Kostenfrei und rechtssicher öffentliche WLANs nutzen – weltweit ist das eine verbreitete Selbstverständlichkeit, nur in Deutschland bekommen es nunmehr schon zwei Regierungen unter Kanzlerin Merkel nicht hin, eine praktikable und rechtsfeste Lösung für den unseligen Dauerbrenner der „Störerhaftung“ vorzulegen. Seit Jahren scheitert die Bundesregierung auf geradezu tragikomische Weise an dieser so dringlichen und eigentlich nicht allzu komplizierten Reform des Telemediengesetzes (hier eine Übersicht zu dieser Vorgeschichte) und auch der jüngste, leider wieder einmal unabgestimmte Vorstoß aus dem Bundeswirtschaftsministerium (mehr dazu hier) wird daran absehbar wohl nichts ändern: Denn dieser sieht neben einigen unentschlossenen Entlastungsschritten bei der Providerhaftung mit den nun erstmals gesetzlich geplanten Netzsperren eine folgenschwere Verschlimmbesserung vor, die mit Sicherheit die meisten Café-Betreiber oder das Mehrgenerationenhaus um die Ecke davon abhalten wird, ihr WLAN zu öffnen.

Für die April-Ausgabe der Deutschen Richterzeitung (DRiZ) hat Konstantin daher als netzpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion den Contra-Beitrag gegenüber dem Pro-Part seines SPD-Kollegen Lars Klingbeil verfasst. Den Text veröffentlichen wir anbei, beide Beiträge findet Ihr auch auf der Seite der Zeitschrift: http://rsw.beck.de/driz/pro-und-contra/rechtssicherheit-fuer-wlan-anbieter   

Endlich Rechtssicherheit für WLAN-Anbieter?
Contra-Gastbeitrag Konstantin von Notz, stellvertretender Vorsitzender der Grünen Bundestagsfraktion, in: Deutsche Richterzeitung, April 2017

Unterwegs etwas recherchieren oder im Mehrgenerationen-Haus das WLAN teilen – lange schon werden unbescholtene Gastronomen oder Familien für Rechtsverstöße unbekannter Dritter in ihrem ungeschützten WLAN durch eine regelrechte Abmahnindustrie belangt. Die „Störerhaftung“ sorgt für eine immense Rechtsunsicherheit und verzögert die digitale Entwicklung Deutschlands seit Jahren. Nicht ohne Grund ist sie international eine Orchidee geblieben.

Ein öffentlicher, kostenfreier und anonymer Netzzugang ist in einer immer digitalisierteren Welt unerlässlich für gesellschaftliche Teilhabe in so gut wie jedem Lebens- und Arbeitsbereich. Ehrenamtliche Freifunker und jüngst gar schleswig-holsteinische Sparkassen setzen sich für offene Netze auf Kirch- und Rathaustürmen oder in Asylunterkünften ein.

Von Landesjustizministern über die EU, vom Handel bis zu Netzaktivisten wurde daher eine Reform des Telemediengesetzes angemahnt, um die Rechtsunsicherheit seit dem umstrittenen BGH-Urteil von 2010 zu beheben. Anstatt die Haftungsfreistellung von Access-Providern auch bei offenen Netzen anzuwenden, die ja die Daten Dritter ebenfalls nur weiterleiten, schrieben die Richter nutzungsunfreundliche Vorgaben von Vorschaltseiten bis Passwörtern vor – sonst drohe die „Störerhaftung“.

Obwohl der dringliche Reformbedarf seitdem unstrittig ist, legte man nach geschlagenen sechs Jahren voller Ressortkonflikten und Machtworten  zwei aufeinanderfolgende Entwürfe vor, die jeweils vollends an den digitalen Realitäten vorbeigingen. Statt einer Klarstellung bei der Providerhaftung im Gesetzestext beließ es die Große Koalition bei unverbindlichen Begründungspassagen und setzte auf eine Entscheidung des EuGH – nur um zu guter Letzt durch die Entscheidung selbst und die Luxemburger Passwort-Vorgabe konterkariert zu werden. Abmahnanwälte haben somit dank Unterlassung bis heute noch ein Geschäftsmodell.

Rechtzeitig zum Wahlkampf, aber leider wieder einmal wenig erfolgversprechend weil unabgestimmt prescht nun das Wirtschaftsministerium mit einem neuen Entwurf vor. Zwar ist jetzt die lange überfällige Befreiung bei Schadensersatz sowie Unterlassungs- und Gerichtskosten zunächst einmal vorgesehen. Doch können weiterhin Gerichte Passwort- und Registrierpflichten anordnen.

Vor allem aber sind als ultima ratio die bis dato nur einzelgerichtlich anerkannten Netzsperren von bestimmten Ports und Seitenzugriffen nun erstmalig in Gesetzesform geplant: Neben technischen Problemen droht damit ein schleichender Zensureffekt des „overblocking.“ Betroffene Anbieter müssten die Kosten eines verlorenen Widerspruchs tragen. Ein Café-Betreiber oder eine Kirchengemeinde werden da im Zweifel eher zu viel und zu schnell sperren – falls sie nicht gleich ihr offenes WLAN abschalten. Denn eine solche Sperrinfrastruktur ist für die vielen Privatbetreiber ein erheblicher Aufwand. So käme es wieder zur Konzentration auf einige wenige Großanbieter – zulasten wirklich offener und überwachungsfreier Netzzugänge.

Dabei geht es keineswegs um die Quadratur des Kreises, sondern eher um einen Elfmeter ohne Torwart – nur die Große Koalition trifft das Tor partout nicht. Im Digitalen stellen sich oft durchaus komplexe Rechtsfragen. Hier nicht: 2014 brachten wir Grüne gemeinsam mit der Fraktion der Linken einen konkreten und praktikablen Regelungsvorschlag ins Parlament ein, der von der Zivilgesellschaft erarbeitet worden war. Er ließe sich noch vor den Wahlen fraktionsübergreifend verabschieden. Das Problem wäre endlich gelöst.

 

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