Die Debatte um die rechtsstaatliche Bekämpfung strafrechtlich relevanter Meinungsäußerungen in den sozialen Netzwerken beschäftigt uns schon seit geraumer Zeit, vor allem im Kontext des „Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“. Nach dem rechtsterroristischen Anschlag von Halle fokussierte man sich mehr uind mehr auf den organisierten Rechtsextremismus. Die Bundesregierung versprach ein „Gesetz gegen Rechtsextremismus und Kasskriminalität“. Sämtliche Warnungen schlug man in den Wind und legte erneut ein verfassungswidriges Gesetz vor. Das Gesetz ist bis heute nicht in Kraft. In einem Gastbeitrag, den ich gemeinsam mit Renate Künast verfasst habe, fordern wir die Bundesregierung auf, dem Bundestag endlich ein verfassungskonformes Gesetz vorzulegen. Unser Gastbeitrag vom 14.12.2020, den wir hier dokumentieren, ist auf den Meinungsseiten der WELT erschienen.

So versagt die Regierung im Kampf gegen den organisierten Rechtsextremismus

von Renate Künast & Konstantin von Notz

Es ist beschämend: Seit 1990 sind nach Schätzungen der Amadeu-Antonio-Stiftung 213 Menschen Todesopfer rechter Gewalt geworden. Der organisierte Rechtsextremismus hat gelernt, die neuen Möglichkeiten des Digitalen zur Vernetzung, Mobilisierung und Radikalisierung zu nutzen. Viel zu spät hat die Bundesregierung hierauf reagiert. Erst nach der – vielfach als Zäsur bezeichneten – Ermordung Walter Lübckes durch einen Rechtsextremisten und dem rechtsterroristischen Anschlag in Halle kurz darauf beschloss die Bundesregierung im Oktober 2019 ein Maßnahmenpaket. Zentraler Baustein dieses Pakets war das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“. Der im Dezember 2019 vorgelegte Entwurf aus dem Bundesjustizministerium zielte darauf ab, das Bundeskriminalamt (BKA) als Zentralstelle zu stärken und Unternehmen wie Facebook und andere Plattformen zu verpflichten, nicht nur Inhalte, sondern auch vorliegende „Bestandsdaten“ der Nutzerinnen und Nutzer auszuleiten. Ziel war es, die Vernetzung von Rechtsextremisten durch übergreifende Lagebilder besser zu erkennen. Hunderte neue Stellen sollten geschaffen werden. Gleichzeitig sollten die Befugnisse der Sicherheitsbehörden bei der Bestandsdatenabfrage massiv ausgeweitet werden. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stand die Verfassungskonformität somit von vornherein infrage.

Bundesregierung stand vor einem Scherbenhaufen

Im Februar, also mitten im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess, erschütterte uns die Nachricht über einen weiteren rechtsextremistischen Anschlag. Die Tat von Hanau verdeutlichte die Dringlichkeit einer rechtsstaatlichen Antwort auf den Rechtsextremismus aufs Neue. In der Anhörung im Mai bekräftigten die Sachverständigen unsere Bedenken bezüglich des bisher vorgesehenen Meldeverfahrens. Doch alle guten Argumente und im Parlament vorgelegten Alternativen konnten CDU, CSU und SPD nicht überzeugen. Völlig unverständlicherweise hielt man am bisherigen Vorgehen fest und lief sehenden Auges gegen die Wand. Das Gesetz wurde im Juni im Bundestag beschlossen, und sämtliche von uns eingebrachten Änderungsanträge wurden abgelehnt. Im Juli dann der Paukenschlag: Das Bundesverfassungsgericht urteilte ein weiteres Mal zu den Bestandsdaten. Das betraf in der Sache auch die entsprechenden Regelungen im Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Die Bundesregierung stand – einmal mehr – vor einem Scherbenhaufen.

