Im Februar letzten Jahres konstituierte sich nach einem mehrmonatigen großkoalitionärem Hin und Her der Ausschuss „Digitale Agenda“ des Deutschen Bundestages. Am heutigen 19. Februar 2015 jährt sich der erste Jahrestag der Einsetzung des Ausschuss „Digitale Agenda“ des Deutschen Bundestages. Derartige Jubiläen eröffnen einem ja immer die Gelegenheit, das eigene Wirken zu reflektieren und so will ich ein kurzes Zwischenfazit zur Arbeit des Ausschusses ziehen.

Zunächst war die Freude groß als man am Anfang der Wahlperiode ankündigte, einen eigenständigen netzpolitischen Ausschuss im Bundestag einrichten zu wollen. Endlich würde netzpolitischen Fragestellungen innerhalb des Parlaments eine angemessene Bedeutung zukommen, so die allseits zu vernehmende Hoffnung. Die anfängliche Begeisterung legte sich jedoch rasch: Angesichts eines Gremiums mit Mehrheiten, die bis heute Öffentlichkeit und Bürgerbeteiligung scheuen und der Tatsache, dass dem Ausschuss noch immer jedwede politische Durchschlagskraft fehlt, machte sich alsbald Ernüchterung breit, die bis heute anhält. Insgesamt hat die schwarz-rote Bundesregierung einen fulminanten netzpolitischen Fehlstart gleich zu Beginn der Legislaturperiode hingelegt: Großkoalitionärer Kardinalsfehler war es, gleich zwei zentrale Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ nicht zu befolgen: Einerseits verpasste man die Bündelung netzpolitischer Kompetenzen auf Regierungsseite, andererseits befolgte man auch nicht die expliziten Kommissions-Empfehlungen bezüglich der Einrichtung des ständigen Parlaments-Ausschusses. Beides zusammen führt zu einem netzpolitischen Chaos bar jeder Vision, über das auch keine neuen, noch so schick anmutenden Agenden hinwegtäuschen können.

Ob beim Datenschutz, dem Urheberrecht, der Netzneutralität oder dem Breitbandausbau – auf beinahe allen netzpolitischen Großbaustellen sind wir in den letzten Jahren aufgrund stark divergierender Interessen zwischen den einzelnen Ministerien kaum vorangekommen. Es fehlte schlicht an einer koordinierenden Stelle und Person, die netzpolitische Fragestellungen mit der nötigen Vehemenz und politischen Durchsetzungskraft vorantrieb. Statt eine dringend benötigte netzpolitische Kompetenzbündelung auf Regierungsseite vorzunehmen wurden Zuständigkeiten weiter chaotisiert. Dies führte dazu, dass heute nicht etwa weniger, sondern gar mehr Ministerien für netzpolitische Fragestellungen zuständig sind und fühlen. Eine der Bedeutung digitaler Themen angemessene Koordinierung findet, das wurde im Zuge der Vorlage einer „Digitalen Agenda“ einmal mehr schmerzhaft deutlich, noch immer nicht statt. Da wundert es kaum, dass die nun vorgelegte Agenda ganze Themengebiete wie beispielsweise den digitalen Daten- und Verbraucherschutz oder  das Urheberrecht beinahe komplett ausspart. Hierdurch ergibt es sich auch, dass der im Bundestag neue geschaffene Ausschuss „Digitale Agenda“, der – was viel über das parlamentarische Selbstverständnis auf Seiten der Regierungsfraktionen aussagt – den gleichen Namen wie das entsprechende Kapitel des Koalitionsvertrages und die mittlerweile vorgelegte Aneinanderreihung von Absichtserklärungen der Bundesregierung trägt, noch immer keine Federführung bei auch nur einem einzigen Thema innehatte. So durfte und darf der Ausschuss parlamentsintern zwar offiziell über alles „mitberaten“, die politischen Entscheidungen fallen aber letztlich woanders. Dieses Dilemma, das auch dazu führte, dass der neue „Internet-Ausschuss“ erst Wochen nach allen anderen Gremien eingesetzt wurde, erkannten die Regierungsfraktionen viel zu spät, dabei hätte ein Blick in die – vor wenigen Monaten noch selbst verabschiedeten – Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission für Klarheit gesorgt.

Auch die sonstigen in der von mir geleiteten Enquete-Projektgruppe „Demokratie und Staat“ erarbeiteten Handlungsempfehlungen wurden bislang von der Großen Koalition weitgehend ignoriert – beispielsweise die zur grundsätzlichen Öffentlichkeit der Sitzungen des neu zu schaffenden Ausschusses und der Beteiligung von Interessierten an der Arbeit. So tagt man bislang, obwohl wir gemeinsam mit der Linken immer wieder entsprechende Anträge stellten, bis heute weitgehend hinter verschlossenen Türen. Interessierte Bürgerinnen und Bürger, Journalistinnen und Journalisten oder auch Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft erhalten keinen Zugang zu den Sitzungen, ein Stream oder gar Beteiligungstool wie es der Enquete zur Verfügung stand gibt es bis heute nicht. Stattdessen wurde eine Schmalspur-Variante einer Beteiligungsplattform aufgesetzt, angesichts derer man sich über mangelnde Beteiligung nun wirklich niemand wundern kann. Die vor allem durch die Union verschuldete anhaltende Blockadehaltung bezüglich Transparenz und Offenheit ist vor dem Hintergrund, dass die Enquete-Kommission mit Öffentlichkeit und Beteiligung durchweg positive Erfahrungen gemacht und sich interfraktionell für einen Ausbau entsprechender Angebote ausgesprochen hatte, absolut nicht nachvollziehbar. Bis heute gestaltet sich die Arbeit im neugegründeten Ausschuss äußerst mühsam. An der Erarbeitung der „Digitalen Agenda“ der Bundesregierung wurde der – wohlgemerkt gleichnamige – Parlamentsausschuss, trotz mehrfacher Nachfragen und anderslautender Versprechungen von Seiten der Bundesregierung überhaupt nicht beteiligt. So konnten auch wir Abgeordneten uns an inhaltlichen Diskussionen erst nach entsprechenden Leaks beteiligen und durften gespannt den – sehr ernüchternden  – Ausführungen der drei Minister in der Bundespressekonferenz lauschen. Ein guter Stil gegenüber dem Parlament sieht wahrlich anders aus. Bis heute haben es nicht einmal alle der in Sachen Agenda „drei federführenden Minister“ geschafft, „ihrem“ neuen Ausschuss einen Antrittsbesuch abzustatten – eigentlich eine Selbstverständlichkeit zu Beginn einer neuen Legislaturperiode.

