „Harmonisierungspapier zum zukünftigen Umgang mit Hinweisen auf kinderpornografische Webseiten beim BKA, den deutschen Beschwerdestellen (eco e.V., FSM e.V., jugendschutz.net) sowie der BPjM“ – welches seit dem Frühjahr 2010 vorlag – erst im März 2011 unterzeichnet wurde. Besser spät als nie: Wir begrüßen es dennoch ausdrücklich, dass diese Vereinbarung nunmehr endlich unterzeichnet wurde und in Kraft getreten ist. Mit diesem Harmonisierungspapier wurden einheitliche Verfahren vereinbart, um eine Löschung derartiger Inhalte tatsächlich durchzusetzen. Von entscheidender Bedeutung – auch das ein zentrales Ergebnis der parlamentarischen Beratungen unserer Gesetzentwürfe – ist dabei die Tatsache, dass diese Stellen über ihrer Partnerorganisationen oder auch direkt den Kontakt mit den jeweiligen Hostprovidern im Ausland aufnehmen, weil hierbei am schnellsten und effektivsten eine Löschung erreicht werden kann.

Das Fazit lautet daher: Internetsperren sind zur wirksamen Bekämpfung der Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet – wie auch zur Verfolgung anderer Straftaten – nicht geeignet. Von daher werden wir natürlich der ersatzlosen Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes zustimmen.

Aber dabei allein darf es nicht bleiben: Es bedarf vielmehr der Weiterentwicklung von effektiven  Bekämpfungsstrategien, um die Löschung derartiger Angebote im Internet auf der Grundlage des geltenden Rechts durchzusetzen. Zur Bekämpfung der Verbreitung von sexueller Gewalt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im Internet sind eine verbesserte technische und personelle Ausstattung der Polizeibehörden, die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften sowie die Verbesserung der Zusammenarbeit auf nationaler und insbesondere auf internationaler Ebene erforderlich, um die Löschung kinderpornografischer Netzinhalte zeitnah und effektiv durchzusetzen und eine konsequente Strafverfolgung zu erreichen. Auch all dies hat die SPD-Bundestagsfraktion und haben die anderen Oppositionsfraktionen in den letzten beiden Jahren eingefordert, und auch hierzu stehen die Konzepte der Bundesregierung aus. Wir werden weiter auf die Vorlage einer entsprechenden Strategie drängen.

Die hitzigen und aufgeregten Debatte um die Netzsperren im Bundestagswahlkampf 2009, die erfolgreiche Petition zur Aufhebung des Internetsperrgesetzes und die Debatten in dieser Legislaturperiode haben aber auch etwas Positives mit sich gebracht: Alle Fraktionen im Deutschen Bundestag haben begriffen, wie wichtig das Thema Netzpolitik künftig sein muss, und erklärt, dass das Thema der politischen Gestaltung der digitalen Gesellschaft auf die Agenda zu setzen ist. Aus diesem Grund hat der Deutsche Bundestag die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft eingesetzt, die im Mai 2010 ihre Arbeit aufgenommen hat. Die Koalition hat immer wieder angekündigt, dass sie ein netzpolitisches Konzept zur Gestaltung der digitalen Gesellschaft vorlegen und auf den Weg bringen will. Wenn man nun so eine Art Zwischenbilanz ziehen will, dann fällt die Bilanz dürftig aus. Bei denjenigen netzpolitischen Projekten, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, verweigert sie jede Diskussion, beispielsweise bei dem Thema Netzneutralität und der Notwendigkeit einer gesetzlichen Verankerung. Bei den Themen Datenschutz im Internet bestreitet die Koalition zunächst jeden Handlungsbedarf, um sich dann mit ein paar Selbstverpflichtungserklärungen zufrieden zu geben und auf die europäische Ebene zu verweisen. Und um noch ein drittes Beispiel zu nennen: Die Vorlage des dritten Korbes zur Reform des Urheberrechtes für die digitale Gesellschaft ist nunmehr auch längst überfällig, und alles was zu vernehmen ist, lässt nicht auf den großen und überzeigenden Wurf hoffen. Gleichzeitig und reflexartig wiederholen aber die Sicherheitspolitiker der Unionsfraktion – oftmals ohne jedes Argument – ihre immer weiter gehenden Überwachungsforderungen, fordern eine Verlängerung der Vorratsdatenspeicherung, gleichsam so, als hätte es die engen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes nie gegeben. Oder sie fordern ein Vermummungsverbot und das Ende der anonymen und pseudonymen Nutzung des Internets, wohl wissend, dass wir diese Nutzungsmöglichkeit aus guten Gründen sogar gesetzlich abgesichert haben. Auf der anderen Seite aber werden alle Vorschläge in Richtung Transparenz und Öffnung des Staates sowie alle Versuche, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten für eine Stärkung der politischen und parlamentarischen Prozesse zu nutzen, von eben diesen Hardlinern boykottiert.

Heute ist ein guter Tag für die Netzpolitik. Heute wird eines der Missverständnisse zwischen jungen, engagierten Netzaktiven und einer Generation von Politikern, die meint, Regeln der Offlinewelt in die Onlinewelt zu übertragen, endlich aus der Welt geschafft. Die Verabschiedung dieses Gesetzes zur Aufhebung des Internetsperrgesetzes ist ein Sieg für all diejenigen, die sich für ein freies Internet einsetzen und die wirksame Maßnahmen in den Mittelpunkt stellen, statt auf Symbolpolitik zu setzen. Auch in allen Fraktionen gibt es Akteure, die sich für den heutigen Erfolg eingesetzt haben. Das Ende der Netzsperren sollte nicht das Einzige bleiben, was wir bis zum Ende der Legislatur netzpolitisch erreichen.

Sebastian Blumenthal (FDP): Mit dem heutigen „Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“ ziehen wir einen Schlussstrich unter ein in jeder Hinsicht problematisches Gesetzesvorhaben mit dem ausgesetzten Zugangserschwerungsgesetz und dem damit verbundenen Nichtanwendungserlass. Wir erinnern uns: Mit dem „Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“ sollten die Internetprovider in Deutschland gezwungen werden, Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten zu sperren und die Nutzer auf ein virtuelles Stoppschild umzuleiten. Die technische Umsetzung sollte mithilfe von DNS-Filtern erfolgen. Am 22. April 2009 hatte das damalige Kabinett dem Gesetzentwurf zugestimmt. Diese vorgesehene technische Maßnahme war nicht nur leicht zu umgehen und für die eigentliche Bekämpfung von kinderpornografischen Inhalten völlig ungeeignet; das Gesetz war auch in anderen Belangen fragwürdig.

So sollte ausschließlich durch das Bundeskriminalamt festgelegt werden, welche Seiten die Internetprovider sperren mussten. Eine Mitwirkung durch Gerichte oder andere unabhängige rechtliche Instanzen war in diesem Entwurf nicht vorgesehen. Nicht nur, dass damit eine unabhängige Überprüfung der Sperrlisten vom Gesetzgeber offensichtlich nicht erwünscht war, es sollten auch die Zugriffsversuche auf die gesperrten Seiten gespeichert werden, um sie zu Strafverfolgungszwecken nutzen zu können.

Zu Recht wurden Bedenken geäußert, diese Vorgehensweise würde früher oder später dazu führen, die Internetsperren zu einer Zensurinfrastruktur auszubauen, um jegliche missliebigen Inhalte sperren zu können. Diese Annahmen wurden leider von einer großen Mehrheit der Mitglieder dieses Hauses ignoriert, sodass das Zugangserschwerungsgesetz am 18. Juni 2009 beschlossen worden ist. Aus den Reihen der Koalitionsfraktionen gab es drei Gegenstimmen, die Fraktionen FDP und Die Linke stimmten gegen den Entwurf, 15 Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen enthielten sich, die übrigen Abgeordneten der Grünen haben ebenfalls gegen den Gesetzentwurf gestimmt.

Angesichts der damaligen überwältigenden Mehrheit für das Gesetz bin ich heute sehr erleichtert über den  Umstand, dass wir heute die entscheidenden Weichen dafür stellen, diesen fehlerhaften Ansatz wieder zu korrigieren und das Zugangserschwerungsgesetz endgültig aufzuheben.

