Für den „Hirschberg“, eine Schrift des Bund Neudeutschland (ND) und der Gemeinschaft Katholischer Männer und Frauen (KMF), habe ich für die Ausgabe  9/2012, die sich mit der „Digitalisierung unseres Lebens“ beschäftigt, einen Gastbeitrag über (grüne) Netzpolitik verfasst, den wir an dieser Stelle dokumentieren. Der Artikel ist – bewusst – sehr grundlegend gehalten. Wie immer freue ich mich über Eure Kommentare!

Konstantin v. Notz

Für eine wertegeleitete Netzpolitik

Es ist unübersehbar, der digitale Wandel, mit all seinen technischen, kulturellen und sozialen Umbrüchen, hat sich längst in unserem Alltag niedergeschlagen. Die Durchdringung von vielen Bereichen unserer Gesellschaft durch das Internet, die Digitalisierung, nimmt stetig zu. Insofern befinden wir uns auch im Bereich der Netzpolitik in einer Zeit des Umbruchs und großer Veränderung.

Vormals eher weniger beachtete Themen wie der Datenschutz, das Urheberrecht im digitalen Zeitalter, der Verbraucherschutz im Internet, netzgestützte politische Teilhabe oder Medien- bzw. Netzkompetenz, die Breitbandversorgung und vieles mehr sind in aller Munde. Diese vielen Facetten zeigen: Netzpolitik ist kein abgeschlossenes eigenes Politikfeld, sondern das große Querschnittsthema unserer Zeit.

Und doch scheint es für viele erst mal als ein wenig greifbares Thema. Vordergründig betrachtet könnte man meinen, Netzpolitik sei in erster Linie technikgeleitete Politik für Spezialisten und Nerds. Das täuscht! Netzpolitik ist Politik mit, für und im Internet. Und sie ist im digitalen Zeitalter vor allem Gesellschaftspolitik – Gesellschaftspolitik, die eine Vergewisserung und Besinnung auf unserer Grundwerte nötig macht.

Denn es geht um ganz zentrale Fragen: Wem gehört der öffentliche Raum Internet? Wer hat Zugang zu den Informations- und Wissensressourcen? Wie können die Freiheitsrechte im Internet nicht nur verteidigt, sondern sogar gestärkt werden? Wie schafft man im Bereich des Urheberrechts einen gerechten Interessenausgleich zwischen Urhebern und Nutzern? Kann das Netz als globales Kommunikationsinstrument eine zentrale Rolle für mehr Gerechtigkeit, Transparenz und Freiheit auch international spielen? Welche Chancen bieten netzbasierte Transparenz- und Beteiligungsinstrumente für gesellschaftliche und demokratische Teilhabe?

Gesellschaftspolitische Fragen

Im Zentrum stehen also in dieser Phase des Umbruchs und der Veränderung nicht zuerst technische, sondern gesellschaftspolitische Fragen. Dabei darf in diesem Prozess keinesfalls nur die Gruppe der Menschen berücksichtigt werden, die selbst besonders aktiv das Internet nutzt, vielmehr gilt auch hier das grüne Motto: „Uns geht’s ums Ganze“.

1. Gerechter Zugang zu Wissen und Information

Ein zentrales Kriterium für die Netzpolitik ist der Zugang zu den Möglichkeiten des Internets. In der modernen Wissens- und Informationsgesellschaft ist der Zugang zu Wissen und Information die Grundlage für alles andere. Am Anfang steht damit die Frage nach technischer und infrastruktureller Gerechtigkeit, denn diese entscheidet, ob und wie wir alle an der Freiheit des Kommunikationsraums Internet teilhaben können oder ob sich eine „digitale Spaltung“ durch die Gesellschaft zieht.

Die Entscheidung, in welcher Gesellschaft wir morgen leben wollen, ist somit unmittelbar verknüpft mit der Frage, welche Technik zum Einsatz kommt. So hinkt Deutschland seit Jahren einem umfassenden Breitbandausbau hinterher. Unser Ansatz lautet hier „Universaldienst“, der verpflichtend eine Grundversorgung herstellt und somit verhindert, dass es wie jetzt in ländlichen Regionen „weiße Flecken“ gibt, die von einem schnellen Zugang zum Internet abgeschnitten sind.

Das Paradigma des gerechten Zugangs wird seit Jahren auch von der Umgehung der Netzneutralität bedroht. Netzneutralität bedeutet, dass ein Internetserviceprovider unabhängig von der Form und dem Inhalt der Datenpakete, die er transportiert, die gleiche Leistung erbringen muss. Ein ehernes Prinzip, das grundlegend für die Innovationskraft des Internets war, welche das uns heute bekannte Internet überhaupt entstehen ließ.

