Am gestrigen Donnerstagabend standen mehrere innen- und netzpolitische Themen auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages. Meine Reden zur EU-Datenschutzverordnung, der sogenannten “Wissenschaftsschranke” und dem §52a sowie zum Mikrozensusgesetz 2005 dokumentieren wir hier. Nachdem wir eben schon auf meine Rede zur EU-Datenschutzverordnung und zu §52a des Urheberrechtsgesetzes hingewiesen haben, an dieser Stelle meine Protokollrede zum Mikrozensusgesetz 2005. Wie immer gilt: Über Kommentare und Anregungen freue ich mich.

Protokollrede zum Mikrozensusgesetz 2005 TOP 24 am 6.11.2012
Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen)

Sehr geehrter Herr Präsident,

verehrte Kolleginnen und Kollegen,

meine Damen und Herren,

die Angaben des Mikrozensus versorgen uns mit so segensreichen Erkenntnissen wie zum Beispiel, dass in Hamburg jede 20. Wohnung leer steht, dass fast die Hälfte der Informatikerinnen und Informatiker im klassischen Familienalter kinderlos sind oder die wirklich triste Aussicht, wonach die Bundesrepublik Deutschland die weltweit niedrigste Geburtenrate von nur acht Kindern auf 1000 Einwohner aufweisen.

Die neuesten Erkenntnisse des jährlich erscheinenden Statistischen Jahrbuches, das vergangenen Monat vorgestellt wurde, und uns Deutschen aktuell bescheinigt, nach Japan die zweitälteste Gesellschaft der Welt zu sein, stammen aus dem Mikrozensus.

Gerade weil der präventive, der vorsorgende und auch auf Nachhaltigkeit und komplexe Steuerungskonzepte setzende Staat nur effektiv sein kann, wenn er über laufend aktuelle Zahlen zur Bevölkerung verfügt, gewinnt das Statistikwesen an Bedeutung. Wer wie die Bundesrepublik Deutschland in den kommenden Jahren auf der Grundlage von Demographieberichten mit den Folgen schrumpfender Erwerbsbevölkerung, der zunehmenden Alterung und dem Kinderschwund zu rechnen hat, kann auf die Statistik nicht verzichten. Darüber haben wir bereits im vergangenen Jahr hinlänglich im Rahmen der Debatte um den Zensus 2011 diskutieren können.

Der Mikrozensus stellt die Grundlage unserer Erkenntnisse dar, er ist gewissermaßen der kleine Bruder der bei uns nur selten erfolgenden großen Zensen. Alljährlich sind eine beachtliche Anzahl von ca. eine Million Bundesbürgern mit den umfänglichen Fragenkatalogen der Statistikbehörden konfrontiert, denen sie nicht ausweichen können. Denn die Teilnahme an den Interviews oder auch wahlweise Ausfüllung  der Fragebögen ist bußgeldbewehrt.

Die oft besonders weit das Privatleben berührende Fragen etwa nach dem Einkommen, nach den familiären Verhältnissen oder der Ausbildung stellen ohne Zweifel  – völlig unabhängig von ihrer konkreten Weiterverarbeitung – aufgrund der Zwangslage der Auskunftspflicht einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz dar.

Und genau diese Konflikte hat die Volkszählungsproteste der 1980er Jahre ausgelöst. Viele Grüne haben diese Bewegung mitgetragen und sie zählt sicherlich als bürgerrechtliches Großereignis bis heute zu einer der Wurzeln des grünen Selbstverständnisses.

Im Kern geht es dabei um die Sicherung der informationellen Selbstbestimmung des Einzelnen. Selber wissen und soweit als möglich auch mit entscheiden zu können, wer was wann über einen erfährt und was dann mit diesem Wissen gemacht werden darf, das zählt heute zum Kern des Datenschutzes, so wie ihn auch die grüne Partei gemeinsam mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen erstritten hat.