Die Debatte um die Netzsperren hatte sich im Jahr 2009 in eine Richtung entwickelt, die alle Befürchtungen bestätigt hatte. So wurde unter anderem gefordert, die Netzsperren auch als Instrumentarium zur „Gewaltprävention“ zu nutzen und sogenannte „Killerspiele“ zu sperren. Es wurde auch die Möglichkeit ins Gespräch gebracht, „verfassungsfeindliche“ Inhalte zu sperren. Die Sperrung von ausländischen Onlinekasinos wurde mehrfach empfohlen, um das staatliche Glücksspielmonopol in Deutschland zu „schützen“. Vonseiten der Musikindustrie wurde die Forderung erhoben, Filesharing- Angebote zu sperren.

Nicht nur zu Oppositionszeiten und während der Wahlkämpfe, sondern auch als Träger von Regierungsverantwortung haben wir als FDP uns diesen Überwachungs- und Verbotsbegehrlichkeiten entgegengestellt und zum Grundsatz „Löschen statt Sperren“ bekannt. Im permanenten Dialog mit den anderen Fraktionen und zahlreichen gesellschaftlichen Gruppen haben wir uns dafür eingesetzt, dieses Ziel zu erreichen und das Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben. Über alle Politikfelder hinweg, in zahlreichen Ausschüssen, bei diversen Anhörungen und Expertengesprächen haben wir in diesem Hause über Netzsperren sehr engagiert, aber dennoch konstruktiv und vor allem in einem dem Ernst der Sache angemessen Ton gestritten, gerungen und letzten Endes eine Einigung erzielt, sodass wir heute einführend über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Aufhebung der Netzsperren beraten können.

In Vorbereitung auf den heutigen Tag haben wir debattiert, informiert und aufgeklärt. Ich freue mich sehr,dass diese Arbeit Früchte getragen hat und dazu beitragen konnte, die Entwicklung umzukehren, sodass wir in diesem Hause heute nicht mehr über die vermeintlichen Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Netzsperren debattieren, sondern stattdessen über ihre Unverhältnismäßigkeit, ihre technische Untauglichkeit, ihre Nichtumsetzung und – nach über zwei Jahren – über ihre Aufhebung. Ausdrücklich begrüße ich daher für die Fraktion der Freien Demokraten, dass mit der Prozedur nach „notice and take down“ ein besseres und treffsicheres Instrument als Alternative geschaffen wurde, um den dokumentierten Missbrauch von Opfern aus dem Netz entfernen zu können und nicht hinter virtuellen Stoppschildern zu verstecken.

Insofern freue ich mich sehr auf die weiteren Beratungen zu diesem Gesetzentwurf und danke der Bundesjustizministerin für ihren persönlichen couragierten Einsatz auf dem Weg zum Aufhebungsgesetz. Die FDP-Fraktion wird diesem selbstverständlich zustimmen.

Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Zahlreich sind die Beispiele nicht gesät, dass die Bundesregierung ein Gesetz aufhebt – auch dann nicht, wenn das Gesetz von Beginn an falsch, überflüssig und ein Armutszeugnis für die Demokratie war. Sicher gilt der tröstliche Satz: Lieber spät als nie. Aber das sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Erlass des Zugangserschwerungsgesetzes eine Zäsur darstellte.

Die Große Koalition hat mit diesem Gesetz 2009 den Versuch unternommen, die Zensur im Internet einzuführen, bei einem Thema, dass niemanden kalt lässt und alle berührt, bei dem jede und jeder eine Lösung herbeisehnte, mit der jeglicher Darstellung sexueller Gewalt gegen Kinder im Internet Einhalt geboten werden kann. Deshalb hatte die Regierung ein relativ leichtes Spiel. Jene Stimmen der Vernunft, die sagten, dass Sperrlisten kontraproduktiv und der falsche Weg sind, wurden nicht gehört, obwohl alle Erfahrungen beweisen: Diese Listen bleiben niemals geheim und verkehren das ursprüngliche Anliegen genau ins Gegenteil. Sie werden nämlich zu Wegweisern im Internet. Auf all diese Argumente wurde nicht gehört. Auch die SPD stand zu Beginn für das vermeintlich kleinere Übel: für Netzsperren.

