Am gestrigen Donnerstagabend standen gleich mehrere innen- und netzpolitische Punkte auf der Tagesordnung des Plenums (pdf 180 KB). Zu nennen wären hier vor allem eine Debatte zur aktuellen Diskussion um die Netzneutralität, eine Debatte zu dem von uns Grünen vorgelegten Antrag für eine verbesserte Kontrolle des Exports von Überwachungs- und Zensursoftware an autoritäre Staaten, eine Debatte zur Informationsfreiheit und Transparenz und einer von der SPD hierzu vorgelegten Initiative sowie eine Debatte zur Zusammenarbeit der Justiz und Polizei in der EU.
Gestern hatten wir bereits das Video zu meiner Rede zur Informationsfreiheit verbloggt. An dieser Stelle dokumentieren wir meine Protokollreden. Eben hatten wir bereits meine Rede zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Absicherung der Netzneutralität verbloggt. Hier nun meine Rede zur Notwendigkeit einer verbesserten Kontrolle des Exports von (deutscher) Überwachungs- und Zensursoftware. Wie immer gilt: Über Eure Kritik und Rückmeldungen freue ich mich.
Protokollrede Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen)
TOP ZP Export Zensurtechnologie an autoritäre Staaten (Grüne)
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,der Arabische Frühling hat einmal mehr bewiesen, welch demokratisches Potential Internet und neue Medien heute bieten. Ganze Protestbewegungen entstehen online, Demonstrationen werden über soziale Netzwerke organisiert und die Blogosphäre entwickelt sich zum Sprachrohr von denjenigen, die sonst nicht zu Wort kommen, obwohl ihre Stimmen für demokratische Prozesse wichtig sind. Nicht ganz ohne Grund also fürchten sich hochgerüstete Diktaturen vor Twitter-Nachrichten und begreifen YouTube oder Facebook als Gefahr für ihr Regime. Das zeigt: Die zunehmende Vernetzung demokratischer und oppositioneller Protests mit Hilfe der neuen Medien hat ein enormes Potential für die Demokratisierung von nicht-demokratischen Staaten.
Doch die zunehmende Vernetzung unserer Welt birgt auch erhebliche Gefahren. Das wissen wir nicht erst seitdem wir über zahlreiche große Daten- und Überwachungsskandale in verschiedenen deutschen Unternehmen sprechen. Wir wissen es nicht erst, seitdem wir über die Möglichkeit der Auswertung von Daten, die im Zuge die Vorratsdatenspeicherung gesammelt wurden, diskutieren. Und wir wissen es nicht erst, seitdem die Praxis der massenhaften Funkzellenabfragen bei Demonstrationen und in anderen Zusammenhängen bekannt wurde. Spätestens aber, seitdem der Chaos Computer Club den sogenannten „Staatstrojaner“ zur heimlichen „Online-Durchsuchung“ untersucht und herausgefunden hat, dass dessen potentielle, im Quellcode versteckten Funktionen offenbar mit verfassungsrechtlichen Vorgaben kaum in Einklang zu bringen sind, wissen wir um die Gefahren einer durch zunehmenden Vernetzung möglichen umfassenden Überwachung unserer Kommunikation. Genau aus dem Grund wollen wir das Fernmeldegeheimnis des Artikel 10 GG zu einem umfassenden Kommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis weiterentwickeln.
Nicht ohne Grund gelingt es dem BKA trotz größter Mühen bis heute nicht, einen verfassungskonformen Staatstrojaner herzustellen. Das zeigt: Wir bewegen uns hier in einem verfassungsrechtlich hochsensiblen Bereich. Das zeigt aber auch: Wir haben es in eben diesem Bereich viel zu lange privaten Firmen überlassen, die Verfassungskonformität der entsprechenden Programme sicherzustellen. Wir haben outgesourct, wo man nicht outsourcen darf. Dass das BKA noch immer auf die Produkte der einschlägigen Firmen zurückgreift, halten wir daher für grundlegend falsch.
