Alle sind sich einig: Der Reform- und Modernisierungsbedarf des Urheberrechts für die digitale Gesellschaft ist seit langem enorm und überfällig. Daher begrüßen wir, dass sich die neue EU-Kommission dieser Mammutaufgabe stellt und bis Sommer 2015 eigene Reformvorschläge vorlegen will – und damit en passant die große Koalition überholt.
Das von der grünen Bundestagsfraktion in Auftrag gegebene Kurzgutachten „Urheberrechte in CETA“ (pdf), das wir hier für alle Interessierten zum Nachlesen zur Verfügung stellen, zeigt allerdings große Probleme hinsichtlich der vorfestlegenden Wirkung des Freihandelsabkommens CETA auf die nationalen und EU-weiten Reformen im Urheberrecht auf. Es kommt zu dem Schluss:
„Es bleibt festzuhalten, dass das bilaterale Freihandelsabkommen keine positiven Impulse für die notwendige Reform auf europäischer und nationaler Ebene setzt und teilweise durch präjudizierende Wirkung künftigen Handlungsspielraum verhindert.“
Das wird zum Beispiel am Recht der Nutzerinnen und Nutzer auf Privatkopien deutlich. Die Privatkopie ist ein Nutzerrecht, das per „Schranke“ im Urheberecht eingeräumt wird und Kopien eines urheberrechtlich geschützten Werkes für die nicht gewerbliche und nicht öffentliche Nutzung erlaubt. De facto wird dieses Recht aber durch ein Verbot der Umgehung technischer Schutzmaßnahmen unterlaufen. Diese verbraucherunfreundliche Regelung soll mit CETA nun festgeschrieben und der gegenwärtige, restriktive Stand eingefroren werden. Hierzu hält das Gutachten fest:
„Die anstehende Reform des EU-Urheberrechts sollte diesen Regelungsbereich modernisieren. Eine völkerrechtliche Vereinbarung mit Kanada würde diese Option verhindern.“
Bemerkenswert sind wörtliche Übereinstimmungen zwischen CETA und ACTA. ACTA – das Anti Counterfeiting Trade Agreement – scheiterte auch Aufgrund eines europaweiten und sehr breiten Widerstandes gegen rein repressive Maßnahmen der Urheberrechtsdurchsetzung. Dieser Ansatz findet sich in CETA letztlich jedoch nicht wieder. Dies ist auch ein später Erfolg des massiven Widerstands gegen ACTA und Ergebnis völkerrechtlicher Vorgaben und jüngster Urheberrechtsreformen in Kanada.
Das Hauptproblem des bilateralen Freihandelsabkommen bleibt aber, dass der dringende Reform- und Modernisierungsbedarf des Urheberrechts in der digitalen Gesellschaft durch eine Zementierung des Status Quo auf EU-Ebene nahezu verhindert wird. Daher empfiehlt das Gutachten:
„Es muss daher sichergestellt werden, dass die Vereinbarung die bereits angekündigte Modernisierung des Urheberrechts in Deutschland und in der Europäischen Union nicht vereitelt. Dem Abkommen sollte aus diesem Grund zumindest eine entsprechende Vorbehaltsklausel hinzugefügt werden, damit der Reformprozess weiter autonom möglich bleibt. Und was für CETA gilt, muss auch in Bezug auf TTIP und weitere Freihandelsabkommen immer im Blick behalten werden.“
An dieser Stelle dokumentieren wir das Fazit des Gutachtens im Wortlaut:
5. Fazit
Für eine abschließende Bewertung lässt sich festhalten: Verglichen mit ACTA und frühen CETA-Entwürfen hat bis zum abschließenden Vertragstext in Bezug auf das Urheberrecht eine positive Verschiebung stattgefunden. Vom ursprünglich, noch über den Status-Quo gehenden, sehr auf Repression setzenden Ansatz wurde weitgehend Abstand genommen. Die meisten Vorschläge, die eine Verschärfung des Regelungsbestandes vorsahen, sind im Verlauf der Verhandlungen wieder zurückgenommen worden. Das ist mutmaßlich vor allem auf Initiative der kanadische Delegation geschehen, nachdem Kanada mit der eigenen Urheberrechtsreform 2012 entscheidende Weichen gestellt hatte. Die so letzten Endes gefundene Stoßrichtung der Vorschriften zum Urheberrecht im Einklang mit den Vorstellungen Kanadas wurde wahrscheinlich mit weitgehenden Zugeständnissen in Bezug auf die Regelungen zu Pharma-Patenten und dem Schutz geografischer Angaben erkauft.
Im Angesicht des finalen Entwurfs kommt der kanadische Jurist Michael Geist zu dem Urteil: “While there remain reasons to criticize CETA, the copyright provisions are not among them.” Dieser Einschätzung kann man sich mit Vorbehalten anschließen.
Der kritischste Punkt des Gesamtabkommens bleibt wohl die vorgesehene Einführung der ISDS. Im Bereich des Urheberrechts, ist am problematischsten, die Zementierung des Verbots, technische Schutzmaßnahmen zu umgehen, vor allem im Hinblick auf eine nötige Modernisierung des Urheberrechts auf EU-Ebene.
- CETA bestätigt die bereits bestehenden Bestimmungen zum Schutz technischer Schutzmaßnahmen. Diese sind problematisch, weil sie an sich legitime Nutzungen wie das Anfertigen von Privatkopien und die Möglichkeit von Fair Use unterdrücken. Die anstehende Reform des EU-Urheberrechts sollte diesen Regelungsbereich modernisieren. Eine völkerrechtliche Vereinbarung mit Kanada würde diese Option verhindern.
- Die Bestimmung zur strafrechtlichen Sanktionierung des Abfilmens von Kinofilmen schafft politischen Druck, eine entsprechende Regelung ins innerstaatliche Recht umzusetzen. Damit würde der Bestand strafrechtlicher Regelungen im Urheberrecht weiter anwachsen. Ein solch repressiver Ansatz erscheint insgesamt als nicht angezeigt.
- Die weitere Verfestigung bestehender urheberrechtlicher Regelungen durch ein bilaterales Handelsabkommen bleibt im Angesicht des dringenden Reformbedarfs das größte Problem an CETA. Es muss daher sichergestellt werden, dass die Vereinbarung die bereits angekündigte Modernisierung des Urheberrechts in Deutschland und in der Europäischen Union nicht vereitelt. Dem Abkommen sollte aus diesem Grund zumindest eine entsprechende Vorbehaltsklausel hinzugefügt werden, damit der Reformprozess weiter autonom möglich bleibt. Und was für CETA gilt, muss auch in Bezug auf TTIP und weitere Freihandelsabkommen immer im Blick behalten werden.
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