Australien verbietet Kindern und Jugendlichen die Nutzung von Instagram, TikTok und anderen Social-Media-Plattformen. Auch in Europa und in Deutschland ist die Diskussion angekommen. Diskutiert wird sowohl über Verbote von Handys und Smartphones an Schulen als auch über ein Verbot der Nutzung von Social Media bis zu einem gewissen Alter. Aber sind pauschale Verbote wirklich sinnvoll? Und: Sind sie überhaupt zu kontrollieren? Für uns bleibt klar: Der Staat muss die großen Social-Media-Plattformen sehr viel stärker regulieren – und für die Um- und nötigenfalls auch Durchsetzung gesetzlicher Vorgaben sorgen. Mit Thomas Eldersch & Fabian Busch habe ich über alleingelassene Eltern, vermessene Nutzer – und den Umgang mit der AfD gesprochen. Das Interview findet ihr auf WEB.DE.

Herr von Notz, Ihr Parteifreund Cem Özdemir will ein Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Sehen Sie das auch so?

Offensichtlich bewegt dieses Thema viele Menschen. Ich habe selbst zwei jüngere Kinder und merke, wie intensiv darüber zum Beispiel an Schulen diskutiert wird. Die technischen Voraussetzungen für eine Altersbeschränkung sind hoch. Wir brauchen aber auf jeden Fall eine klare rechtsstaatliche Regulierung und sehr viel mehr Transparenz von Seiten der Plattformbetreiber. Strenggenommen gibt es bereits heute ein Mindestalter für die Nutzung von Apps wie TikTok – es wird nur nicht beachtet.

Aber ist eine Verbotsdiskussion wirklich sinnvoll?

Ich habe das in den vergangenen Jahren nicht als Verbotsdiskussion wahrgenommen. Aber natürlich können Sie das so bezeichnen. Ich glaube aber, dass wir uns eine ganz andere Frage stellen müssen: Hat der Staat eine Verantwortung, in diesem Bereich Regeln aufzustellen – und diese auch tatsächlich um- und nötigenfalls durchzusetzen? Im Augenblick wird diese Aufgabe viel zu häufig auf die Familien, auf die Eltern abgewälzt.

Wie beantworten Sie denn die Frage?

Ein Kettensägen-Massaker im Kino dürfen sich Minderjährige unter 18 Jahren nicht anschauen. Sehen wir darin ein schlimmes Verbot, einen ungerechtfertigten Eingriff in die freie Selbstentfaltung? Ich glaube nicht. Oder auf Social Media bezogen: Wollen wir wirklich, dass sich ein siebenjähriges Kind auf dem Smartphone in Zeitlupe 17-mal hintereinander anschauen kann, wie Charlie Kirk in den USA in den Hals geschossen wird? Ich denke, wir haben einen Konsens, dass das nicht gut wäre. Ich plädiere für lebensnahe, umsetzbare Lösungen. Eine Regulierung der Plattformen ist hierbei wahrscheinlich der sehr viel praktikablere Weg als die Regulierung der User.

Was meinen Sie damit?

Sie werden als Nutzer da sehr präzise vermessen. Die wissen, wie alt Sie sind, welche Interessen, Neigungen, Freunde, Religion, sexuelle Orientierung und Kaufgewohnheiten Sie haben. Die setzen Ihnen dann die passenden Inhalte vor, um Sie möglichst lange auf der Plattform zu halten. Das betrifft Kinder und Jugendliche genau wie Erwachsene. Und wir wissen bis heute nicht, wie die Plattformen das genau machen, welche Algorithmen konkret zum Einsatz kommen und an wen die so erstellten Profile durch die Betreiber, die eigentlich gigantisch große Werbefirmen sind, weiterverkauft werden.

Und was folgt für Sie daraus?

Die Plattformen müssen ihre Algorithmen offenlegen. Ich ziehe mal einen Vergleich: Auf jeder Lebensmittelverpackung müssen die Inhaltsstoffe stehen – selbst wenn das für viele von uns in höchstem Maße kryptische Angaben sind. Und im Digitalen, bei den Produkten, mit denen wir unser Hirn füttern, soll das nicht so sein? Das finde ich merkwürdig. Die Nutzer sollten zumindest darüber informiert werden, welche Mechanismen sie in der Dauerschleife halten. Das wäre aus meiner Sicht sehr viel leichter umzusetzen, als eine Altersbegrenzung, die kaum zu kontrollieren und durchzusetzen ist.

Diese Diskussion, wie man richtig mit Social Media umgehen soll, gibt es schon seit Jahren – passiert ist aber wenig. Genau wie bei der Medienbildung. Immer wieder heißt es, die Schulen müssen mehr Medienkompetenz vermitteln.

Da gebe ich Ihnen recht: Viel zu häufig wird die Medienkompetenz als Feigenblatt für rechtsstaatliche Regulierung herangezogen. Hinzu kommt: Bildungspolitik ist Ländersache, und die 16 Länder regeln dieses Thema sehr autark. Als Folge gibt es jetzt massenhaft Schulen, die von sich aus Smartphones – und -uhren verbieten – auch weil der Gesetzgeber in diesem Bereich nicht tätig geworden ist.