Heute wissen wir, welchen Zweck die sogenannte „Nachladefunktion“ des Staatstrojaners hatte, dessen Quellcode den Behörden vor dem Hack des CCC schlicht unbekannt war: Die mit öffentlichen Mitteln erstellten Programme wurden an zahlreiche Staaten dieser Welt weitergeliefert. Auch an solche, die es oftmals leider mit der Einhaltung von Menschenrechtsstandards nicht so genau nehmen bzw. solche, die völlig offen die Menschenrechte mit Füßen treten. So spürten Geheimdienste in Ländern wie Iran, Syrien oder Bahrain mit Hilfe deutscher Technik politische Gegner auf, unbemerkt zeichneten Programme Telefongespräche mit, werteten Chatprotokolle und SMS aus, kopierten Passwörter und beobachteten in sogenannten Monitoring-Centern das Zusammentreffen von Zielpersonen. Demonstrationen konnten so zielgerichtet aufgelöst und Oppositionelle festgenommen werden. Nicht selten kam es in der Folge zu Folter, unfairen Gerichtsverfahren oder Hinrichtungen.
Nach dem Fall zahlreicher Regime haben wir Gewissheit darüber, was vorher nur gemutmaßt werden konnte: In zahlreichen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas wurden Programme deutscher und europäischer Firmen eingesetzt, um die eigene Bevölkerung zu überwachen, auszuspähen und Oppositionellen habhaft zu werden. Deutsche Unternehmen spielen auf dem Markt der Überwachungs- und Zensurtechnik heute eine herausgehobene Rolle. Die Entwicklungen der letzten Jahre und die intensive Debatte über die Rolle der neuen Medien in den Demokratiebewegungen verschiedener Länder haben auch den Fokus auf diejenigen gerichtet, die durch ihre Technik dazu beitragen, dass demokratischer und oppositioneller Protest häufig verstummte. Diese Diskussionen haben aber eben auch gezeigt, dass erhebliche Defizite bezüglich der Kontrolle des Exports entsprechender Technologie und Software auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene bestehen.
Als Grüne machen wir die Bundesregierung seit langem auf diesen Umstand aufmerksam. Wir fordern nicht nur den Einsatz entsprechender Programme in Deutschland solange auszusetzen, bis einwandfrei nachgewiesen werden konnte, dass verfassungsrechtliche Vorgaben auch eingehalten werden können. Zudem fordern wir die schwarz-gelbe Bundesregierung seit mehreren Jahren auf, dafür zu sorgen, dass deutsche Technik nicht länger einen entscheidenden Beitrag zu massiven Menschenrechtsverletzungen weltweit leistet. Wir haben sie, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, immer und immer wieder aufgefordert, nicht länger die Augen vor diesen höchst fragwürdigen Geschäften zu verschließen, sondern sich stattdessen für eine Effektivierung der Exportbestimmungen einzusetzen. Geschehen ist nichts.
Auch durch unsere wiederholten parlamentarischen Nachfragen wurde vielmehr deutlich, dass sie hier ein wirklich perfides doppeltes Spiel spielen. Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung haben mit Hinweis auf entsprechende Formulierungen des schwarz-gelben Koalitionsvertrags, nach dem das Internet „das freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum der Welt“ ist und „maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft“ beiträgt, in der Vergangenheit wiederholt das demokratische Potential der Neuen Medien im Allgemeinen und des Internets im Speziellen gelobt. So wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel im Zuge der Münchner Sicherheitskonferenz 2011 mit folgenden Worten zitiert: „Und dass man Facebook und Twitter überall auf der Welt hat, dass es zunehmend schwer wird, das zu sperren, ob es in China ist, in Ägypten, in Tunesien oder sonstwo auf der Welt, das ist auch ein kleines bisschen unser Verdienst.”