Einige Internetserviceprovider möchten diesen Grundsatz aufheben und so neue Geschäftsmodelle durch Priorisierung schaffen. Dies gilt es entschieden zu verhindern, bedeutete es doch nichts anderes, als einem Internet erster und zweiter Klasse Tür und Tor zu öffnen und die für eine moderne und vitale Demokratie lebensnotwendige Medienvielfalt zu opfern.

Weitgehend unbeachtet in der öffentlichen Debatte bleiben auch infrastrukturelle Barrieren, die Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Wissensschatz im Internet erschweren oder gar verunmöglichen und so das Potential des Internets zur Inklusion verspielen. Barrierefreiheit muss auch im Internet gelebt werden, dies setzt ein stärkeres Engagement öffentlicher Einrichtungen und der Privatwirtschaft gleichermaßen voraus.

2. Datenschutz

Wenn wir über den Zugang zu Informationen sprechen, müssen wir auch das individuelle Recht beachten, diesen Zugriff zu verwehren. Der Datenschutz ist der Bereich, bei dem die Verteidigung der Bürgerrechte im Netz am deutlichsten wird. Auch wenn manch öffentliche Debatte es suggeriert, Datenschutz und Privatsphäre sind nicht irgendein überkommenes Privileg.

Es sind vielmehr grundlegende Bürgerrechte, die es zu verteidigen gilt. Denn die vielfach gelebte Praxis im Internet, aufgezwungene privatrechtliche Geschäftsbedingungen einiger großer Diensteanbieter im Internet zu akzeptieren, greifen massiv in den Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung ein und machen eine grundlegende Reform des Datenschutzes auf deutscher und europäischer Ebene notwendig. Neben der Verankerung des Datenschutzes im Grundgesetz ist auch eine gesellschaftliche Debatte über den Wandel von Öffentlichkeit nötig.

3. Urheberrecht

Darüber hinaus stehen wir heute vor der großen rechtlichen Herausforderung, einen gerechten Interessenausgleich im Urheberrecht zu finden. Denn in der Urheberrechtsdebatte verhandeln wir nicht weniger als faire Bedingungen für alle Schaffenden und den gesellschaftlichen Zugang zu Wissen und Werken.

Es ist kein Zufall, dass die auf den ersten Blick trockene Materie der Immaterialgüterrechte nun ganze Talkshowrunden, Radiosendungen, Blogs und Zeitungsseiten füllt und hunderttausende Menschen in Deutschland und ganz Europa dazu bringt, auf die Straßen zu gehen, um ihre alltägliche Kulturpraxis zu verteidigen.

Kaum jemand würde widersprechen, dass die schnelle, kostengünstige, unbegrenzte Vervielfältigungsmöglichkeit bestimmter Inhalte bei gleichbleibender Qualität und die globale Verbreitungsmöglichkeit über das Internet enorme Chancen bergen. Gleichzeitig lebten viele UrheberInnen und Urheber sowie Verwertungsgesellschaften bislang von Geschäftsmodellen, die an die Prozesse von Produktion und Vertrieb anknüpfen und auf einer geregelten Beschränkung des Zugangs fußen.

Die komplexe Herausforderung besteht nun darin, einerseits die Teilhabe an Wissen, Information und Kultur zu ermöglichen und andererseits die Urheberinnen und Urheber fair zu vergüten. Der Modernisierungs- und Reformbedarf im Urheberrecht ist zu groß und komplex, um hier auf jeden Aspekt einzeln eingehen zu können. Im Mittelpunkt steht für uns die private Nutzung im nicht-kommerziellen Umfang, also der alltägliche Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken.

Die Versuche, den Zugang zum digital verfügbaren Wissensschatz auf technischer Ebene künstlich zu beschränken oder mit zivil- und strafrechtlichen Mitteln einer gesellschaftlichen Massenbewegung repressiv entgegenzutreten, sind in den letzten Jahren reihenweise gescheitert. Der Ansatz muss deshalb lauten „vergüten statt verfolgen“.

So prüfen wir zurzeit Modelle einer Pauschalabgabe auf Breitbandanschlüsse, die eine finanzielle Entlohnung für die Urheberinnen und Urheber ermöglichen und zugleich den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu Wissen und Informationen wahren. Dies kann selbstverständlich nur ein Baustein sein, denn gerade im Urheberrecht zeigt sich deutlich, dass es einfache Lösungen nicht gibt.

