Seit nunmehr knapp einem Jahr beschäftigen wir uns im Deutschen Bundestag sehr intensiv mit der Aufklärung des größten Überwachungs- und Geheimdienstskandals in der Geschichte der westlichen Demokratien (hier eine unvollständige Übersicht unserer zahlreichen grünen Initiativen hierzu). Vorgestern hatten wir bereits ausführlich darüber berichtet, dass der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Überwachungs- und Geheimdienstaffäre nun tatsächlich kommt und Anfang April seine Arbeit aufnehmen wird. Hier der zwischen den Fraktionen abgestimmten Einsetzungsbeschluss (pdf).

Gestern hatten wir die Videos der Reden, die mein Kollege Hans Christian-Ströbele (stellvertretendes Mitglied) und ich (Mitglied und Obmann) für die Grüne Fraktion im Rahmen der Debatte zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses im Plenum des Bundestages gehalten haben, verbloggt. An dieser Stelle dokumentieren wir ein Interview, das ich im Anschluss an die gestrige Debatte dem schleswig-holsteinischem Zeitungsverlag gegeben hat. Das Interview im Original findet Ihr auf den Seiten des SHZ-Verlags. Wie immer gilt: Über Eure Kommentare und Rückmeldungen freue ich mich.

Von Notz im Untersuchungsausschuss –

Schleswig-Holsteiner will NSA-Affäre aufklären

vom 20. März 2014

Der Möllner Bundestags-Abgeordnete Konstantin von Notz (Grüne) spricht im Interview über seine Rolle im Untersuchungsausschuss und die Angst, von Geheimdiensten wie der NSA überwacht zu werden.

Berlin | Ein Dreivierteljahr nach dem Bekanntwerden der Spähaktionen des US-Geheimdienstes NSA in Deutschland beginnt die parlamentarische Aufklärung der Affäre. Der Bundestag setzte mit den Stimmen aller Fraktionen den Untersuchungsausschuss ein, der die Schnüffeleien der NSA und anderer Nachrichtendienste in Deutschland ab April aufarbeiten soll. Konstantin von Notz aus Mölln ist Mitglied im Bundestag für die Grünen und seit heute ständiges Mitglied im neuen NSA-Ausschuss.

Der NSA-Untersuchungsausschuss war heute Thema im Bundestag. Wie haben Sie die Debatte empfunden?
Ich habe fraktionsübergreifenden Aufklärungswillen im Parlament erkannt. Das war in den vergangenen Monaten noch nicht so. Ich glaube, dass einige Abgeordnete auch in ihren Wahlkreisen gemerkt haben, dass die Bevölkerung über das Ausmaß der Überwachung entsetzt ist. Insofern haben die Fraktionen der großen Koalitionen der Bundesregierung etwas voraus. Die hat sich bisher ja leider noch nicht so klar dazu geäußert.

Was wäre für Sie das optimale Ergebnis Ihrer Arbeit im Ausschuss?
Edward Snowden hat die Massenüberwachung unserer Kommunikation offenbart. Wir wollen jetzt prüfen lassen, ob die Geheimdienste dafür auch zusammengearbeitet haben. Ein wichtige Frage wird sein: Waren auch deutsche Dienste darin involviert? Hier wollen wir Transparenz schaffen, um dann die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. In einem freien Rechtsstaat darf es keine anlasslose Überwachung geben. Die gibt es sonst nur in totalitär geführten Ländern.

Welche Konsequenzen können Sie sich vorstellen?
Wir werden auf klare internationale Abkommen drängen. Insbesondere die europäischen Länder müssen hier ein gemeinsames Vorgehen vereinbaren und es mit unseren Freundinnen und Freunden in den USA diskutieren. Auch dort ist die Diskussion offen. Viele Parlamentarier sehen den NSA-Skandal dort mittlerweile ebenfalls sehr kritisch.

Sie werden im Ausschuss wichtigen Menschen unangenehme Fragen stellen müssen. Glauben Sie, dass das für Sie Nachteile mit sich bringt?
(lacht) Nein, ich glaube, dass es in einem freien Land wie dem unseren die Aufgabe von Abgeordneten ist, kritische Fragen zu stellen – unabhängig vom Ansehen einzelner Personen. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss ist das schärfste Schwert des Parlaments. Die Befragten sind bezüglich ihrer Aussagen der  Wahrheit verpflichtet wie vor einem Gericht. Uns geht es um Aufklärung und das Aufzeigen notwendiger Konsequenzen, nicht darum, jemanden anzuprangern.

Die Geheimdienste haben schon einige Grenzen überschritten. Befürchten Sie jetzt selbst Ziel von Bespitzelung zu werden?
Ich versuche generell meine Kommunikation bestmöglich zu schützen. Diesbezüglich war ich schon immer relativ problembewusst, besonders in den vergangenen Monaten. Aber die Krux ist: Geheimdienste sitzen immer am längeren Hebel. Wenn die Sie überwachen wollen, tun sie das auch – egal ob Sie Ihre Kommunikation verschlüsseln oder nicht. Gerade deshalb müssen wir sie ja gesetzlich beschränken und den Schutz von Bürgerinnen und Bürgern, Politik, aber auch der Wirtschaft garantieren.

