Der Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode der Regierungsparteien CDU, CSU und SPD präsentiert eine Reihe von sicherheits- und digitalpolitischen Vorhaben, die unter dem Leitbild von Effizienz, Sicherheit und staatlicher Kontrolle stehen. Doch gerade in Zeiten wachsender digitaler Abhängigkeiten und globaler Überwachungsdynamiken ist die Gewährleistung der informationellen Selbstbestimmung kein technisches Randthema, sondern ein zentrales Fundament demokratischer Verfasstheit. Die vorliegenden Pläne der Regierung offenbaren hier nicht nur eine gefährliche Schieflage, sondern einen grundsätzlichen Perspektivfehler, der Freiheit zugunsten vermeintlicher Sicherheit opfert – mit langfristig gesellschaftlich bedenklichen Folgen wie der Schaffung neuer digitaler Abhängigkeiten. Gemeinsam mit meinem Kollegen Lukas Benner, mit dem ich in dieser Wahlperiode viele datenschutzrechtliche Themen gemeinsam bearbeite habe ich einen Gastbeitrag für die Ausgabe 3/2025 der DANA (Datenschutz Nachrichten) verfasst.

Datenschutz ist kein Ballast, sondern ein Bollwerk der Freiheit

In autoritären Staaten wie China oder Russland ist die digitale Überwachung längst Realität. Bürgerinnen und Bürger werden mittels biometrischer Erfassung, Verhaltensanalysen und Kommunikationsüberwachung in ihrer Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit und Privatsphäre massiv eingeschränkt. In der digitalen Sphäre bedeutet Macht nicht nur Kontrolle über Territorien, sondern über Informations- und Datenströme. Deshalb ist Datenschutz in westlichen Demokratien kein lästiger Hemmschuh für Effizienz oder Strafverfolgung, sondern essenziell zum Schutz von Grundrechten und ein Bollwerk gegen eben jene Kontrollmechanismen, die unsere freiheitliche Gesellschaft zerstören würden, wenn sie einmal Einzug halten. Die Bundesregierung verkennt in ihrer Rhetorik und Praxis allerdings diese zentrale Schutzfunktion. Wenn im Koalitionsvertrag von „verhältnismäßiger“ Datenspeicherung in der Gestalt einer dreimonatigen Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern „zur Bekämpfung schwerer Straftaten“ und von „automatisierter Datenrecherche und -analyse sowie dem nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten, auch mittels künstlicher Intelligenz“ die Rede ist, wird deutlich, wie wenig die Bundesregierung aus einer nunmehr knapp 20 Jahre andauernden Debatte um die Verfassungswidrigkeit der Maßnahme und dringend notwendige Verhältnismäßigkeit gelernt hat. Das unbeirrte Festhalten an der anlasslosen Massenüberwachung und die Ignoranz gegenüber längst vorliegenden bürgerrechtsschonenden Alternativkonzepten wie dem „Quick Freeze“-Verfahren, bei dem Daten zielgerichtet nach konkretem Anfangsverdacht eingefroren werden, steht exemplarisch für eine neue Große Koalition, die ihre Mehrheiten nutzt, um längst überholte Konzepte aus der sicherheitspolitischen Mottenkiste zu reanimieren. Wie eine solche, dreimonatige Speicherung von IP-Adressen und Portnummern mit höchstrichterlichen Vorgaben

in Einklang zu bringen ist bleibt schleierhaft, zumal es sich ja hier nur um eine verfassungsrechtliche Hürde von vielen handelt. