Die Große Koalition hat mit dem Gesetzentwurf zum elektronischen Identitätsnachweis mal wieder völlig ihren orwellschen Phantasien und Gelüsten nachgeben.

Das Gesetz führt die Online-Funktion des Personalausweises für alle Bürgerinnen und Bürger verpflichtend ein. Der elektronische Personalausweis auf freiwilliger Ebene war ein Flop – wegen hanebüchener Organisationsprobelem aber eben auch aufgrund massiver Datenschutz-Bedenken. Das Problem des elektronischen Ausweises ist von der Bundesregierung hausgemacht: Denn weder wurde je wirklich kommuniziert, worin der Mehrwert liegt, noch konnte und kann er tatsächlich sonderlich viel. Es fehlt bis heute schlicht an den dazugehörigen Angeboten.

Die bürgerrechtliche Krone im zynischen Sinne setzt die Große Koalition dem ganzen aber nun erst auf: Es ist die im Gesetz sorgfältig auf den hinteren Seiten versteckte Einführung des – nach dem Änderungsantrag völlig – voraussetzungslosen Pass- bzw. Personalausweisphotoabgleichs durch alle bundesdeutschen Geheimdienstes im automatisierten Verfahren. Das ist nichts anderes als der offene Einstieg in eine bundesweite biometrische Bilddatenbank aller Bundesbürger. Und dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass man derzeit am Bahnhof Südkreuz in Berlin die intelligente Videoüberwachung mit Gesichtserkennung an öffentlichen Plätzen testen.

Hier könnt Ihr meine heutige Rede nachlesen (234. Sitzung am 18. Mai, TOP 23):

Sehr geehrter Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

sehr geehrte Damen und Herren,

wie so häufig in letzter Zeit, reden wir heute nicht lediglich über ein parlamentarisches Vorhaben, über das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf entschieden werden soll. In einem scheinbar harmlosen Gesetz „zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises“ verstecken Sie einen Angriff auf die Privatsphäre aller Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die uns wieder einen Schritt näher an den Abgrund staatlicher Totalüberwachung bringt.

Aber der Reihe nach:

E-Government mit Nachdruck zu fördern, ist eine wichtige Aufgabe. Und eine datenschutzrechtlich solide Ausgestaltung des elektronischen Personalausweises wäre sicherlich eine solche Förderung. Aber: Seit Einführung der eID-Funktion des Personalausweises haben die Bürgerinnen und Bürger diese in freier Entscheidung zu zwei Dritteln der rund 51 Millionen ausgegebenen Ausweise/eAT deaktivieren lassen. Das liegt vornehmlich daran, dass nie wirklich kommuniziert wurde, worin eigentlich der Mehrwert dieses elektronischen Ausweises liegt. Das hatte eine gewisse Schlüssigkeit, weil der Ausweis bisher auch nie wirklich sonderlich viel Vorweisbares konnte und kann.

Die Vorstellung jedenfalls, dass der elektronische Personalausweis zum zentralen Online-Identitätstool der Menschen im geschäftlichen Leben als auch im Umgang mit Behörden werden könnte, ist schon deshalb abwegig, weil es schlicht bis heute an den dazugehörigen Angeboten fehlt.

Und in solchen Fällen gilt bei der Großen Koalition dann offenbar folgende Logik:

Die Bürgerinnen und Bürger haben kein Interesse?

Dann müssen wir sie eben zwingen!

Und so wird die sogenannte eID-Funktion zum elektronischen Identitätsnachweis künftig bei jedem Ausweis automatisch und dauerhaft eingeschaltet. Dies mit der Argumentation, dass so die eID-Funktion schneller verbreitet und dadurch einen Anreiz für Behörden und Unternehmen geschaffen werden soll, mehr Anwendungen bereit zu stellen. Nach dem Motto, wenn ich Euch zum Essen zwinge, wird der Appetit schon kommen. So geht es nicht, meine Damen und Herren.