Innenministerium soll „Reparaturgesetz“ erarbeiten

Ein von uns beauftragtes Rechtsgutachten erläuterte den dringenden Korrekturbedarf. Doch von der Bundesregierung gab es hierzu nur Schweigen im Walde. Presserecherchen deckten schließlich auf, dass der Bundespräsident das Gesetz aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken bisher nicht ausgefertigt hatte und Justiz- und Innenministerium längst zum weiteren Vorgehen im Austausch standen. Erst durch parlamentarische Nachfragen erfuhren wir, dass das Innenministerium schleunigst ein „Reparaturgesetz“ erarbeiten solle. Dass die Bundesregierung den Bundestag und seine Fraktionen über diese gravierenden Vorgänge nicht informierte, ist ein echter Affront gegenüber dem Parlament als Verfassungsorgan. Denn nur der Bundestag kann – gemeinsam mit dem Bundesrat – ein „Reparaturgesetz“ beschließen. Insgesamt ist der Umgang von Bundesregierung, aber auch von CDU, CSU und SPD, die allzu willfährig das Spiel der Exekutive mitspielen, parlamentarisch unterirdisch. Ein weiterer Antrag zur Reparatur des Gesetzes, den wir wiederholt im Rechtsausschuss aufgesetzt haben, wird seit Wochen mit GroKo-Mehrheit von den Tagesordnungen abgesetzt. Derzeit werden wir wöchentlich Zeugen eines wahren Regierungskindergartens, in dem Justizministerin Lambrecht Innenminister Seehofer über die Presse Briefe schickt, in denen sie auf ein rasches Vorgehen dringt. Das ist exekutive Verantwortungsdiffusion at it’s best mit dem Ziel, von der eigenen Verantwortung für dieses Gesetz abzulenken.

BKA könnte mit Meldungen überschwemmt werden

Nun gibt es endlich einen Referentenentwurf für ein Reparaturgesetz, der mit einer einwöchigen Frist zur Stellungnahme an Verbände geschickt wurde. Dem Parlament liegt er bisher nicht offiziell vor. Während an einigen Stellen offenbar nachgebessert wurde, soll die Meldepflicht der Diensteanbieter unverändert bestehen bleiben. Mit der Folge, dass massenhaft Daten von Nutzerinnen und Nutzern, auch von denjenigen, bei deren Beiträgen nicht mal tatsächliche Anhaltspunkte für einen strafrechtlichen Anfangsverdacht bestehen, ohne ausreichende Schutzmechanismen durch Private ans BKA übermittelt werden. Was mit diesen Daten passieren soll, bleibt weiter unklar. Zugleich steigt die Gefahr, dass dadurch das BKA nach Art einer „Denial of Service“-Attacke mit einer kaum abzuschätzenden Vielzahl von Meldungen überschwemmt wird. Und die dem BKA vollmundig von der GroKo versprochenen Hunderte zusätzlichen Stellen gibt es nicht. Koalitionsintern abgestimmt ist der Entwurf noch nicht. Wann er ins Kabinett, in den Bundesrat und in den Bundestag kommt, ist weiterhin völlig unklar. Das Gesetz, das unmittelbar nach dem Anschlag kommen sollte, ist auch ein Jahr nach der schrecklichen Tat von Halle noch nicht in Kraft. Und längst gibt es neue Punkte-Pläne gegen Rassismus und Rechtsextremismus – in denen dieses zentrale Vorhaben mit keinem Wort vorkommt.

Kein weiterer Verzug tolerierbar

Auch bei der – über die derzeitige Diskussion anscheinend in Vergessenheit geratenen – Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes ist unklar, wann sie kommen soll. Seit Sommer ist auch dazu nichts mehr zu hören. So ist wertvolle Zeit für den elementar wichtigen Kampf gegen Rechtsextremismus und -terrorismus verloren gegangen. Dies ist umso bitterer, als dass sich alle demokratischen Fraktionen in dem wichtigen Anliegen einig sind. Die Verantwortung hierfür trägt die Bundesregierung, die einmal mehr nicht auf gute, verfassungsrechtliche Argumente hörte. Der Kampf gegen Rechtsextremismus und strafbare Äußerungen im Internet muss endlich ebenso entschlossen wie rechtsstaatlich angegangen werden. Einen weiteren Zeitverzug können wir uns nicht leisten. Dafür sind die Probleme zu groß. Wir sind es allen Opfern und unserer Demokratie schuldig.

Die Autoren sind für Bündnis 90/Die Grünen Mitglieder des Deutschen Bundestags.

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