Die seit langem kontrovers geführte Debatte über die Durchsetzung von Urheberrechten in der Online-Welt hat durch ein gestriges Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg neue Nahrung erhalten. Der für die Auslegung des geltenden EU-Rechts zuständige Gerichtshof, der derzeit auch angesichts der nach wie vor im Raum stehenden Forderung, das ACTA-Abkommen hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit EU-Grundrechten durch den EuGH überprüfen zu lassen, in aller Munde ist, hat entschieden, dass Anbieter sozialer Netzwerke nicht dazu gezwungen werden können, Urheberrechtsverstöße der Nutzerinnen und Nutzer mit Hilfe von Filtersystemen zu verfolgen.

Die belgische  Verwertungsgesellschaft Sabam hatte mit Hinweis darauf, dass Nutzerinnen und Nutzer immer wieder urheberrechtlich geschützte Dateien auf ihren Profilen für andere Nutzerinnen und Nutzer zugänglich machen, versucht, das soziale Netzwerk Netlog gerichtlich dazu verpflichten zu lassen, ein entsprechendes Filtersystem einzubauen, um entsprechende Verstöße zu identifizieren und zu verhindern.

Der Europäische Gerichtshof entschied nun, dass eine generelle Filterung von Daten der Nutzerinnen und Nutzer gegen europäisches Recht verstoßen würde. Die Richterinnen und Richter verwiesen auf die geltende EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr. Artikel 15 der Richtlinie verbiete es, Diensteanbieter eine allgemeine Überwachungspflicht für das, was ihre Nutzer tun, aufzuerlegen.

Das neuerliche Urteil des EuGH (PM v. 16.02.2012) stärkt somit den Grundrechtsschutz der Nutzerinnen und Nutzer ein weiteres Mal und stellt zudem erneut klar, dass es nicht Aufgabe der Anbieter sein kann, ihre Nutzerinnen und Nutzer sowie deren Nutzungsverhalten weitgehend zu überwachen. Im November hatte das Gericht in dem sogenannten „Scarlet Extended“-Urteil bereits ähnlich entschieden – allerdings galt das damalige Urteil nur für Anbieter von Internetzugängen. Nach dem neuerlichen Richterspruch ist nun klar: Auch Hostprovider  können von Rechteinhabern nicht generell in die Pflicht genommen werden.

Besondere Brisanz erhält das jetzige Urteil natürlich durch die anhaltende Diskussion um ACTA.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert Prof. Metzger, mit dem wir ja auch bereits über die Auswirkungen von ACTA diskutierten und den auch bereits der Bundestag zu ACTA angehört hat, mit folgenden Worten:

„Interessant ist, dass eine generelle Überwachungspflicht – wie sie ja auch gerade im Zusammenhang mit dem internationalen Abkommen Acta diskutiert wird – nicht nur gegen die Bestimmungen der Richtlinie verstoßen würde, sondern dass der EuGH hierin auch einen Verstoß gegen die EU-Grundrechtecharta sehen würde.“

Auch die Diskussion um ACTA hat durch das aus Daten- und Verbraucherschutzsicht sehr erfreuliche Urteil des EuGH nochmals neuen Schwung erhalten. Die Frage, ob ACTA tatsächlich mit der EU-Grundrechtecharta zu vereinbaren ist, ist weiterhin ungeklärt. Eine Studie, die die Europafraktion der Grünen in Auftrag gegeben hatte, bezweifelt dies. Schon heute ist jedoch klar: Das jüngste EuGH-Urteil schwächt diejenigen, die die Vereinbarkeit von ACTA mit der EU-Grundrechtecharta immer pauschal betont haben. Oder andersherum: Das jüngste Urteil stärkt diejenigen, die die Vereinbarkeit von ACTA mit der EU-Grundrechtecharte bezweifelt haben und eine Überprüfung des Abkommens gefordert haben.

Hintergrund Europäischer Gerichtshof:
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ist für die Auslegung des EU-Rechts zuständig. Er gewährleistet, dass das EU-Recht in allen Mitgliedstaaten der Union auf die gleiche Art und Weise angewendet wird. Außerdem kann der Gerichtshof in Rechtsstreitigkeiten zwischen einzelnen Regierungen der Mitgliedstaaten und den Organen der EU entscheiden. Zudem können auch  Privatpersonen, Unternehmen oder Organisationen mit einer Rechtssache an den Gerichtshof wenden, wenn sie der Auffassung sind, dass ein Organ der EU ihre Rechte verletzt hat.

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