Während sich führende Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung erdreisten, die demokratisierende Wirkung der neuen Medien als ihren ureigenen Verdienst zu verkaufen, macht das innerhalb der Bundesregierung federführende Ministerium bislang alles, um entsprechende Exporte weiter zu unterstützen und eine Begrenzung des Exports zu verhindern. Während Sonntagsreden über die demokratisierende Wirkung von Sozialen Netzwerken, Twitter und Co. geschwungen werden, drückt man bei CDU/CSU und FDP seit Jahren nicht nur beide Augen zu wenn es darum geht, dass deutsche Technik demokratischen und oppositionellen Protest verstummen lässt und so mithilft, Regimekritiker in Folterkellern verschwinden zu lassen. Man hilft diesen Unternehmen sogar dabei, ihre Technik an den Despoten zu bringen. Durch die Gewährung von Hermes-Bürgschaften, durch die Unterstützung bei Reisen und Auftritten bei einschlägigen Messen, durch das Drucken von Flyern, in denen diese „Ziviltechnik“ gelobt wird, durch Schulungen von Personal im Umgang mit entsprechenden Technologien, aber auch dadurch, dass man, wenn eine Effektivierung der Exportbestimmungen auf EU-Ebene auf der politischen Agenda steht, entsprechende Briefe an die deutschen Liberalen versendet, um sie mit Hinweis auf hierdurch für deutsche Unternehmen entstehenden bürokratischen Hürden, davon überzeugt, anders als die Liberalen zahlreicher anderer Länder Europas, bitte gegen eine Effektivierung zu stimmen.
Während FDP-Bundesaußenminister Westerwelle bei einer am Ende letzten Jahres durchgeführten internationalen Konferenz zu „Internet-Freedom“, übrigens wissend, dass er innerhalb der Bundesregierung gar nicht zuständig ist, noch eine verbesserte Regulierung entsprechender Exporte in Aussicht stellte und sich mit den Worten zitieren ließ, man dürfe „diesen Regimes nicht die technischen Mittel geben, ihre Bevölkerung zu überwachen“, sieht das federführende Bundeswirtschaftsministerium das noch immer ganz anders. Auf meine entsprechende Nachfrage an die Bundesregierung, wie eine vom Bundesaußenminister in Aussicht gestellte Kontrolle entsprechender Exporte durch deutsche Unternehmen denn konkret aussehen soll, antwortet das Bundeswirtschaftsministerium vollkommen nichtssagend und verweist auf Diskussionen zu einer möglichen Ausweitung des Kontrollregimes auf internationaler Ebene im Rahmen des Wassenaar Arrangements.
So, meine Damen und Herren, sieht also die „verantwortungsbewusste Exportkontrolle“ aus, von der Sie bis heute schwadronieren. Sie suggerieren, sich für die Freiheit des Netzes einzusetzen, und in Wirklichkeit ermöglichen Sie – zumindest indirekt – Verfolgung und Folter made in Germany. Vor Ihrer Verantwortung für eine freies und offenes Netz und einen grundlegenden Schutz der Menschenrechte drücken sie sich. Ihnen ist der Profit eines einzigen Wirtschaftszweigs bis heute wichtiger als der Schutz der Menschenrechte von tausenden Aktivistinnen und Aktivisten weltweit. Das ist schäbig.
Leider sind weder der vollmundigen Ankündigung des Bundeswirtschaftsministers, noch denen aus Reihen der CSU-Fraktion, eine Gesetzesänderung, die „einen demokratiefeindlichen Missbrauch von moderner Überwachungstechnik verhindert“ vorzulegen, aber auch Vertreter der FDP-Fraktion, die eine „Klarstellung im Kriegswaffenkontrollgesetz“, mit der verhindert werden soll, dass „Regierungen, die menschenrechtswidrig handeln“ einen „Zugang zu solcher Software erhalten“ in Aussicht stellte, bis heute irgendwelche Taten gefolgt.
