Diese Woche stand im Plenum des Bundestages die erste Lesung des „Entwurfs eines Gesetzes Bundesregierung zur Familienpflegezeit und zum fexibleren Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte des Bundes“ (Drs.-Nr. 17/12356) auf der Tagesordnung. Meine Protokollrede dokumentiere ich hier. Wie immer gilt: Über Eure Kommentare und Anregungen freue ich mich.

Rede Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen),

Donnerstag, 28.02.2013, TOP 31: DrS 17/ 9219; Familienpflegezeit für Beamtinnen und Beamte (zu Protokoll)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,

die Gesellschaft altert, die Zahl der Pflegefälle nimmt weiter zu. Zugleich gibt es aber immer weniger Menschen, die bereit sind, in der Kranken- oder Altenpflege zu arbeiten. Das ist nur eine Seite. Die Frage der Pflege durch Angehörige und in der Familie dagegen beschäftigt uns dagegen bereits seit Jahrzehnten. Es wäre falsch, diese Frage, aus Sicht vieler auch des Pflegenotstandes, einseitig mit dem demografischen Wandel in Verbindung zu bringen. Denn sie berührt viel tiefergehend auch den Wandel und die Ausdifferenzierung des Modells Familie im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen. Die einseitige Einordnung ausschließlich beim demographischen Wandel nährt den Verdacht, die schwarz-gelbe Koalition  wolle die eigene Unfähigkeit, die Veränderungen in unserer Gesellschaft wahrzunehmen und auf sie zu reagieren, verdecken (Karlsruhe und Adoptions-Urteil lassen grüßen). Wir sollten die Pflege aber auch nicht, wie es Schwarz-Gelb jetzt vormacht, allein unter dem Gesichtspunkt eines leistungsfähigen öffentlichen Dienstes oder gar der Fachkräftedebatte betrachten. Denn damit würde schlicht verkannt, dass es die Ermöglichung der Pflege von nahestehenden Personen und die Würde der Pflegebedürftigen selbst  sind, die uns dazu verpflichten, die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege auf möglichst allen Ebenen voranzutreiben.

Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass es sich bei der Pflege um ein zentrales Thema auch der Sozial- und Gesundheitspolitik handelt. Es ist deshalb gut und richtig, dass hierzu in der kommenden Sitzungswoche eine dann hoffentlich erhellende Sachverständigenanhörung stattfinden wird. Dass wir in dieser Anhörung gleich drei hochkomplexe, völlig unterschiedliche Themen in einem Aufwasch aufgreifen werden, ist erkennbar unseriös und an der Grenze zu einer bloß symbolischen Beratung dieses Hauses. Diese Planung geht klar auf das Konto der schwarz-gelben Koalition, die offensichtlich meint, kurz vor ihrem absehbaren Ende mit wenigen, ganz schmalspurigen Initiativen in Richtung Beamtenschaft punkten zu können.

Was aber bekommen die Bundesbeamten wirklich? Im Falle des heute uns vorgelegten Gesetzes gilt – ich zitiere den Entwurf: „Das Familienpflegezeitgesetz, das für die Privatwirtschaft und für Tarifbeschäftigte seit dem 1. Januar 2012 in Kraft ist, wird im Beamtenbereich wirkungsgleich nachvollzogen“. „Nur“ nachvollzogen, sollte man ergänzen. Das stimmt nachdenklich. Nicht nur wegen der Eigenheiten des Dienstverhältnisses. Vielmehr handelt es sich um ein übernommenes Konzept aus dem Hause der Familienministerin. Soweit ich mich erinnern kann, haben wir bei Kristina Schröders Familienpflegezeitgesetz nicht nur eine turbulente Debatte erlebt, bei der die Opposition einhellig Kritik übte. Wir haben auch eine Sachverständigenanhörung erlebt, bei der die Kritik insbesondere der in der Praxis erfahrenen Sozialverbände nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließ. Diese Debatte um Schröders Familienpflegezeitgesetz wiederum ist nur im Licht der Auseinandersetzung um die Reform der Pflegeversicherung selbst zu sehen. Auch hier erlebten wir eine Bundesregierung, deren Reformansatz an Mickrigkeit nicht zu überbieten war und die zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran aufkommen ließ, wie wenig ihr Begriffe wie Gerechtigkeit und Solidarität bedeuten. Wenn die Rede von der Forderung nach dem Gesamtkonzept also jemals Sinn gemacht hat dann beim Thema Pflege. Davon ist beim vorliegenden Gesetzesentwurf  jedoch wahrlich nichts zu erkennen.

