Jeder und jede kann online kommunizieren und Inhalte im Netz teilen. Leider nehmen in den letzten Jahren Hass und Hetze und die Verbreitung von Fake News zu – ob am Stammtisch, auf der Straße oder im Netz. Menschen werden übel beschimpft, es wird postfaktisch diskutiert und die öffentliche Meinungsbildung verzerrt. Wir Grüne im Bundestag fordern mit konkreten Vorschlägen von der Bundesregierung, diese vielschichtigen Phänomene als gesamtgesellschaftliche Herausforderung umfassend und entschlossen, aber auch angemessen differenziert anzugehen. Nach unserem Fraktionsbeschluss „Verantwortung, Freiheit und Recht im Netz“ legen wir nun einen umfassenden Antrag „Transparenz und Recht im Netz – Hass-Kommentare“, „Fake News“ und Missbrauch von „Social Bots“ vor.

Demgegenüber handelte die Bundesregierung lange gar nicht – weder gegenüber den großen Plattformen noch im eigenen Verantwortungsbereich, obwohl wir immer wieder umfassende Lösungsansätze einforderten. Nun kommt der Bundesjustizminister umso überhasteter mit einem hochumstrittenen Gesetzentwurf um die Ecke. Denn nach über einem Jahr Runder Tische, offener Briefe und Task Forces der Bundesregierung zeigen von ihr selbst in Auftrag gegebenen Studien – so absehbar wie für den Auftraggeber peinlicherweise, dass die Selbstverpflichtungen zur verbesserten Rechtsdurchsetzung gegen strafbare Inhalte kaum greifen. In einem Hauruck-Verfahren legt Justizminister Maas nun einen Gesetzentwurf zum „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) vor. Statt ihn in einem geordneten Verfahren mit Verbänden und betroffenen Branchen zu diskutieren, stellte er ihn in dürren Worten just auf einem Facebook-Stream vor. Nun ist die Kritik von vielen Seiten umso massiver – zwei eilige „Nachbesserungen“, ändern daran wenig und haben sogar weitere Fragen aufgeworfen. Experten äußern verfassungsrechtliche und europarechtliche Bedenken. Sie beanstanden eine mögliche Kompetenzüberschreitung gegenüber den Bundesländern. Eine gute Übersicht bietet dieser heise-Artikel.

Grünes Maßnahmenpaket: Gesamtgesellschaftlicher Ansatz mit differenzierten Antworten

Wir haben dagegen ein breit aufgestelltes Maßnahmenpaket gegen Hate und Fake vorgelegt. Unser Rechtsstaat hält einen ausreichenden Instrumentenkasten bereit, den wir aber in den digitalen Kontext effektiv übersetzen müssen. Denn die Rechtsdurchsetzung muss dringend verbessert werden: Hier verbreiten sich Inhalte weiter und schneller, Strafverfahren dürfen da nicht wie bis dato häufig einfach eingestellt werden, weil Mittel oder Personal fehlen oder Anbieter schlicht nicht kooperieren. Mit einer Konkretisierung der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), die der enormen Verbreitungsdynamik im Digitalen gerecht wird, sowie einer verbesserten Ausstattung von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten, soll die Zahl der Einstellungen deutlich verringert werden. Denn die komplexe Abwägung zwischen Grundrechten wie Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten gehört aus guten Gründen nicht zwischen Privaten, sondern vor Gericht geklärt.

