Viel zu lang hat die Bundesregierung die Dimension des Rechtsterrorismus nicht erkannt und neben der Aufklärung auch notwendige Konsequenzen verschleppt. Wir wollen Hass und Hetze wirksam bekämpfen, Betroffene stärken und Bürgerrechte schützen. Zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu Rechtsextremismus und Hasskriminalität haben wir kurzfristig einen umfassenden eigenen Antrag in den Bundestag eingebracht.

Mit unserem Antrag „Hass und Hetze wirksam bekämpfen, Betroffene stärken und Bürgerrechte schützen“ (pdf) zeigen wir eine bürgerrechtliche Alternative und eine Gesamtstrategie für den Kampf gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität auf. In unserer Initiative machen wir zahlreiche Vorschläge und zeigen konkrete Maßnahmen auf, die dafür sorgen, dass ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz verfolgt und die Sicherheitsbehörden und die Justiz nicht überlastet werden, vielmehr effektiv gegen Hass und Hetze vorgegangen werden kann und rechtsstaatliche Sicherungsmechanismen wie Auskunftsrechte gestärkt werden.

Rassistische, rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte verbreiten Hass und Hetze. Die zu beobachtende Enthemmung bei Worten und Taten gibt Anlass zu größter Sorge. Demokratiefeindlicher, rassistischer, antisemitischer, antiziganistischer, muslimfeindlicher, völkischer, antifeministischer, homo- und transfeindlicher Propaganda und Agitation muss mit aller Entschlossenheit und mit allen geeigneten rechtsstaatlichen und gesellschaftspolitischen Mitteln entgegengetreten werden. Demokratie ist in Gefahr, wenn Hass und Hetze auf Gleichgültigkeit oder sogar Akzeptanz stoßen. Es braucht eine koordinierte Gesamtstrategie um das Problem in seiner Breite zu bearbeiten und um die Zivilgesellschaft und Prävention gegen Rechtsextremismus nachhaltig zu stärken und zu fördern.

Es braucht endlich eine Gesamtstrategie

Dem zunehmenden Rechtsextremismus, Angriffen auf Demokratinnen und Demokraten und der zu beobachtende Verrohung der Diskussionskultur im Netz stellen wir uns mit vielfältigen Initiativen und viel Engagement entgegen. Wir begrüßen daher ausdrücklich, die dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität zugrunde liegende Zielsetzung. Der Regierungsentwurf greift aber einerseits zu kurz und weitet andererseits Befugnisse in weder zielführender noch grundrechtlich verhältnismäßiger Weise aus. Rechtsextremisten wollen Demokratie, Gewaltenteilung, freie Meinungsäußerung, Gleichheit vor dem Gesetz und Rechtsstaatlichkeit generell beseitigen. Umso mehr müssen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität fest auf dem Boden der Rechtstaatlichkeit verankert sein und die Bürgerrechte und grundrechtlich geschützten Beteiligungsrechte der davon potentiell Betroffenen müssen jederzeit gewährleistet bleiben.

So lässt der Entwurf der Bundesregierung die dringend erforderliche enge Zweckbindung und konkrete Regelungen für den Umgang mit den Informationen beim Bundeskriminalamt vermissen. Wir haben daher einen eigenen umfassenden Antrag dazu auf den Weg gebracht, denn zur wirksamen Bekämpfung von Rechtsextremismus, der Bedrohung ganzer Bevölkerungsgruppen sowie von Hass und Hetze im Netz bedarf es einer koordinierten Gesamtstrategie, die das Problem in seiner ganzen Breite bearbeitet: als rechtsextreme Strategie zur Aushöhlung der Demokratie, als gesamtgesellschaftliches Phänomen einer Verrohung der Debattenkultur und als Fortsetzung wie Befeuerung analoger Formen von Diskriminierung und Gewalt. Das erste von uns benannte Ziel lautet: die Zivilgesellschaft und Prävention gegen Rechtsextremismus nachhaltig zu stärken und zu fördern. Dazu zählt besonders, den Schutz von Menschen stärken, die sich für unsere Demokratie engagieren. Das gilt für vielfach bedrohte Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Hier unterstützten wir den Ausbau des strafrechtlichen Schutzes ebenso wie verbesserten Schutz im Melderecht. Genauso ist ein „Demokratiefördergesetz“ lange überfällig. Wir brauchen eine langfristige, verlässliche, gesetzlich verankerte Finanzierung zivilgesellschaftlicher Arbeit. Auch der Diskriminierungsschutz im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) muss ausgebaut werden.