Ein weiterer Haken, der in unsere ansonsten leider gerne kleinteilig geführten Beamtenrechtsdebatten hineinreicht ist die im Gesetzentwurf beschworene Formel von der „Kultur des längeren Arbeitens“. Hier wird vom Bundesinnenminister gleich ein noch größeres Rad gedreht, nämlich die Debatte um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Wir teilen hier im Grundsatz den skeptischen Blick des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dass es besser wäre, versorgungsbedingte biografische Lücken von vornherein zu verhindern, anstatt sie erst entstehen zu lassen und den Betroffenen anschließend die Verantwortung für die Lückenschließung durch verlängerte Lebensarbeitszeit aufzubürden.

Wer, wie die Bundesregierung wirkungsgleich das Konzept für die Tarifbeschäftigten des Bundes auf die Bundesbeamten überträgt, mag sich „wirkungsgleich“ auch die Kritik daran anziehen. Man hat sich für ein Konzept entschieden, bei dem, neben dem bestehenden reformbedürftigen Pflegesystem keine weiteren Elemente gesellschaftlicher Solidarität geschaffen werden sollen, sprich das Risiko Pflege tragen die Angehörigen, aus der Perspektive des Dienstverhältnisses gesehen, ausschließlich selbst. Der Entwurf rühmt sich ja – insofern konsequent aber zynisch – seiner weitgehenden Kostenneutralität. Es wird sich zeigen, ob diese Entscheidung den Verhältnissen eines sich ausweitenden Pflegenotstandes tatsächlich Rechnung trägt.

Besonders fragwürdig bleibt, dass kein Rechtsanspruch geschaffen wird. Stattdessen wird ein so weiter Ermessensspielraum für die mögliche Ablehnung durch die Dienstherren geschaffen, dass die Nachfrage zur Bittstellung verkommt.

Fragwürdig erscheint auch, dass trotz der Vielfalt der zu bedenkenden Konstellationen eine Familienpflegezeit ausschließlich für betroffene nahe Angehörige gewährt wird. Das riecht mal wieder nach Festschreibung überholter Familienvorstellungen und schneidet unnötig Bereitschaft zu verantwortlichem Handeln ab.

Entgegen der Zielsetzung der Flexibilisierung wird doch mit der Fixierung auf die Höchstdauer der Gewährung von längstens 24 Monaten die Realität ganzer Krankheitsbilder und typischer Pflegefälle negiert, die sich tatsächlich oft über viele Jahre hinziehen.

Keine Anstrengungen unternimmt der Entwurf, sich mit der Tatsache auseininderzusetzen, dass nach wie vor ganz überwiegend Frauen die Pflege übernehmen. Das ist gleichstellungspolitisch nicht akzeptabel.

Nicht dargelegt wird, wie diese Neuregelung mit anderen bestehenden Regelungen zum Thema Pflege zusammengreift. Vorstellungen z.B. von einem effektiveren und alle Beteiligten schonenderen „Pflege-Mix“ scheinen damit von vornherein in keinerlei Weise mitbedacht.

Ich bin gespannt, was uns die Sachverständigen zu der erwartbaren Nachfrage nach diesem Gesetz sagen werden. „Wirkungsgleich“ zu Kristine Schröders Gesetzesinitiative wird womöglich deutlich werden, dass wir es hier mit einer so eng geführten Familienpflegezeit zu tun haben, dass die schwarz-gelbe Koalition sich hier – auf jeden Fall aber verglichen mit der zu stemmenden Aufgabe Pflege und Pflegenotstand – auf dem Feld der symbolischen Gesetzgebung betätigt, um Aktivitäten vorzugaukeln, in der Sache aber kaum ein Schritt vorwärts gemacht wird.

„Mit dem Entwurf sollen erste konkrete Schritte unternommen werden“ so heißt es in dem uns vorgelegten Entwurf der Bundesregierung gleich auf Seite eins. Meine Damen und Herren: wer uns so spät in der Legislatur ein solches Trippelschrittchen vorlegt, wer also so spät anfängt, seine Hausaufgaben zu machen, von dem können wir mit Gewissheit keine weiteren ernsthaften Schritte mehr erwarten. Und das ist auch gut so, denn im September wird diese schwarz-gelbe Chaoskoalition abgewählt werden! Dann darf sie den selbst geschaffenen Stillstand nicht mehr verwalten und wird auch in diesem Bereich keinen weiteren, überwiegend durch Unterlassen bewirkten Schaden mehr für unser Land anrichten können.

Vielen Dank!

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