Sie haben immer wieder betont, dass Sie Edward Snowden im Ausschuss befragen wollen. Halten Sie das für realistisch?
Die Koalition lehnt es nicht pauschal ab. In unserem gemeinsamen Untersuchungsauftrag ist Edward Snowden explizit aufgeführt. Wir würden uns sehr freuen, wenn Edward Snowden für eine Befragung nach Deutschland käme. Wir sind aber auch bereit, über andere Wege des Austausches nachzudenken. Es ist übrigens kein Zustand, dass sich Herr Snowden ausgerechnet in einem autoritär geführten Land wie Russland aufhalten muss. Das ist ein Armutszeugnis für die europäischen Demokratien. Es gibt also gute Gründe, ihm einen sicheren Aufenthalt in einem europäischen Land seiner Wahl zu gewähren.

Wollen Sie auch die Kanzlerin zur NSA-Überwachung befragen lassen?
Die Kanzlerin ist nicht das wichtigste, aber zweifellos das prominenteste Opfer der bekannt gewordenen Überwachung. Sie hat direkt mit dem amerikanischen Präsident darüber gesprochen, der ihr gegenüber das Abhören eingestanden hat. Insofern ist sie zweifellos eine sehr interessante Zeugin. Ich bin davon überzeugt, dass die Kanzlerin nicht weiterhin damit durchkommt, dieses Problem einfach auszusitzen. Selbst Barack Obama hat sich ja zwischenzeitlich wesentlich ausführlicher zum NSA-Skandal geäußert. Wir erwarten von Angela Merkel, dass sie sich klarer positioniert als bisher.

Gerade wurde bekannt, dass die NSA ganze Telefonate aufgezeichnet und gespeichert hat. Inwiefern glauben Sie, dass noch weitere Wahrheiten oder Lügen durch die Arbeit des Untersuchungsausschusse aufgedeckt werden?
Ich gehe fest davon aus, dass wir noch weitaus mehr als derzeit ohnehin schon bekannt ist, herausfinden können. Länder, die sich als freiheitliche Demokratien verstehen, müssen einen Konsens darüber herstellen, dass diese anlasslose Überwachung der Bürger und ein damit einhergehender Generalverdacht nicht akzeptabel ist. Wer überwacht wird, ist nicht frei. Wird diese Überwachung nicht effektiv unterbunden, können sich besagte Länder nicht mehr als freie Länder bezeichnen. Das ist eine der aktuell wichtigsten Fragen: Wollen wir weiter in freiheitlichen Rechtsstaaten leben oder sind wir bereit zu akzeptieren, dass wir vom Staat umfassend und ständig überwacht werden? Nach monatelangen Diskussionen erkennen die Fraktionen des Deutschen Bundestags  mit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses an, dass es diese Überwachung gibt. Das ist ein erster wichtiger Schritt. Und deswegen ist heute auch ein guter Tag für unseren Grundrechtsschutz.

Wie erklärt man den Menschen, dass Überwachung eine konkrete Gefahr ist?
Ein Mensch der sich beobachtet fühlt, verhält sich anders. Dieser Mechanismus wird vielen Menschen derzeit bewusst. Sie haben sich in den vergangen Monaten die Frage gestellt: Was ist, wenn mein Surfverhalten oder meine Telefonate nicht vertraulich sind? Vertrauliche Kommunikation ist konstituierend für eine Demokratie. Es ist ein Denkfehler, davon auszugehen, dass sich niemand für das interessiert, was ich tue. Das Speichern der Kommunikation lassen sich die Geheimdienste enormes Geld kosten – eben weil sie ein Interesse daran haben, ob sich der einzelne Bürger verdächtig verhält. Die Algorithmen, über die verdächtiges Verhalten aufgespürt wird, sammeln jedoch sehr wahllos Verdachtsmomente. Man muss nicht unbedingt „Bombe“ in die Betreffzeile schreiben oder auf einer islamistischen Website surfen, um auffällig zu werden. Somit können auch unbescholtene Bürger ins Raster geraten. Mit Terrorismusbekämpfung hat dies nur sehr wenig zu tun. Gleiches gilt für die nun bekannt gewordene Spionage gegenüber der Wirtschaft. Auch sie zeigt: Hier hat sich ein System verselbstständigt, dass sich in demokratischen Rechtsstaaten nicht verselbstständigen darf. Die Herrschaft des Rechts und eine funktionierende parlamentarische Kontrolle wieder herzustellen, ist zweifellos eine große Aufgabe. Sich dieser Herausforderung nicht zu stellen, wäre für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit jedoch fatal.

Autor: Kerstine Appunn und Tobias Fligge

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