Das Gesetz öffnete Türen und Tore für Willkür, und es bot zugleich die Möglichkeit, einmal auszutesten, ob sich über ein sensibles und hochemotionales Thema eine Zensurinfrastruktur festzurren lässt, auf der man künftig  aufbauen kann. Darüber konnte auch der geradezu absurde Fortgang der Geschichte nicht hinwegtrösten. Bereits kurz nachdem das Gesetz im Februar 2010 in Kraft getreten war, wurde eine Dienstanweisung erlassen, es in der Praxis nicht anzuwenden. Auch da könnte man sagen: Besser als nichts. Aber es warf doch ein bezeichnendes Licht auf die Regierung, die sich von der damaligen Familien- und jetzigen Arbeitsministerin, und weil gerade Wahlkampf war, zu einer juristisch nicht haltbaren, inhaltlich unsinnigen und praktisch nicht durchsetzbaren Regelung drängen ließ.

Nun könnten wir froh sein, dass mit dem heute zu diskutierenden Entwurf eines „Gesetzes zur Aufhebung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung von Internetpornografie in Kommunikationsnetzen“ eine Korrektur des peinlichen Versuchs vorgenommen wird. Aber das haben wir eben auch dem Glücksumstand zu verdanken, dass es sich hier um gesetzlich verankerte Regelungen handelt, die sich einfach als nicht praxistauglich erwiesen haben und verheerende Kollateralschäden anrichten würden.

Die Intention aber, die dahinter steckte – der Wille, den Kulturraum Internet durch Zensur kontrollieren zu  wollen –, ist damit nicht verschwunden. Nur weil der Koalition der Wind – auch aus den eigenen Reihen – scharf ins Gesicht blies, reden wir heute über dessen Aufhebung. Das sollten wir nicht vergessen. Und das liegt eben nicht nur an der offensichtlich weit verbreiteten Unsicherheit im Umgang mit dem Kulturraum Internet. Er offeriert uns eine Form der Informationsverbreitung, Transparenz und Freiheit, mit der offensichtlich viele Politikerinnen und Politiker große Schwierigkeiten haben.

Die Anfang 2010 rechtlich verordneten Internetsperren waren und sind eine Bedrohung. Selbst wenn sie  funktioniert hätten, wären wir einen Schritt in die völlig falsche Richtung gegangen und wir hätten der Demokratie erheblichen Schaden zugefügt.

Die einzig wirklich positive Erfahrung, die wir aus meiner Sicht am heutigen Tag verbuchen können: Es ist in diesem Land offensichtlich nicht einfach, an der Öffentlichkeit vorbei die Freiheit des Internets einschränken zu wollen. 134 000 Menschen zeichneten die Online- Petition gegen das Zugangserschwerungsgesetz.

Diese große außerparlamentarische Aktion ist ermutigend. Sie zeigt, dass es auch künftig nicht einfach sein wird, derartige Debatten an der Öffentlichkeit vorbei zu führen. Sie zeigt, welche Potenziale das Internet hat, wenn es um Mitbestimmung und demokratische Diskussionsprozesse geht. Und sie wird uns nützen, wenn – wie längst begonnen – über Eingriffe in die Netzneutralität nachgedacht wird. Sie wird uns nützen, wenn die Koalition in diesem Bereich weiterhin so unkritisch wie bisher mit der Lobby der Netzbetreiber und Telekommunikationskonzerne umgeht. Die wollen lieber heute als morgen die Nutzung verschiedener Dienste, wie Internettelefonie oder Videoplattformen, vom Geldbeutel der Nutzerinnen und Nutzer abhängig und mit eigenen Inhalten Kasse machen.

Sie wird uns nützen bei der Debatte um Vorratsdatenspeicherung, die voll im Gang ist. Die Linke lehnt die Vorratsspeicherung ab – egal unter welchem Namen und unter welchem Vorwand sie durchgesetzt werden soll. Und weil wir in all diesen Fragen konsequent sind, waren wir auch die erste Fraktion, die 2010 einen Vorschlag zur Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes unterbreitete. Bei anderen Dingen dauert es etwas länger, aber in diesem Fall hat uns die Geschichte erstaunlich schnell Recht gegeben.

