Die Bundesregierung scheitert mit ihrer Nacht- und Nebelaktion beim Melderecht und keiner will es gewesen sein – plötzlich sind alle Datenschützer

Die allein aufgrund des öffentlichen Drucks vollzogene Vollhalse des Bundesregierung beim Meldegesetz ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Nachdem selbst die BILD gegen das Meldegesetz zu Felde zieht, reagiert die noch am heutigen morgen sich wortreich verteidigende Bundesregierung und distanziert sich von ihrem eigenen Gesetzentwurf. Erst wird über Monate der Öffentlichkeit mit einem Referentenentwurf weisgemacht, man strebe eine tatsächlich datenschutzfreundliche Regelung an. Dann wird auf der Zielgeraden per Änderungsantrag ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk an den Deutschen Dialomarketingverband überreicht, indem das Opt-In durch eine zudem noch löcherige Opt-Out-Regelung ersetzt wird. Das ist Mövenpick-Politik vom Feinsten!

Diese Bundesregierung verhält sich insbesondere bei der Datenschutzpolitik weitaus dreister als viele das bisher wahrhaben wollten. Beispiele dafür lieferten bereits der Beschäftigtendatenschutz und die Stiftung Datenschutz. Doch könnte man bei diesen Vorhaben mildernd in Rechnung stellen, dass sie noch keine Verbindlichkeit erlangt haben, sondern sich nach drei Jahren noch immer im Planungsstadium befinden. Anders beim Melderecht. Erst eine Woche vor der entscheidenden 2. und 3. Lesung übersandte die Koalition ihren von Gisela Piltz und dem CSU-Hans-Peter Uhl unterzeichneten Änderungsantrag mit der entscheidenden umstrittenen Verschärfung zu Lasten des Datenschutzes durch Streichung des Opt-In. Man dürfte genau gewusst haben, dass in der Summe mit den ebenfalls zur Abstimmung gestellten ESM-/ Fiskalpaktanträgen sowie der Debatte zum Betreuungsgeld – zunächst – kaum noch Aufmerksamkeit für die Melderechtsdebatte verbleiben würde. Doch inzwischen regt sich völlig zu Recht breiter Widerstand gegen ein Gesetz, gegen das wir von Beginn an bürgerrechtliche Zweifel geäußert und das wir sowohl in den Ausschüssen als auch im Plenum explizit abgelehnt haben. Denn es ist ein direkter Angriff auf die gesamte dogmatische Linie des Datenschutzrechts zur Frage des Umgangs mit Daten, die zu Werbezwecken verarbeitet werden sollen, und zwar eindeutig zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger.

Der jetzige Versuch der Bundesregierung, ihren (angesichts des anstehenden Widerstandes des Bundesrates) gescheiterten Versuch der Aushöhlung des Datenschutzes als selbständiges Handeln der Parlamentsfraktionen zu verkaufen wird nicht verfangen. Jedem und jeder fachlich nur halbwegs mit der Materie Vertrauten war klar, dass es sich bei der Frage von Opt-In oder Opt-Out wie stets im Bereich der Werbewirtschaft um die entscheidende Frage des Gesetzesentwurfes handelte. Das spiegelte sich so auch in der dazu erfolgten Debatte des zuständigen Innenaussschusses wieder. Es kann deshalb getrost als abwegig bezeichnet werden, wenn behauptet wird, es habe möglicherweise hierzu keine hinreichend engen Abstimmungen zwischen Regierung und Koalitionsfraktionen im Parlament gegeben.

Zwar stellt selbst die jetzt von der Bundesregierung vorgeschlagene Opt-Out-Regelung isoliert betrachtet ein Mehr gegenüber dem bestehenden Melderechtsrahmengesetz dar, insgesamt bedeutet er aber eine deutliche Schlechterstellung. Zum einen muss dabei bedacht werden, dass nach einigen und letztlich maßgeblichen Landesgesetzen ohnehin ein Opt-Out vorgesehen ist, teilweise sogar ein Opt-In oder gar ein Weitergabeverbot. Zum anderen wird die Regelung praktisch durch den einschränkenden Nachsatz wieder aufgehoben, wonach ein Widerspruch dann entfällt, wenn es um die bloße Bestätigung von Datensätzen auf ihre Richtigkeit geht. Damit wird faktisch ein uneingeschränktes Auskunftsrecht der Datenhändler und Inkassofirmen geschaffen.

Sicherlich handelt es sich bei den Meldedaten aufgrund ihres Inhaltes und ihrer Herkunft – sie müssen aufgrund einer gesetzlichen Pflicht durch alle Einwohner der Bundesrepublik wahrheitsgemäß gegenüber den Meldebehörden allein und ausschließlich für Zwecke des Meldewesens angegeben werden – aufgrund der unmittelbar drohenden Weitergabe durch Verwaltungsbehörden an oft genug windige Adresshändler und Werbeunternehmen  um einen besonders krassen, besonders schützenswerten Fall, weil eine derartige pauschale Zweckentfremdung für kommerzielle Interessen nicht zu rechtfertigen ist.

Doch geht es auch hier um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor einer nicht zuletzt wegen der Möglichkeiten des Internet weiter ausufernden Werbe- und Marketingmaschinerie, die längst nicht mehr nur „bloße“ Lästigkeiten produziert, sondern beispielsweise als Spam auch massive volkswirtschaftliche Schäden anrichtet und häufig bis hin zum kriminellen Datenmissbrauch reicht. Hierüber legen beispielsweise die Tätigkeitsberichte der Datenschutzaufsichtsbehörden beredtes Zeugnis ab. Deshalb muss die Debatte um das Melderecht auch mit Blick auf die laufende Datenschutzreform der EU geführt werden. Wer wirklich Datenschutz will, kann nicht allein beim Melderecht ansetzen, sondern muss auch die sonstigen Lücken des Verbraucherdatenschutzes bedenken. Die EU-Kommission hat u.a. deswegen eine weitreichende und verbraucherfreundliche  Opt-In-Regelung für mögliche zweckändernde Datenverarbeitungen ins Spiel gebracht. Hiergegen sollte die Bundesregierung ihren bisher gezeigten Widerstand endlich aufgeben.

Es ist vollkommen unglaubwürdig, wenn die Bundesregierung nun einerseits und plötzlich angeblich stets für ein Opt-In bei den Meldedaten gewesen sein will, während sie andernorts das Opt-In, das nichts anderes bedeutet als eine informierte (Vorab-)Einwilligung der Verbraucher, vehement bekämpft. Im Kern geht es darum, auf möglichst einfache und unkomplizierte Weise den Verbrauchern selbst zu überlassen, ob und in welchem Umfang ihre Daten für Werbezwecke genutzt werden. Das Ziel bleibt, die Möglichkeit der Freiheit der Wahl an die Bürger zurück zu geben, nicht umgekehrt. Genau deshalb ist es auch mit der Verhinderung des Gesetzentwurfes im Bundesrat allein nicht getan. Im Melderecht bedarf es weiterhin der wiederholt und seit langem geforderten Reform, zu der auch eine Opt-In-Regelung gehört. Sonst bliebe es – nach der BR-Abstimmung – bei der nicht mehr hinnehmbaren gegenwärtigen Regelung, gänzlich ohne Opt-Out im Melderechtsrahmengesetz.

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