Dank des tatsächlich wegweisenden Volkszählungsurteils von 1983 wurden genaue Vorgaben gemacht, die den Gesetzgeber bis heute beschäftigen und binden. Das Mikrozensusgesetz basiert auf diesen Vorgaben, es dient dazu, diese Vorgaben zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger gegen eine überbordende staatliche Datenerhebung, und sei sie auch nur zu statistischen Zwecken, sicher zu stellen.

Die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz in den Ländern berichten alljährlich von Bürgerinnen und Bürgern, die sich mit Beschwerden auch gegen den Mikrozensus an sie wenden. Das derzeit in Kraft befindliche, wie seine Vorgänger zeitlich befristete Mikrozensusgesetz von 2005 enthält zwar nicht mehr sämtliche Einzelfragen im Gesetz selbst, sondern enthält Fragenkomplexe, die dann im späteren Verordnungswege konkretisiert werden dürfen. Gleichwohl besteht an dieser Verfahrensweise trotz der teilweisen Zurücknahme des strikten Gesetzesvorbehalts ein berechtigtes Interesse der Flexibilisierung, um eben möglichst aktuelle, besonders zielgerichtete Fragenkomplexe entwerfen zu können.

Die Bundesregierung hat sich mit dem vorgelegten Gesetzentwurf entschieden, das bisherige Mikrozensusgesetz um weitere vier Jahre zu verlängern. Sie räumt in der Begründung durchaus ein, dass sich das Statistikwesen im Umbruch befindet. Denn die Ergebnisse des Zensus 2011 werden für 2014 erwartet und könnten und sollten auch Auswirkungen auf den Mikrozensus haben.

Außerdem werden entsprechende Vollzensusverfahren gemäß EU-Verordnung zukünftig alle zehn Jahre erfolgen. Man könnte vor diesem Hintergrund theoretisch deshalb wohl auch den Verzicht auf den Mikrozensus bis zur weiteren Klärung oder eine kürzere, eine grundrechtsschonendere Befristung um lediglich zwei Jahre ins Auge fassen. Der Preis wäre dann allerdings wohl die Lückenhaftigkeit der Statistik für diese Zeiträume.

Zu bedenken bleibt zudem, dass sich die Fragebögen des Zensus 2011 und die Fragebögen des Mikrozensus keinesfalls umfänglich überschneiden, sondern durchaus unterschiedlich angelegt sind.

Meine Damen und Herren, lassen sie mich zum Schluss noch auf die Radikalkritik bezüglich des Mikrozensus eingehen. Ohne Zweifel muss auch das Mikrozensusverfahren im Fokus des Datenschutzes bleiben. Grundlegende Schutzprinzipien müssen gewahrt und willkürliche Ausdehnungen und Erweiterungen der Fragen verhindert werden.

Doch muss angesichts des hohen Verechtlichungsgrades, der wirklich sehr dichten Begleitung des gesamten Prozesses durch die Aufsichtsbehörden und den nur wenigen konkreten Beschwerdefälle trotz der bereits seit vielen Jahren stattfindenden Befragungen festgestellt werden, dass bei diesem Thema aktuell nicht die Front der rechtspoilitischen Auseinandersetzung verläuft. Wir haben wahrlich andere Großbaustellen zu bewältigen, wie schon der ebenfalls für diese Sitzungwoche aufgezeigte Debattenpunkt zur EU-Datenschutzreform zeigt. Wir sollten deshalb in unserem Einsatz für die Bürgerrechte auch klare Prioritäten zu setzen. Das Mikrozensusverfahren zählt zu den weitgehend geregelten und ganz überwiegend zufriedenstellend verlaufenden Datenerhebungen unseres Staates, dass insoweit auch Vorbild sein kann für andere Bereiche. Diese Erkenntnis sollte uns gleichwohl nicht davon abhalten, in der Auswertung der Ergebnisse des Zensus 2011 kritisch nachzufragen, auf welche Weise die Anzahl der Betroffenen und der Umfang der Fragen weiter reduziert werden kann, damit das Ausmaß der Grundrechtsbeeinträchtigung weiter reduziert werden kann.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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