Weil Sie scheinbar weder Willens noch in der Lage sind, endlich den Export diese digitalen Waffen, die heute ähnlich gefährlich wie ein Kampfpanzer sind, effektiv einzudämmen aber auch, um ihnen die Chance zu geben, Ihren heeren Worten doch noch am Ende dieser Legislatur tatsächlich Taten folgen zu lassen, haben wir nun unseren lange angekündigten Antrag mit dem Titel „Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern – Demokratischen Protest unterstützen“ vorgelegt.
In unserem Antrag machen wir Ihnen verschiedene Vorschläge, wie eine Effektivierung konkret aussehen könnte. Wir fordern Sie auf, sofort alle Möglichkeiten zu nutzen, um den Export von entsprechender Technologie und Software auf nationaler Ebene zu regulieren und in autoritäre Staaten zu unterbinden sowie, sollte dies notwendig sein, dem Bundestag hierzu eine entsprechende Gesetzesinitiativen vorzulegen.
Darüber hinaus fordern wir Sie auf, auch auf europäischer Ebene dafür zu sorgen, dass entsprechende Technologie und Software entweder in die Dual-Use-Liste aufgenommen wird, oder dass ein dem bisherigen Dual-Use-Regime entsprechender Kontrollmechanismus eingerichtet wird. Da wir wissen, dass dies eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, empfehlen wir Ihnen, sich bis zur Umsetzung dieser Maßnahmen, für mehr Einzelembargos gegen Länder einzusetzen, bei denen Defizite im Rechtsstaatlichkeit- oder Menschrechtsbereich bestehen.
Diese Länderembargos, die es unter anderem für IRAN und Syrien heute schon gibt, dürfen jedoch nur eine Übergangslösung sein. Daher fordern wir Sie noch einmal dazu auf, sich auch im Rahmen der Verhandlungen um eine Neuauflage des Wassenaar-Abkommens tatsächlich dafür einzusetzen, dass Technologien und Software, die zur internen Überwachung und Zensur genutzt werden können, künftig als „digitale Rüstungsgüter“ erfasst werden und der Handel mit ihnen so effektiv reguliert wird.
Ferner erwarten wir von Ihnen, die Entwicklung von Überwachungs- und Zensursoftware durch private Unternehmen nicht länger mit öffentlichen Geldern zu fördern und zu gewährleisten, dass keine Hermesbürgschaften für entsprechende Exporte mehr übernommen werden. Statt den Handel mit Technologien zu befördern, die lediglich das Ziel haben, Menschen zu überwachen und auszuforschen, um sie anschließend Repressionen auszusetzen, fordern wir Sie auf, sich auf europäischer und internationaler Ebene verstärkt für den freien und ungehinderten Zugang zum Internet einzusetzen, um so das demokratische Potential der Neuen Medien für Demokratie und Rechtstaatlichkeit tatsächlich bestmöglich nutzbar zu machen. Hierfür ist es von elementarer Bedeutung, auch die Entwicklung und die Verbreitung von Techniken, die eine Umgehung staatlicher Überwachungs- und Zensurbestrebungen ermöglichen und so Menschen, die demokratischen und oppositionellen Protest zum Ausdruck bringen, vor staatlicher Verfolgung zu schützen, stärker zu unterstützen.
Zu guter Letzt fordern wir Sie auf, dem Bundestag halbjährlich über ihre bisherigen Tätigkeiten einen Bericht vorzulegen. Vor dem Hintergrund entsprechender – interfraktionell verabschiedeter – Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ aber auch vor dem Hintergrund deutlicher Aussagen sowohl von Vertretern der Bundesregierung als auch der Koalitionsfraktionen diesen Hohen Hauses werden wir uns die heutigen Debattenbeiträge ganz genau anschauen.
Vielen Dank!
Leider liegen derzeit die Protokollreden der anderen Rednerinnen und Redner noch nicht vor. Sobald dies der Fall ist, machen wir an dieser Stelle darauf aufmerksam.
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