Millionen an Forschungsgeldern fließen aus europäischen wie auch bundesdeutschen Fördertöpfen in die Konzeptionierung und konkrete Ausarbeitung der Einsatzmöglichkeiten u.a. auch von Sicherheitstechnologien, die dazu dienen, Bürgerinnnen und Bürger systematisch und in der Fläche, d.h. möglichst umfassend zu überwachen.

Im jüngsten Forschungsprogramm „Zivile Sicherheit“ des BMBF findet sich der besonders hervorgehobene Bereich „Urbane Sicherheit“. Die Erläuterungen des Ministeriums dazu bleiben so vage, dass man sich darunter Verschiedenes vorstellen kann. Anlässlich der Debatte im Bundestag sah sich die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Begleitantrag offenbar genötigt klarzustellen, was Urbane Sicherheit nicht bedeutet. Unter Bezugnahme auf das mit EU-Geldern geförderte Überwachungsprojekt INDECT betonte sie, es gebe keine Beteiligung der Bundesregierung daran und es habe auch keine in der Vergangenheit gegeben, weil man dies Projekt wegen seines „umfassenden Überwachungsgedankens“ für nicht vertretbar halte. Es stellt sich die Frage, ob diese Aussage wirklich zutreffend ist oder hier vernebelt werden soll?

Das mittlerweile bekannteste dieser Konzepte INDECT (Abk. für das Projekt Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment) ist ein von der Europäischen Union mit knapp 10,9 Millionen Euro gefördertes Forschungsprojekt. Im Zeitraum 2009-2013 beschäftigen sich 17 verschiedene Institutionen aus neun EU-Ländern mit der Entwicklung bzw. Aufrüstung von bestehenden Überwachungstechniken. Ziel des Projekts ist die Entwicklung eines offenbar weitgehend automatisierten Systems, mit dessen Unterstützung permanent Überwachungskameras, Websites und auch persönliche Computer durchsucht werden können, um vermeintlich drohende Straftaten aufzudecken bzw. diese schon im Vorfeld zu verhindern. Wichtige Details zum Projekt INDECT können u.a. der verdienstvollen Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke vom 25.11.2011 (pdf 145 KB) entnommen werden. Angeblich sollen Vorgehensweisen, die im Rahmen von INDECT entwickelt wurden, bereits zur Fußball-EM dieses Jahres in Polen Anwendung finden.

Bis heute fehlen wichtige Informationen zu diesem mit öffentlichen Mitteln geförderten Projekt. Diese wurden vor allem von den Mitgliedern des Europäischen Parlaments immer wieder eingefordert. Eine von der Kommission angesichts des öffentlichen Drucks vorgenommene Bewertung der ethischen Vertretbarkeit des Projekts sowie der Arbeit der für das Projekt zuständigen Ethikkommission bescheinigt dem Projekt allerdings ein einwandfreies Vorgehen.

Wir haben am 27. Oktober letzten Jahres in einer schriftlichen Frage (pdf ) versucht aufzuklären, weshalb die Bundesregierung bzw. die nachgeordnete Bundesbehörde des Bundesinnenminsteriums, das Bundeskriminalamt, es für notwendig befand, an einem schon seiner Forschungskonzeption nach evident gegen bundesdeutsches Verfassungsrecht, aber auch gegen europäische Grundrechte verstoßenden Projekt teilzunehmen, obwohl man dieses wegen seines „umfassenden Überwachungsgedankens“ eigentlich ablehne.

Meine Frage an die Bundesregierung lautete:

Warum hat das Bundeskriminalamt entgegen seiner zunächst getroffenen Entscheidung, wegen des umfassenden Überwachungsgedankens nicht an dem mit EU-Mitteln geförderten Forschungsprojekt INDECT (Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment) teilnehmen zu wollen, gleichwohl in 2009 „auf Bitten der Projektleitung“ das eigene Projekt „Foto-Fahndung“ im Rahmen einer INDECT-Veranstaltung vorgestellt?

Die Antwort der Bundesregierung hat uns überrascht. So antwortete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren, Dr. Ole Schröder, sinngemäß, dass es keinerlei Teilnahme des Bundeskriminalamtes bei INDEC gegeben habe.

Die Antwort der Bundesregierung vom 27. Oktober 2011 lautete:

Es handelte sich um keine „zunächst getroffene Entscheidung“ im Sinne der Frage, sondern um die generelle und unveränderte Entscheidung des Bundeskriminalamtes (BKA), an dem Projekt „Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment (INDECT)“ wegen des umfassenden Überwachungsgedankens nicht teilzunehmen.

Die Vorstellung der zu diesem Zeitpunkt bereits öffentlich zugänglichen Ergebnisse des BKA-Projekts „Foto-Fahndung“ stellt keine Teilnahme am Forschungsprojekt INDECT dar. Das BKA wurde von einem der Projektbeteiligten von INDECT, der Firma PSI Transcom GmbH aus Berlin, gebeten, die Ergebnisse aus dem BKA-Projekt „Foto-Fahndung“ im Rahmen eines INDECT-Projekttreffens in Berlin am 20. März 2009 vorzustellen.