Zeit des Verharmlosens ist ein für allemal vorbei

Lange vor den rechtsterroristischen Anschlägen in Halle oder Hanau waren viele Alarmsignale für alle offensichtlich, die nicht die Augen davor verschließen: orchestrierte Morddrohungen, Chatrooms voller Gewaltphantasien, rechtsextreme „Feindeslisten“ mit zehntausenden Einträgen, Waffendepots, Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Die vernetzten Strukturen rechtsextremistischer Kräfte und die von ihnen ausgehenden Gefahren werden von der Bundesregierung seit Jahren verkannt. Dabei ist die Vernetzung im rechtsextremen Spektrum tatsächlich sehr weit vorangeschritten: Sie reicht bis hinein in Sicherheitsbehörden wie Polizei und Bundeswehr und in den Bundestag.

Die Ideologie vom Kampf gegen einen fantasierten angeblichen „großen Austausch“, einen „Bevölkerungsaustausch“ oder eine „Umvolkung“ verbindet alle rechtsextremen Strömungen. Sie findet sich im Bekennerschreiben des Massenmörders von Christchurch, bei Mitgliedern der Neuen Rechten, der „Identitären Bewegung“ und der Partei „Der III. Weg“ genauso wie in Reden verschiedener Landtags- und Bundestagsabgeordneter der AfD. Unsere deutsche Geschichte hat eines gezeigt: Nationalismus, Hass und Hetze führen in den Abgrund. Die zu beobachtende rechtsextreme Enthemmung bei Worten und Taten und die fortschreitende Vernetzung erfüllen uns mit größter Sorge. Die Zeit des Verharmlosens von vernetzten Strukturen und rechten Brandstiftern muss endlich ein für alle Mal vorbei sein. Wir wollen ihnen mit allen geeigneten rechtsstaatlichen und gesellschaftspolitischen Mitteln entgegengetreten.

Bundesregierung fehlte nötige Entschlossenheit beim Kampf gegen Rechtsextremismus

Der Bundesregierung fehlte es an der notwendigen Entschlossenheit beim Kampf gegen die Bedrohungen durch Rechtsextremismus. Gemeinsame ideologische Grundlagen und Verzahnungen rechter Strukturen werden immer noch oft ausgeblendet. Die Identifizierung und Verfolgung von rechten Netzwerkstrukturen bis hinein in die Sicherheitsbehörden erfolgt nach wie vor nicht mit der erforderlichen Priorität. Angesichts der berichteten Tragweite der Vernetzungen, aber auch des massiven Vertrauensverlustes für Polizeien, Nachrichtendienste und die Bundeswehr ist dies sicherheitspolitisch unverantwortlich. Die Bundesregierung hat zahlreiche Schritte zur Erhöhung der Sicherheit in unserem Land und dem Schutz von durch Hass und Hetze betroffenen Menschen viel zu lange hinausgezögert. Wir begrüßen, dass sich Bundesregierung und Sicherheitsbehörden jetzt der sehr realen Gefahr gut vernetzter Rechtsextremisten und Rechtsterroristen noch stärker widmen wollen. Nach personellen brauchen wir auch strukturelle Änderungen, um auf neue Gefahrenlagen angemessen reagieren zu können. Entsprechende Reformvorschläge liegen seit langem im Parlament vor. Die europäische Zusammenarbeit muss dringend verbessert werden. Der Austausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz, wie er insbesondere in diversen Zentren erfolgt, bedarf endlich klarer und verhältnismäßiger gesetzlicher Regelung.