Plattformen in die Pflicht, nicht aber in Richterrolle nehmen

Das Gros der Fälle mit offensichtlich rechtswidrigen Inhalten hingegen muss nach klaren Regeln leicht gemeldet werden können und ist nach sorgfältiger Prüfung durch die Anbieter ggf. zu löschen. Dabei sind jedoch beide Seiten zu informieren und bei einem Widerspruch zu hören, damit ggf. ein strittig gestellter aber als legal befundener Inhalt auch umgehend wieder öffentlich gestellt werden kann und ein schleichender Zensureffekt ausgeschlossen bleibt. Hier gilt es die großen Anbieter endlich in die Pflicht zu nehmen, ohne sie in eine Richterrolle zu drängen. Das existierende Melde-und Abhilfeverfahren („Notice and take down“) für rechtswidrige Inhalte muss dafür gesetzlich klarer geregelt und damit endlich konsequent angewandt werden. Bisher gibt es nur allgemeine Vorgaben für Unternehmen, die vielfach unterlaufen werden. Diensteanbieter sollten daher u.a. verpflichtet werden, Meldewege zu verbessern, offensichtlich rechtswidrige Inhalte spätestens innerhalb von 24 Stunden nach Meldungszugang zu löschen und empfangs- und zustellungsbevollmächtigte Verantwortliche zu benennen. Dafür müssen die großen Anbieter genügend gut qualifiziertes und psychologisch unterstütztes Personal für diese verantwortungsvollen und teils äußerst belastenden Aufgaben anstellen. Daher bedarf es hier zudem kontinuierlicher Evaluations- und Transparenzpflichten. Bei Verstößen drohen effektive Sanktionen, die die wirtschaftliche Lage der Anbieter jedoch angemessen und nicht nach starren Vorgaben wie im Maaschen Gesetzentwurf erfassen. Wir wollen also sowohl die Strafverfahren als auch das Notice and take down-Verfahren stärken. Demgegenüber setzt Justizminister Maas jedoch nur bei den Plattformen an und riskiert damit völlig überzogenes Löschen auf Verdacht.

Medienkompetenz muss dringend gefördert werden

Neben einer verbesserten Rechtsdurchsetzung ist in einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz eine Stärkung der Medienkompetenz dringend geboten. Attraktive und altersgerechte Medienkompetenzangebote in schulischen und außerschulischen Institutionen müssen gefördert und das zivilgesellschaftliche Engagement und die Kultur der Gegenrede unterstützt werden. Hierfür benötigen wir auch unabhängige und kostenfreie Informations- und Beratungsstellen zum Umgang mit Hate-Speech, Fake News und Cybermobbing. Dabei ist eine teilweise Finanzierung durch eine verpflichtende Abgabe von Diensteanbietern zu überlegen.

Der Verbreitung von Fake News wird derzeit kaum Einhalt geboten. Wir fordern unabhängige Überprüfungen nach journalistischen Standards („Fact-Checking“), die durch eine verpflichtende Abgabe von Diensteanbietern teilfinanziert werden könnte.

Social Bots kennzeichnen statt pauschal verdammen

Social Bots können für zahlreiche sinnvolle Zwecke eingesetzt werden. Sie können dabei helfen, Hilfesuchende auf Fundstellen aufmerksam zu machen, Nutzerinnen und Nutzer können in sozialen Netzwerken auf neue journalistische Artikel hingewiesen oder Haterinnen und Hater automatisiert auf Diskussionsregeln hingewiesen werden. Social Bots werden allerdings auch missbräuchlich eingesetzt, um vermeintliche Mehrheitsverhältnisse und die gesellschaftliche Bedeutung von Themen vorzutäuschen. Während um den Jahreswechsel in aufgeregter Debattelage noch Vertreter der Großen Koalition ein pauschales Verbot forderten, entdecken diese nun im Wahlkampf, wie praktisch und in vielen Kontexten bei entsprechenden Rahmenbedingungen völlig unproblematisch der Bot-Einsatz sein kann. Wir haben damals schon für eine Versachlichung plädiert und wollen Transparenz schaffen und Diensteanbieter und Nutzerinnen verpflichten, automatisierte elektronische Kommunikationssysteme leicht erkennbar zu kennzeichnen und benutzerfreundliche Meldewege bereitzuhalten.

Gesellschaftliche Probleme früh und breit angehen

Wir Grüne im Bundestag begrüßen, dass durch das zivilgesellschaftliche Engagement zahlreicher Menschen und Organisationen Hass und Hetze couragiert entgegengetreten wird. Das muss stärker unterstützt werden – wir selbst unterstützen Initiativen wie die No Hate Speech-Kampagne des Europarats. Die Bundesregierung lässt diese Menschen aber im Regen stehen und schafft es immer noch nicht, dass sich milliardenschwere Unternehmen mit teils monopolartigem Charakter an geltendes deutsches und europäisches Recht halten. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung wird das Problem gar verschlimmert. Der Gesetzentwurf soll im Hauruck-Verfahren durch das Parlament gejagt werden. Wir bieten Antworten, die die Bundesregierung dringend aufgreifen sollte.

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