Ziel dieser Präsentation war es, auf die Probleme beim Einsatz automatisierter Gesichtserkennung im getesteten Fahndungsszenario hinzuweisen. Es wurde deutlich gemacht, dass biometrische Algorithmen zwar zunehmend leistungsfähiger werden, aber biometrische Systeme nach wie vor fehlerbehaftet arbeiten. Daher seien solche Systeme aus Sicht des BKA für den polizeilichen Einsatz bisher noch nicht geeignet. Im Rahmen der Präsentation wurden keine über den Abschlussbericht hinausgehenden Informationen vorgestellt. Der Abschlussbericht zum BKA-Projekt „Foto-Fahndung“ wurde vom BKA bereits am 11. Juli 2007 veröffentlicht und kann seitdem unter www.bka.de heruntergeladen werden.

Dass es keine Teilnahme des Bundeskriminalamtes bei INDECT gegeben habe, betont die Bundesregierung bis heute ungeachtet der Tatsache, dass tatsächlich zumindest in einem Fall eine konkrete Projektteilnahme in Gestalt eines Vortrages von BKA-Beamten zum Stand des Einsatzes von Bilderkennungsverfahren erfolgte. Die Rechtfertigung der Bundesregierung für diese Form der Teilnahme überzeugt uns nicht. Sie verweist darauf, dass es sich um einen Einzelvortrag zu einem Thema gehandelt habe, dessen Inhalte bereits veröffentlicht seien und bei dem auf die (technischen) Grenzen biometrischer Gesichtserkennung verwiesen worden sei. Bei dem von der Bundesregierung zugrundegelegten „engen Teilnahmebegriff“ zählt vermutlich allein die formelle Projektträgerschaft.

Gleichwohl scheint die Bundesregierung Wert darauf zu legen, sich auch hinsichtlich ihrer „Nichtteilnahmehandlung“ formell wie inhaltlich vom Projekt zu distanzieren. Das ist an sich löblich, aber das hätte man sich früher überlegen sollen. Heute stellt sich die Frage, welchen Wert ein derartiger Vortrag im Rahmen eines Projektes hat, das man selbst wegen seines umfassenden Überwachungsgedankens ablehnt? Oder dachte man allen Ernstes daran, mit dem Verweis auf die für die angewandte Biometrieforschung enttäuschenden Ergebnisse des Fotofahndungsprojekts am Mainzer Hauptbahnhof die INDECT-Forscher zur Umkehr bewegen zu können? Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund eigentlich den Vorstoß des Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern Caffier? Caffier spricht sich für eine automatisierte Bildrasterung von Fußballfans aus und nutzt für die Durchsetzung seines Anliegens die Innenministerkonferenz. Er geht also offenbar von einer technischen Realisierbarkeit aus, was der Einschätzung des Bundeskriminalamts gegenüber den INDECT-Forschern widerspricht. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang wiederum stellt, lautet: Von welchem Stand geht die Bundesregierung hinsichtlich der Realisierbarkeit einer  Bewegtbilderkennung tatsächlich aus?

Wir haben deshalb auch in der zurückliegenden Sitzung des Innenausschusses des Bundestages gegenüber Staatssekretär Schröder darauf hingewiesen, dass sich die Bundesregierung hier auf einem schmalen Grat bewegt. Richtig wäre es gewesen, auf jede Form einer Beteiligung an dem Projekt zu verzichten, um gar nicht erst den bösen Schein zu erwecken, man unterstütze in irgendeiner Form  derartige auf totale Überwachung abzielende Ansätze.

Es bleibt der Eindruck, dass öffentliche Stellen auch im Bereich der Forschung versucht sind, Sicherheitsinteressen über das Allgemeinwohl sowie gegen die Achtung der Bürgerrechten zu stellen. Die EU-Kommission selbst stellt sich mit der Förderung eines Projektes wie INDECT offen gegen zentrale Datenschutzgrundsätze, wie sie sie selbst in der gegenwärtig anstehenden EU-Datenschutzreform fordert, darunter insbesondere den Gedanken des Privacy by Design, d.h. die Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Grundsätze bereits auf der Ideen- und Planungsebene. Gleiches gilt für den Grundsatz der Datensparsamkeit, der bei INDECT ersichtlich missachtet wird.

Kritisch zu fragen ist weiterhin, ob das offenbar vorrangige Interesse der Bundesregierung an Wirtschaftsförderung auch im Bereich des Milliarden-Marktes der Sicherheitsforschung das Risiko mit sich bringt, dass in Sachen Grundrechte und Datenschutz nicht mehr so genau hingeschaut wird, wenn die zumeist sowohl aus Wissenschaftlern als auch Unternehmensvertretern zusammengesetzten Projektpartner ihre Anträge einreichen.

Wir Grüne werden uns diesen problematischen Entwicklungen insbesondere bei Projekten wie INDECT mit aller Kraft entgegenstellen.

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