Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Bestandsdatenzugriff (pdf) wurde in der letzten Sitzungswoche des Bundestages gegen unseren Widerstand verabschiedet. Die entsprechend heftig geführte Aussprache im Plenum zu später Stunde war durch uns veranlasst. Wir haben den Gesetzentwurf von CDU/CSU, FDP und SPD leider wie zu erwarten nicht aufhalten können, waren aber auch erstaunt, mit welcher Begeisterung die SPD das Gesetz letztendlich unterstützt hat. Eine Sachverständigenanhörung hatte erheblichen Nachbesserungsbedarf ergeben, die Bundesregierung kümmerte das nicht sonderlich.
Der Gesetzentwurf liegt jetzt im Bundesrat und kann dort theoretisch noch aufgehalten werden, was allerdings angesichts der Zustimmung der SPD nicht wahrscheinlich ist.
Das Fernmelde- und Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bilden die Grundlage einer demokratischen freiheitlichen Informations- und Kommunikationsgesellschaft. Auch Bestandsdatenzugriffe (neben Verkehrsdaten, siehe Vorratsdatenspeicherung oder Inhaltsdaten, siehe Kernbereichsschutz) müssen weiter eingeschränkt werden, wenn der Gesetzentwurf verfassungsgemäß werden soll. Das fordern auch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Die bei Gelegenheit vorgenommenen Ausweitungen der Zugriffsmöglichkeiten sind völlig inakzeptabel. Der Anlass der BVerfG-Überprüfung von 2012 wird damit hintertrieben. Der seitens der Bundesregierung zitierte Zeitdruck wegen der BVerfG-Fristsetzung ist taktisch motiviert, man hatte den Gesetzentwurf bereits lange ausgearbeitet, aber erst jetzt eingebracht.
Grüne Kritik an der Neuregelung der Bestandsdatenauskunft:
Spätestens seit September 2001 wurde und wird der Sicherheitsapparat kontinuierlich ausgeweitet. Die Aufgaben und Befugnisse der Sicherheitsbehörden werden ständig ausgedehnt. Der Entwurf der Bundesregierung zur Bestandsdatenauskunft steht – anders als es FDP und SPD nun weismachen wollen – in dieser Tradition. Statt die mahnenden Worte des Bundesverfassungsgerichts Ernst zu nehmen, das Anfang 2012 erhebliche Gesetzeskorrekturen angemahnt hatte, verschärft die Bundesregierung mit willfähriger Hilfe der SPD die Rechtslage zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger:
1. BKA und Zollkriminalamt erhalten weitgehend voraussetzungsfreie, neue Zugriffsmöglichkeiten auf Bestandsdaten im Rahmen ihrer Zentralstellenfunktion. Das ist völlig inakzeptabel, durchbricht die föderale Struktur und verstößt zugleich gegen die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen.
2. Zukünftig können die Sicherheitsbehörden selbst bei bloßen Ordnungswidrigkeitenverfahren Bestandsdatenabrufe durchführen. Damit fehlt eine notwendige Schutzschwelle für den Zugriff auf diese Daten, die oft nur der erste Schritt bei der massenhaften Aushöhlung des Fernmeldegeheimnisses, z.B. bei der Funkzellenauswertung, darstellen.
3. § 113 des Telekommunikationsgesezes (TKG) bleibt ohne inhaltliche konkrete Vorgaben für die Datenverarbeitung. Er muss eine echte datenschutzrechtliche Schwelle und Drehtür mit entsprechenden engen Vorgaben im Hinblick auf Zwecksetzung, Transparenz, Dokumentation etc. werden.
4. Der jetzt vorgelegte Entwurf sieht einen Richtervorbehalt ausschließlich für Zugriffe auf Pin/ PUK vor. Der Richtervorbehalt muss jedoch auch für IP-Adressenzugriffe gelten, wenn diese für Ermittlung von Bestandsdaten erforderlich.
5. Wir fordern zudem eine gesetzliche Regelung zu IPv6, die den dazu erfolgten Vorschlägen der Enquete-Kommission entspricht.
6. Auch fordern wir eine unabhängige Evaluation durch eine externe Stelle, die eine Wirksamkeitsprüfung auch der Datenschutzvorkehrungen und zugriffsbeschränkenden Tatbestandsmerkmale in den Sicherheitsgesetzen vorlegt.
Was machen SPD und FDP?
Die zwischen schwarz-gelber Koalition und der SPD abgestimmten Änderungsanträge sind eine Mogelpackung: Entgegen der klar überwiegenden Auffassung der Sachverständigen in der Anhörung des Innenausschusses wollte man nicht ans materielle Recht ran, sondern will allein mit Benachrichtigungspflichten und einem einzelnen Richtervorbehalt (bei PIN/ PUK) die Wogen glätten. Grundrechtsschutz durch Verfahren allein aber bleibt wertlos, wenn nicht auch klar definierte und materiell gewichtige Schwellen für den Zugriff festgelegt werden. Und ausgerechnet Benachrichtigungspflichten sind zumindest in der vorgelegten Form nachweislich erfolgslos bzw. werden von den Staatsanwaltschaften schlicht ignoriert.
Die SPD blinkt durch ihr Vorgehen deutlich in Richtung Große Koalition und geht dabei so vor, wie wir sie noch aus Schilys Zeiten kennen: in der Sache uninteressiert bis destruktiv.
Die FDP bemüht sich im Verfahren durch überbordende Angriffe auf uns Grüne, von der eigenen Niederlage abzulenken. Offenbar mussten sich das Bundesjustizministerium und Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sich dem Bundesinnenministerium und Bundesinnenminister Friedrich geschlagen geben. Sie sind offenbar ebenfalls der Meinung, ein bloßer Verfahrensschutz genüge zur Gesichtswahrung.
Die Eile der Koalition aus CDU/CSU und SPD war und ist nicht gerechtfertigt. Als Grüne fordern wir, dass die vielen verfassungsrechtlichen Bedenken ernst genommen und bei der Reform berücksichtigt werden. Entsprechende Vorschläge des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit müssen berücksichtigt werden. In einem angemessenen Verfahren müssen die Schwellen für zulässige Zugriffe insbesondere durch das BKA, die Bundespolizei und den Zoll herauf- und nicht herabgesetzt werden. Schlichte Ordnungswidrigkeiten dürfen nicht den Zugriff auf Telekommunikationsdaten eröffnen.
Wir Grüne streiten für das Ende dieses falschen Gesetzes, gemeinsam mit vielen anderen Organisationen und den Bürgerinnen und Bürgern. Hier findet Ihr eine Übersicht unserer bisherigen Initiativen zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft.
Comments are closed