Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung gibt es – nicht nur innerhalb der schwarz-gelben Koalition – eine intensive Diskussion um dieses Mittel der Strafverfolgung, seinen Nutzen und die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme, die insofern einen rechtsdogmatischen Dammbruch darstellt, als dass die  Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger verpflichtend anlasslos und verdachtsunabhängig auf Vorrat gespeichert werden. Innerhalb der Bundesregierung verläuft die Konfliktlinie vor allem zwischen dem Bundesministerium des Inneren und Minister Friedrich und dem Bundesministerium für Justiz und Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Die Federführung liegt lag bisher beim FDP-geführten Bundesjustizministerium. Neu befeuert wurde die seit langem geführte Debatte in der vergangenen Woche durch die Europäische Kommission, die der Bundesregierung eine letzte vierwöchige Frist einräumte, die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie umzusetzen, bevor sie eine Nichtumsetzungsklage vor dem EuGH erheben will.

Der neuerliche Vorstoß der Europäischen Kommission überrascht vor allem vor dem Hintergrund, dass mehrere Verfassungsgerichte von Mitgliedsstaaten erklärt haben, dass entweder die Umsetzung der Richtlinie oder gar die komplette Richtlinie mit den jeweiligen nationalen Verfassungen nicht in Einklang zu bringen ist, derzeit eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig ist und sich die entsprechende Richtlinie gerade in der grundlegenden Überarbeitung durch die Kommission befindet. Der Zeitpunkt überrascht aber vor allem auch, da die Vorlage der neuen Richtlinie durch die Europäische Kommission immer wieder verschoben wurde, da es offensichtlich auch der Kommission sehr schwer fiel und fällt, den Nutzen und die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung durch valides Zahlenmaterial zu belegen. Auch vor dem Hintergrund, dass man durchaus der Meinung sein könnte, dass die Europäische Kommission selbst ihre Hausaufgaben noch nicht erledigt und den seit langem in Aussicht gestellten, überarbeiteten Entwurf einer Richtlinie noch immer nicht vorgelegt hat, aber auch angesichts der Tatsache, dass ein solch starres Festhalten an der Umsetzung der bisherigen Richtlinie in deutlichem Widerspruch zu den sonstigen Plänen der Europäischen Kommission, z.B. im Bereich des EU-Datenschutzes steht, überrascht der jetzige Vorstoß der Kommission.

Während einer Anhörung im Unterausschuss Neue Medien des Bundestages zur netzpolitischen Agenda der Europäischen Kommission (hier das Video der Anhörung), zu der die Direktoren der zuständigen Direktionen eingeladen waren, wurde deutlich, warum die Kommission gerade jetzt den Vorstoß unternommen haben könnte: So gab einer der beiden geladenen  Direktoren auf entsprechende Nachfragen verschiedener Fraktionen neben dem Argument, dass Deutschland schon rein rechtlich verpflichtet sei, die nach wie vor bestehende Richtlinie umzusetzen, zusätzlich an, dass die Kommission intensiv geprüft habe, ob die Umsetzung der Richtlinie nach dem Urteil des Verfassungsgerichts tatsächlich nicht verfassungskonform ausgestaltet werden könne und man letztendlich zu dem Schluss gekommen sei, dass dies durchaus möglich sei. Diese sehr eindeutige Aussage des Direktors überrascht vor dem Hintergrund, dass ein solcher Nachweis der Vereinbarkeit der Umsetzung der Richtlinie mit den verfassungsrechtlich hohen Hürden, die das Karlsruher Gericht durch sein Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vorgegeben hat, insofern noch immer aussteht: Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung von konservativer und sozialdemokratischer Seite sind bisher einen solchen Nachweis schuldig geblieben, weil sie bis heute keinen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt haben. Die Kommission, die sich nach eigenem Bekunden intensiv mit der Frage der Vereinbarkeit auseinandergesetzt hat, verfolgt nun offensichtlich den Plan, Deutschland zu einer schnellen Umsetzung zu bewegen, um damit auf europäischer Ebene mit Hinweis auf das hohe deutsche Datenschutzniveau und die Vereinbarkeit der Richtlinie mit deutschem Verfassungsrecht auch andere Länder zur Umsetzung der Richtlinie bewegen zu können.