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nun ist es also endlich soweit: Nach einer über zweijährigen Diskussion debattieren wir hier heute in erster Lesung über ein längst fälliges „Gesetz zur Aufhebung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen“.Ursula von der Leyens kontraproduktive Initiative zur Schaffung von Stoppschildern bzw. Internetsperren aus den letzten Tagen der Großen Koalition kommt so zu einem längst überfälligen Ende. Meine Fraktion und ich begrüßen den Schritt der Bundesregierung, sich endlich von dem Placebo-Instrument Netzsperren zu verabschieden, ausdrücklich – auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass dieser Schritt sehr viel früher erfolgt wäre und wir keine wertvolle Zeit im Kampf gegen derartige Darstellungen im Netz vertan hätten. Denn das haben wir leider. Am Ende der vergangenen Legislatur von der schwarz-roten Koalition auf den Weg gebracht, war allen schnell bewusst, dass der von der damaligen Ministerin von der Leyen eingeschlagene Weg, entsprechende Inhalte im Netz nicht konsequent zu löschen, sondern diese lediglich hinter einem leicht zu umgehenden Stoppschild zu verstecken, nicht nur nicht zielführend, sondern letztendlich für eine wirkliche effektive Bekämpfung dieser Straftaten kontraproduktiv ist. So haben wir es als Grüne begrüßt, dass die schwarz-gelbe Koalition sich am Anfang der Legislatur dazu durchgerungen hat, zunächst keine entsprechenden Sperren vorzunehmen. Was wir jedoch scharf kritisiert haben, war der Weg, den die Koalition hierfür wählte. Ein vom Deutschen Bundestag ordnungsgemäß verabschiedetes, vom Bundespräsidenten unterschriebenes und im Bundesgesetzblatt veröffentlichtes Gesetz per Moratorium einfach nicht anzuwenden, es quasi par ordre du mufti für ein Jahr auszusetzen, ist ein Vorgang, der aus verfassungsrechtlicher Sicht unhaltbar war und eine schwarze Stunde für das Hohe Haus darstellte. Auch aus diesem Grund haben wir, wie alle anderen Oppositionsfraktionen auch, unmittelbar nach Beginn der Legislatur einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem wir die Bundesregierung aufforderten, das Gesetz, das sich als in hohem Maße kontraproduktiv erwiesen hat, auf verfassungsrechtlich sauberem Wege zu begraben.

Nachdem sich die Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen in diesem Haus bereits einig waren, dass man sich statt Netzsperren nun tatsächlich effektiven Instrumenten zuwenden wollte, haben die Vertreter der Union, statt sich auf europäischer Ebene konsequent gegen einen entsprechenden Passus auszusprechen, den Entwurf einer Richtlinie der Europäischen Kommission dazu genutzt, die eigentlich längst zugunsten einer tatsächlichen Bekämpfung derartiger Darstellungen im Netz beendete Diskussion wieder aufzunehmen und plötzlich auch wieder in Deutschland über die Sinnhaftigkeit von Netzsperren zu diskutieren. Dies führte letztendlich dazu, dass sich auch das Hohe Haus, nachdem eigentlich bereits alle Argumente zu Beginn der Legislatur ausgetauscht waren, noch einmal intensiv mit dieser Thematik beschäftigte. So führten neben dem Petitionsausschuss, in dem eine Anhörung durch die Petition von Franziksa Heine angestoßen wurde, welche mit über 133 000 Mitunterzeichnerinnen und -unterzeichnern die bislang zweiterfolgreichste in der Geschichte des Bundestages war, auch der Unterausschuss Neue Medien und der Rechtsauschuss des Bundestages entsprechende Anhörungen durch. Während im Unterausschuss von beinahe allen Sachverständigen unisono betont wurde, dass Netzsperren nicht nur wenig zielführend sind, sondern letztendlich sogar dazu führen, dass der dringend notwendige internationale Austausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden eingestellt wird, wurde im Rechtsausschuss, selbst von den Sachverständigen von CDU und FDP, massiv das Vorgehen der Koalition bei der Aussetzung des Gesetzes par ordre du mufti kritisiert.

Als Grüne haben wir uns in einem weiteren Antrag und in einer Art.-23-Stellungnahme klar gegen das Ansinnen der Europäischen Kommission ausgesprochen. Nachdem selbst unter Federführung einer konservativen  Berichterstatterin im Europäischen Parlament keine Mehrheit für eine die Mitgliedstaaten verpflichtende Regelung erzielt werden konnte, wurde der entsprechende Passus aus der Richtlinie entfernt und – auch durch den Einsatz engagierter Abgeordneter des Europäischen Parlaments wie meines Kollegen Jan Phillip Albrecht – die bestehenden Regelungen sogar im Vergleich zum bisherigen Status quo aus bürgerrechtlicher Sicht noch verbessert. Durch das Wegfallen der verpflichtenden Regelung zu Netzsperren in der Kommissions-Richtlinie fiel es auch den Netzsperren-Befürwortern, die trotz der in den verschiedenen Anhörungen von allen Seiten immer wieder geäußerten vielfältigen Bedenken nach wie vor unbeirrt an dem nutzlosen Instrument festhielten, zusehends schwerer, dies zu begründen.