Die Frage ist auch, ob der Gesetzgeber den mächtigen Tech-Konzernen in den USA überhaupt beikommen kann. Die Gewinne der Google-Mutterfirma Alphabet übersteigen inzwischen das Bruttoinlandsprodukt mancher europäischer Länder.

Man hat den großen Tech-Konzernen auch in Europa den roten Teppich ausgerollt. Man hat den digitalen Wandel unserer Gesellschaft bewusst nicht gesetzgeberisch begleitet. Ich will auch gar nicht alle Unternehmen verdammen. Ich erkenne ihren Erfolg durchaus an – sie haben offenbar sehr gute Produkte entwickelt. Trotzdem: Wir haben ja auch in anderen wirtschaftlichen Bereichen keine Scheu, Betriebe zu regulieren. Ich komme aus dem ländlichen Raum in Schleswig-Holstein. Da verstehen viele Landwirte nicht, wie viele Regeln ihnen die Politik aufdrückt. Und im digitalen Bereich machen wir das nicht? Da gibt es bis heute eine extrem große Diskrepanz.

Die Politik warnt immer wieder vor der Einflussnahme Russlands und Chinas. Müssen wir uns auch Sorgen vor der Einflussnahme der USA machen? Zumal, wenn sich ein Präsident wie Donald Trump mit den Tech-Konzernen verbündet?

Ich habe eine differenzierte Perspektive darauf, weil ich mich viel mit Nachrichtendiensten beschäftige. Und da muss ich sagen: Die USA sind für die europäischen und deutschen Geheimdienste ein ganz wichtiger Partner, weil sie in diesem Bereich viel Wissen haben und viel Geld ausgeben. Davon profitieren wir. Es ist auch nicht das ganze Land ins Trump-Lager gewechselt. Noch ist vieles im Fluss und ich weiß nicht, ob Demokratie und Rechtsstaat in den USA überleben werden. Aber ich hoffe es.

Auch Deutschland hat wichtige Fragen zu Demokratie und Rechtsstaat zu klären. Ihre Partei macht Druck bei einem Verbotsverfahren gegen die AfD. Ist es sinnvoll, eine Partei zu verbieten, die ein Fünftel oder sogar ein Viertel der Wähler hinter sich versammelt?

Die Möglichkeit des Parteienverbots ist im Grundgesetz verankert. Sie leitet sich aus unserer historischen Erfahrung ab. In einer Demokratie dürfen nicht deren eigene Feinde an die Macht kommen, um diese dann abzuschaffen. Wenn eine Partei als verfassungsfeindlich eingestuft wird, kann die Zahl ihrer Wähler kein Argument gegen ein Verbot sein. Im Gegenteil: In den Verfahren um die NPD-Verbote hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Eine Partei kann nur eine Gefahr für die Verfassung sein, wenn sie eine relevante Größe hat.

Trotzdem bleibt das Problem, dass die AfD die Ansichten vieler Menschen im parlamentarischen System vertritt. Würde sie verboten, würden sich diese Menschen vielleicht gegen dieses System wenden.

Wenn man aber zu dem Ergebnis kommt, dass eine Partei eine Gefahr für die Demokratie ist, kann die mögliche Frustration ihrer Wähler kein Argument gegen ihr Verbot sein. Denken Sie an die Menschen, die sich von der AfD bedroht fühlen, weil sie eine bestimmte Abstammung, eine sexuelle Orientierung oder einen bestimmten Beruf haben. Soll man deren Sorgen einfach wegwischen? Nein. Mir kommt ein Aspekt in dieser Diskussion viel zu kurz.

Welcher?

Am Ende ist ein Parteienverbot keine politische, sondern eine juristische Frage. Ja, den Antrag für ein Verbot müssten Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung stellen – das ist noch eine politische Frage. Entscheiden würde aber das Bundesverfassungsgericht – und das urteilt in Deutschland völlig unabhängig. Bei einem Verbotsverfahren gibt die Politik die Entscheidung aus der Hand, an die Richterinnen und Richter in Karlsruhe.

Die AfD sagt trotzdem: Den anderen Parteien geht es darum, die immer stärker werdende politische Konkurrenz auszuschalten.

Wir leben in einem Rechtsstaat, und in dem hat natürlich auch die AfD Rechte. Über ein Parteiverbot entscheiden aber nicht die Grünen, nicht die Union und nicht die SPD – sondern das Bundesverfassungsgericht. Die AfD ist nicht nur ein Skandalnudel-Verein. Angesichts ihrer sehr engen Verbindungen nach Russland, nach China und zu zahlreichen anderen Diktatoren stehen da auch Fragen der nationalen Sicherheit im Raum. Viele Informationen über die AfD sind gar nicht öffentlich. Die rechtsextreme NPD hat noch all ihre völkischen Forderungen in ihr Programm geschrieben. Die AfD geht da deutlich vorsichtiger vor und verbirgt vieles.

Was folgt für Sie daraus?

Wir Grüne sagen: Relevant ist, welche Informationen die sechzehn Landesämter für Verfassungsschutz, das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und andere Behörden zu diesem Thema haben. Die sind alle in der Pflicht, sich zusammenzusetzen. Es braucht eine Kommission, die alles Wissen zusammenträgt – und dann muss man mit Fachleuten bewerten, ob es eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein Verbot gibt.

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