Mobilisierung gegen jede Form von Rassismus

Es braucht eine breite und dauerhafte gesellschaftliche wie staatliche Mobilisierung gegen jede Form von Rassismus. Es gilt das Problem an den Wurzeln zu packen. Eine Gesellschaft der Vielen muss allen Herabwürdigungen, Ausschlüssen und Bedrohungen jederzeit und an jedem Ort entschieden entgegentreten. Die Selbstverständlichkeit jüdischen und muslimischen Lebens, von jedweder Vielfalt in der Gesellschaft und der bedingungslose Schutz vor Rassismus sind existenziell für unsere Demokratie. Zu der notwendigen Gesamtstrategie gehört auch, das historisch als Gegenbegriff zur NS-Rasseideologie gemeinte, aber – weil es beim Menschen keine Rassen gibt – in der Sache falsche Wort „Rasse“ bei den Diskriminierungsverboten in Artikel 3 Absatz 3 GG zu ersetzen durch den Begriff „rassistisch“ und das Grundgesetz zu ergänzen durch die ausdrückliche Pflicht des Staates, Schutz gegen alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu gewährleisten.

Es ist wichtig zu erkennen, dass Islamfeindlichkeit heute ein wesentliches Motiv der neuen Rechten darstellt und als Rekrutierungs- und Radikalisierungsinstrument genutzt wird. Auch die Bundesregierung muss sich daher endlich vertieft mit der Problematik befassen. Die Sicherheitsbehörden hätten viel früher für das Thema Islamfeindlichkeit sensibilisiert werden müssen. Spätestens jedoch nach dem Anschlag in Christchurch hätte die Bundesregierung die Sicherheit und den Schutz von Moscheen in den Blick nehmen müssen. Die Anschlagspläne der rechten Terrorzelle, die gezielt Anschläge auf Moscheen plante, verdeutlichen die aktuelle Bedrohungslage. Der muslimischen und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland muss nun dringend signalisiert werden, dass ihre Sicherheit eine hohe Priorität für die Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden darstellt. Auch die Bekämpfung des Antisemitismus müssen wir endlich entschlossener angehen. Die Bundesregierung muss die bislang nicht umgesetzten Forderungen des interfraktionellen Antrags endlich abarbeiten. U.a. muss im Zusammenspiel mit den Ländern die Erfassung antisemitischer Straftaten in den Kriminalitätsstatistiken und der Schutz jüdischer Einrichtungen verbessert werden.  

Die Einrichtung einer Zentralstelle für Analyse und Bekämpfung von Hasskriminalität, insbesondere in Verbindung mit einer zentralen Online-Beratungsstelle für Betroffene ist ein positives Signal. Das Bundeskriminalamt könnte hier zweifellos eine wichtige Koordinierungs-Funktion wahrnehmen. Das setzt aber entsprechende, rechtsstaatlich einwandfreie gesetzliche Grundlagen voraus. Auf diesem Weg stellt man sicher, dass die Strafverfolgung effektiviert, gleichzeitig aber Bürgerrechte gewahrt bleiben.

Netzwerkdurchsetzungsgesetz braucht eine grundlegende Überarbeitung

Eine grundlegende Überarbeitung des in weiten Teilen dysfunktionalen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist seit vielen Monaten überfällig und wurde bislang von der Bundesregierung verschlafen. Zahlreiche konkrete Verbesserungsvorschläge liegen seit langem im Parlament vor.

Auch brauchen wir weitere Änderungen im Waffenrecht. Noch immer kommen Extremisten viel zu leicht an Waffen. Dass die Regelabfrage erst jetzt eingeführt wird, ist ein großes Versäumnis. Darüber hinaus sind die Änderungen im Melderecht zum verbesserten Schutz von Betroffenen sind überfällig. Weiterhin brauchen wir eine „Task Force“ im Bundesinnenministerium, die Hilfs- und Beratungsangebote an die Hand gibt, sowie die Verankerung eines zentralen Rechtshilfefonds für Opfer von Hasskriminalität im Bundeshaushalt.

Wir Grüne im Bundestag hatten bereits auf unserer Klausur in Weimar am 6. September 2019 ein umfassendes Maßnahmenprogramm gegen Rechtsextremismus und die Bedrohung durch Rechtsterrorismus beschlossen. Ein entsprechendes Maßnahmenprogramm haben wir bereits im Oktober 2019 mit einem Antrag „Rechtsextremen Netzwerken entschlossen entgegentreten“ (pdf) in den Bundestag getragen. Dieses Programm ist weiter hochaktuell. Alle Details sind in unserer Initiative und in einem umfassenden Fraktionsbeschluss nachzulesen.

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