Gestern veröffentlichte netzpolitik.org ein Schreiben (PDF) von Bundesinnenminister Friedrich an die EU-Kommissarin Malmström, das auf den 28. Februar datiert ist. Auch heise berichtete. In dem nun veröffentlichten Schreiben gibt Minister Friedrich u.a. zu Protokoll, dass als Resultat des Urteils des Bundesverfassungsgericht „keine statistisch belastbaren Erfahrungen zu den Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung” vorlägen. Gleichzeitig verweist der Minister auf die vom BKA, welches wiederum dem Innenministerium unterstellt ist, vorgelegten Statistiken, deren Aussagewert immer wieder kritisch hinterfragt wird.

An dieser Stelle wollen wir gar nicht auf den Inhalt des Schreibens, von dem netzpolitik.org ja zu Recht feststellt, dass es mit einem jüngst vom Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg vorgelegtem Gutachten (wir hatten hier und hier ausführlich über die Studie berichtet) nur schwer unter einen Hut zu bringen ist, eingehen, sondern sind vor allem erstaunt darüber, dass der Innenminister, dessen Zuständigkeit die Vorratsdatenspeicherung gerade nicht ist, ein solches – ganz offensichtlich nicht ressortabgestimmtes – Schreiben an die zuständige Kommissarin richtet. So könnte der Eindruck entstehen, dass Bundesinnenminister Friedrich mit seinem Vorgehen seine Position im Vorfeld der anstehenden Diskussionen innerhalb der schwarz-gelben Koalition stärken wollte, in dem er die Europäische Kommission noch einmal auf die Nichtumsetzung der europäischen Vorgaben durch die Bundesjustizministern hinwies.

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang ein Satz des Schreibens:

„Das Fehlen von Verkehrsdaten aufgrund der Nichtumsetzung der Richtlinie führt allerdings zu erheblichen Einschränkungen bei der Verfolgung oder Verhütung von Straftaten.“

Dass das Schreiben ganz offensichtlich nicht ressortabgestimmt war, kann man auch an der Formulierung „Nichtumsetzung“ leicht erkennen. Bislang gab es innerhalb der Bundesregierung die Sprachregelung, gegenüber der Europäischen Kommission von einer „Teilumsetzung“ der Richtlinie durch die Bundesrepublik Deutschland zu sprechen. Die Formulierung „Nichtumsetzung“ hat in diesem Zusammenhang erhebliche Brisanz, ist sie doch von einem – wenn auch innerhalb der Bundesregierung nicht formal zuständigen – deutschen Regierungsvertreter gegenüber der Europäischen Kommission ausgesprochen. Ich frage mich, ob diese Darstellung – sollte es zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommen, durch den EuGH möglicherweise zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland ausgelegt und verwertet werden könnte.

Zu den möglichen Folgen der Äußerung des Bundesinnenministers gegenüber der Europäischen Kommission habe ich die Bundesregierung noch einmal befragt. Meine Frage im Wortlaut:

„Welche möglichen, auch rechtlichen Folgen ergeben sich für die Bundesregierung aus der Tatsache, dass nicht das Bundesministerium der Justiz, sondern – offenkundig ohne Abstimmung – das Bundesministerium des Inneren mit Schreiben vom 28.02.2012 auf eine Anfrage der EU-Kommission zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung antwortete, und darin trotz der bereits im Raum stehenden Androhung eines Klageverfahrens und entgegen der bisherigen Vortrages („bereits erfolgte Teilumsetzung“) des federführenden Bundesministeriums der Justiz gegenüber der für die Betreibung der Klage verantwortlichen Kommissarin nun vorträgt, das Fehlen von Verkehrsdaten aufgrund der „Nichtumsetzung“ führe zu erheblichen Einschränkungen bei der Verfolgung oder Verhütung von Straftaten?“

Über die Antwort der Bundesregierung halte ich Euch auf dem Laufenden.

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