Dies haben auch die hitzigen Debatten der letzten Monate um das internationale Abkommen ACTA (Anti Counterfeiting Trade Agreement) offenbart. Dabei ging es zum einen darum, die Zementierung eines überholten Urheberrechts auf Kosten der Grundrechte zu verhindern. Zum anderen haben die auch im Netz organisierten Proteste sowie die deutliche Ablehnung durch das Europaparlament gezeigt, dass in einer modernen Demokratie weitreichende (internationale) Verträge nicht mehr still und heimlich in Hinterzimmern ausgehandelt werden können.

Bürgerinnen und Bürger erheben zu Recht den Anspruch auf mehr Transparenz und politische Teilhabe. Das Internet bietet hierfür zahlreiche neue Möglichkeiten. Der Protest gegen ACTA offenbart somit auch die Chancen einer digitalen Bürgerbewegung.

Partizipative Demokratie

Netzpolitik bedeutet vor diesem Hintergrund auch, die unglaublichen Chancen des Internets für eine transparente und partizipative Demokratie nutzbar zu machen. Noch nie zuvor war es so einfach, den Bürgerinnen und Bürgern Grundlagen staatlicher Entscheidungen zugänglich zu machen und mit ihnen in einen direkten Dialog zu treten. A

ls Grüne sind wir dem Prinzip der Basisdemokratie von jeher verbunden und möchten es im digitalen Zeitalter fortschreiben und weiterentwickeln. Daher streiten wir für eine neue Transparenz- und Dialogkultur. Dafür bedarf es beispielsweise einer Ausweitung, Modernisierung und Grundrechtsverankerung des Rechts auf Informationsfreiheit.

Das bisher bestehende Prinzip, dass Verwaltungen Gutachten, Erhebungen und andere Dokumente nur auf Nachfrage herausgeben müssen, muss umgekehrt werden: Diese Daten müssen grundsätzlich als offene Daten (open data) proaktiv zur Verfügung gestellt werden. Die Geheimhaltung, nicht die Veröffentlichung muss in Zukunft die begründungsbedürftige Ausnahme sein. Dies ist nur ein Baustein auf dem Weg zu einem neuen Staatsverständnis im digitalen Zeitalter, das der Transparenz und Bürgernähe verpflichtet ist.

In diesem Sinne haben wir als grüne Bundestagsfraktion auf unserer Homepage eine Kommentarfunktion eingerichtet, mittels derer interessierte Bürgerinnen und Bürger unsere Arbeit begleiten können. Ferner haben wir erstmals Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben, online an einer Gesetzesinitiative mitzuwirken.

Seit 2009 gibt es die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Dieses Gremium ermöglicht es, dass allen Fraktionen und die 17 Sachverständigen die vielen Facetten des digitalen Wandels wissenschaftlich zu bearbeiten und zum Ende der Legislaturperiode Handlungsempfehlungen an den Bundestag zu reichen.

Aber nicht nur Abgeordnete und benannten Experten sind an der Arbeit beteiligt. Uns war es von Anfang an ein großes Anliegen, den sogenannten „18. Sachverständigen“ einzubinden, also alle Bürgerinnen und Bürger.

Per Forum, mit Kommentarfunktionen und Abstimmungsmöglichkeiten können Interessierte eigene Vorschläge einbringen, die direkt in die parlamentarische Arbeit einfließen. Die Resonanz auf diese neuen Möglichkeiten direkter demokratischer Teilhabe waren bisher sehr positiv und wir haben vielfach gute Vorschläge aufnehmen können. Das zeigt uns, wie wichtig und richtig es ist, vor dem Hintergrund der digitalen Möglichkeiten den Weg der Transparenz und größeren politischen Partizipation weiter zu beschreiten.

Wichtig ist, die Internetfreiheit nicht mit einer Deregulierung des Internets zu verwechseln. Wir brauchen Regeln für die digitale Welt, aber vor allem brauchen wir als Gesellschaft im digitalen Zeitalter digitale Grundwerte. Der technische, kulturelle und soziale Umbruch ist zu gravierend, als dass sich dieser allein mit neuen Gesetzen gestalten ließe. Alle Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen, sich an einer grundlegenden Debatte über die Bedingungen für einen gerechten digitalen Gesellschaftsvertrag zu beteiligen.

Dr. Konstantin von Notz ist Mitglied des Deutschen Bundestags (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) und der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“.

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