Insgesamt steht der Umgang der Bundesregierung mit dem Ausschuss leider exemplarisch für die Wertschätzung digitaler Gesellschaftsfragen auf Seiten der Großen Koalition. Die vergangenen Sitzungen haben gezeigt: Die Bundesregierung hat keinerlei Plan, wie sie mit ihrer Agenda weiter umgehen will. So wird es nach heutigem Stand einzelne gesetzgeberische „Single-Auskopplungen“ geben, die dann in den jeweils federführenden Ausschüssen behandelt werden. So wird der Ausschuss zu einer Art „Evaluierungs-Gremium“ für das selbsternannte „ Hausaufgabenheft Digitale Agenda“ degradiert. Das versucht die Große Koalition nun in Ermangelung anderer Projekte tatsächlich auch noch als Gewinn zu verkaufen. Dass man es koalitionsintern jedoch noch nicht einmal schafft, sich auf die Bearbeitung vermeintliche „Kleinstbaustellen“ wie der Störerhaftung zu einigen, spricht Bände. Für die weitere Umsetzung der ohnehin mehr als unambitionierten Agenda, die ja zudem ganze Themengebiete wie die Urheberrechtsreform ohnehin ausspart, kann einem da nur angst und bange werden. Vor dem Hintergrund dieser großkoalitionären netzpolitischen Tristesse und der durch rigide Vorgaben der Unionsfraktionsspitze begründetet Nicht-Öffentlichkeit rettet man sich als Ausschuss in die Veranstaltung von Fachgesprächen, bei denen sich niemand auf die Geschäftsordnung des Bundestages berufen kann und die deshalb öffentlich stattfinden können. Hier finden in der Tat immer wieder wichtige Diskussionen statt, die Impulse, die von den Anhörungen ausgehen, greift die Große Koalition im politischen Alltagsgeschäft jedoch nicht auf. Die kürzlich stattgefundene Anhörung zum Urheberrecht, das in einem einzigen Verriss des Leistungsschutzrecht durch die Sachverständigen endete, war hierfür ein gutes Beispiel. Konsequenzen im Nachklapp der Anhörung? Keine.

Als Ausschussmitglieder aus den Reihen der Opposition versuchen wir, das Beste aus der verfahrenden Situation zu machen, beispielsweise durch die Veranstaltung eines in Kürze stattfindenden öffentlichen Fachgesprächs zur Notwendigkeit der gesetzlichen Sicherung der Netzneutralität oder durch die Einladung des neuen EU-Kommissars Oettinger zur Urheberrechtsreform, die Bundesregierung wenigstens bezüglich der drängendsten netzpolitischen Baustellen zum Jagen zu tragen. Natürlich würde man sich aber insgesamt sehr viel mehr für den Ausschuss wünschen, der ein echter Treiber netzpolitischer Debatten sein könnte. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass es auch auf Seiten der zusehends ebenfalls mehr und mehr genervten Abgeordneten der Großen Koalition doch noch zu einem Umdenken kommt und der Ausschuss seiner eigentlich angedachten Tätigkeit, nämlich der Umsetzung der auf dem Tisch liegenden Empfehlungen doch noch nachkommen kann. So haben wir mit Hilfe einer parlamentarischen Initiative vorgeschlagen, dass sich der Ausschuss in den kommenden Monaten der wichtigen Aufgabe der überfälligen Umsetzung der mehreren hundert Handlungsempfehlungen widmet, welche die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ unter erheblichen Aufwand und Einbeziehung externen Sachverstandes in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitet hat.

Statt die Umsetzung der visionslosen Agenda einer netzpolitisch weiterhin irrlichternden Großen Koalition ohne eigene Kompetenzen und politische Durchschlagskraft parlamentarisch zu begleiten und der Bundesregierung so bei der Errichtung eines weiteren Potemkin’schen Dorfes Schützenhilfe zu leisten, könnte der neue geschaffene „Internet-Ausschuss“ als Parlamentsgremium zeigen, dass es ihm ein tatsächliches Anliegen ist, eine netzpolitisch mehr als unambitionierte Große Koalition zu treiben und den digitalen Wandel unserer Gesellschaft tatsächlich gesetzgeberisch zu gestalten.

Ein aktuelles Interview zur Arbeit des Ausschusses findet Ihr auf netzpiloten.de.

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