So weit so schlecht. Dem Fass den Boden schlägt allerdings der zweite Teil ihres Gesetzentwurfs, in dem sie offenbar orwellschen Phantasien völlig nachgeben.

Nach der ersten Lesung dachten wir, lassen Sie mich dies deutlich sagen, es könne nicht schlimmer kommen. Der fast voraussetzungslose Abruf der Pass- und Personalausweisbilder einer jeden Bürgerin und eines jeden Bürgers im automatisierten Verfahren durch die Polizeien und nun auch die bundesdeutschen Nachrichtendienste.

Dieses ist nichts anderes als der unverhohlene Einstieg in eine bundesweite biometrische Bilddatenbank aller Bundesbürger. Und dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Sie derzeit am Bahnhof Südkreuz in Berlin die intelligente Videoüberwachung mit Gesichtserkennung an öffentlichen Plätzen testen.

Aber wir haben uns getäuscht: Wenn wir den „fast“ voraussetzungslosen Abruf im ersten Entwurf kritisierten, so scheint dies nur ein Anreiz für Sie gewesen zu sein, das „fast“ zu einem „völlig“ werden zu lassen. Denn nun wird ein Änderungsantrag zu ihrem Gesetzentwurf mitverabschiedet, welcher es nicht einmal mehr nötig macht, dass die Behörde, bei der das Lichtbild abgerufen wird, auf andere Weise nicht erreichbar ist. Und diese Absenkung der Voraussetzungen gilt nun auch für die Polizeibehörden des Bundes und der Länder, die Steuerfahndungsdienststellen, den Zollfahndungsdienst und die Hauptzollämter. Und dies nach einer Sachverständigenanhörung im Innenausschuss, welche eindeutig die Gefahren einer solchen gigantomanischen Datenbank dargelegt hat.

Was dies bedeutet, muss man sich einmal klarmachen: Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttreten dieses Gesetzes dürfen alle oben genannten Behörden, jederzeit „zur Erfüllung ihrer Aufgaben“ auf die Online-Datenbanken, in der die Lichtbilder aller Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik gespeichert sind, zugreifen.

Dann können die Abrufmöglichkeiten längerfristig aber auch dazu verwendet werden, im Rahmen der intelligenten Videoüberwachung alle Menschen zu identifizieren, die sich in einem Bahnhof, auf einem Flughafen, in einem Einkaufszentrum oder auf einem öffentlichen Platz wie dem Bahnhof Südkreuz in Berlin aufhalten.

Begründet wird diese Verschärfung gegenüber dem ohnehin schon bürgerrechtlich dramatischen Entwurf damit, dass so „den Aufgaben der Personalausweis- oder Passbehörden als auch der Sicherheitsbehörden als auch der derzeitigen Sicherheitslage gerecht wird“.

Nicht gerecht wird dieser Entwurf jedoch den Bürgerrechten in der freiheitlich demokratischen Grundordnung, meine Damen und Herren. Denn Sicherheit in einem Rechtsstaat heißt nicht nur „Sicherheit durch den Staat“ sondern immer auch „Sicherheit vor dem Staat“. Indem Sie die Sicherheitsbehörden in diesem Land nach dem Prinzip „Alles-was-kann-soll-auch“ mit Rechten ausstatten, kratzen sie nicht mehr an unserem freiheitlichen Rechtsstaat, sie hobeln daran. Und das, obwohl verschiedene Skandale uns immer wieder zeigen, dass die notwendige parlamentarische und rechtsstaatliche Kontrolle der Dienste bis heute völlig unzureichend läuft. Ich habe es bereits in der ersten Lesung gesagt und ich wiederhole es heute hier: deutlicher kann man Demokratie- und Rechtsstaatgleichgültigkeit nicht zum Ausdruck bringen. Dieses Gesetz wird Ihnen noch viel Ärger machen.

Herzlichen Dank!

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