Schließlich sah sich das BKA längere Zeit auch angesichts völlig schwammiger Vorgaben der Koalition kaumin der Lage, die Statistiken zur Evaluierung der Löscherfolge zu führen. Dies könnte auch mit den gerade einmal 6,3 Vollzeitstellen zusammenhängen, die im BKA mit der Aufgabe direkt betreut wurden. Allerdings verwundert die Tatsache, dass es dem Bundesinnenministerium, in dessen Zuständigkeit das BKA liegt, trotz wiederholter Aufforderung bis heute nicht gelingt, den Mitgliedern der betreffenden Ausschüsse die Evaluierungsstatistiken regelmäßig zur Verfügung zu stellen.

Auch gelang es uns Abgeordneten erst nach mehrfacher Aufforderung, das zwischenzeitlich zwischen dem BKA und den Beschwerdestellen ausgehandelte Harmonisierungspapier zur Bewertung vorgelegt zu bekommen. Trotz dieser widrigen Umstände steht heute fest, dass sich die nach den Anhörungen durchgeführten Verbesserungen der Zusammenarbeit aller Akteure – auch auf internationaler Ebene – ausgezahlt hat. Dies bestätigten auch gerade wieder die vom eco vorgelegten Zahlen. Die Diskussion um Netzsperren war viel zu lange eine über ein Placebo-Instrument, das den Herausforderungen des Themas schlicht nicht ansatzweise gerecht wurde. Umso froher bin ich, dass wir hier heute endlich über die tatsächliche Aussetzung der sinnlosen Netzsperren diskutieren können. Ich bin froh darüber, da wir nun, nachdem endlich auch der Letzte begriffen haben dürfte, dass es jetzt ein für alle Mal an der Zeit ist, sich endlich effektiven Instrumenten und Strategien zuzuwenden, uns nunmehr dem tatsächlichen Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern zuwenden können. Hierzu fordern wir Grünen die Koalition seit Anfang der Legislatur auf.

Und ich muss es leider so hart sagen: Bisher haben sich ihre Aktivitäten darin erschöpft, sich einseitig auf das Netz zu konzentrieren und sich über das Placebo-Instrument Netzsperren auszutauschen, den wichtigen Kampf gegen den sexuellen Missbrauch, der zwar im Netz dokumentiert, jedoch in der realen Welt tagtäglich geschieht, jedoch nicht richtig aufgenommen zu haben. So fehlt ihnen heute, auch aufgrund der Tatsache, dass in den letzten zwei Jahren wertvolle Zeit vergeudet wurde, ein Kompass, wie sie sich dieser gesellschaftlichen Herausforderung, dem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, der jeden Tag an Schulen, in Kirchen, Sportvereinen und Familien stattfindet, entgegenstellen wollen.

Trotz oder gerade wegen der zweijährigen Diskussionen über nutzlose Netzsperren haben sie hier bisher nichts, aber auch rein gar nichts geliefert. So haben sie bis heute keine mehrdimensional angelegte Strategie zur Bekämpfung sexuellen Missbrauchs und sexualisierter Gewalt erarbeitet, wie wir es am Anfang der Legislatur zum ersten Mal und seitdem kontinuierlich von Ihnen gefordert haben.

Daher nutze ich auch diese Debatte noch einmal dazu, Ihnen das zu sagen, was wir Ihnen bei jeder Gelegenheit in den letzten Monaten bereits gesagt haben: Wenden sie sich endlich einer mehrdimensional angelegten Strategie zu, die sowohl den gesellschaftlichen Herausforderungen als auch den Besonderheiten des Netzes gerecht wird! Dies ist zweifellos eine größere Herausforderung, als die zur Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes seit nunmehr zwei Jahren vorliegenden Gesetzesentwürfe der Oppositionsfraktionen einfach zu kopieren.

Sie können jedoch auf wichtige Vorarbeiten zurückgreifen. Als Oppositionsfraktion haben wir Grünen bereits vor Monaten ein sehr ausführliches Eckpunktepapier zur Bekämpfung der Verbreitung von Darstellungen sexueller Gewalt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen vorgelegt. In unserem Papier haben wir Ihnen sehr konkrete Vorschläge unterbreitet, wie Prävention und Opferschutz gestärkt sowie das Löschen von Internetseiten auch im internationalen Kontext effektiver gestaltet und die Strafverfolgung verbessert werden kann.

Zu einer solchen Strategie gehören der Auf- und Ausbau sowie die solide Finanzierung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Betroffene und ihre Familien. Ich bitte Sie, schauen Sie in unser Papier und schreiben Sie notfalls einfach ab! Nutzen Sie den unter Rot-Grün auf den Weg gebrachten „Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung“ als Vorlage und legen Sie diesen schnellstmöglich wieder auf. Auch hierzu fordern wir sie seit langem auf.

Zum Löschen von Missbrauchsdarstellungen muss die Zusammenarbeit zwischen Internet-Beschwerdestellen und Bundeskriminalamt weiter verbessert werden. Auch müssen die personellen und technischen Ressourcen bei den Strafverfolgungsbehörden aufgestockt werden. Letztendlich bedarf es einer völkerrechtlichen Vereinbarung zum Löschen von Missbrauchsbildern und -filmen. Die entsprechende Konvention muss in einem ersten Schritt auf europäischer Ebene geschlossen und danach auch international – zum Beispiel durch bilaterale Verträge – ausgeweitet werden.

Ich gebe nach wie vor die Hoffnung nicht auf, dass Sie nun endlich erkennen, dass es nicht hilft, sich weiter hinter Placebo-Instrumenten und Scheindebatten zu verstecken. Es ist zwar spät, aber nicht zu spät! Da dieses Thema so wichtig ist, möchten wir Ihnen nochmal die konstruktive Mitarbeit unserer Fraktion versichern. Ich bin mir sehr sicher, dass wir dies auch für die gesamte Opposition tun können, sofern Sie endlich den Willen zeigen, tatsächlich tätig zu werden.

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Sexueller Kindesmissbrauch ist ein schweres Verbrechen. Die Verbreitung bildlicher Darstellungen solcher Taten über das Internet ist nicht nur ebenfalls strafbar, für die Betroffenen bedeutet sie zudem die kaum erträgliche Perpetuierung ihres Leides. Deshalb – und darüber sind wir uns in diesem Hause über die Fraktionsgrenzen einig – müssen wir alles daransetzen, diese widerwärtigen Bilder und Filme aus dem Netz zu bekommen. Während die Mehrheit dieses Hohen Hauses in der letzten Legislaturperiode meinte, Internetsperren seien hierfür der richtige Weg, sind wir der Auffassung, dass solche Bilder und Filme im Interesse eines bestmöglichen Opferschutzes an der Quelle gelöscht werden müssen. Sperren, wie sie das geltende Zugangserschwerungsgesetz vorsieht, sind faktisch wirkungslos, weil sie einfach und problemlos umgangen werden können. Wir setzen deshalb auf das Löschen solcher Inhalte durch intensive Zusammenarbeit des Bundeskriminalamtes mit zivilen Einrichtungen wie den Selbstregulierungsorganisationen der Internetwirtschaft, die weltweit vernetzt sind.

Wie erfolgreich eine solche Kooperation ist, belegt die Statistik des internationalen Beschwerdestellen- Netzwerks INHOPE eindrucksvoll. Der INHOPE-Jahresbericht 2010 legt dar, dass etwa 80 Prozent der gemeldeten Seiten innerhalb von sieben Tagen gelöscht den, wobei knapp 50 Prozent der Seiten bereits nach zwei Tagen gelöscht sind. Nach 14 Tagen verbleiben noch zwischen 5 und 10 Prozent der Seiten. Die Statistik des BKA weist vergleichbare Werte auf. Das zeigt, dass Löschen erfolgreich ist. Das Zugangserschwerungsgesetz ist deshalb überflüssig und sollte – wie es der Gesetzentwurf vorsieht – aufgehoben werden.

Quelle:

http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/plenarprotokolle/17126.pdf (ACHTUNG: pdf, 1,77 MB)

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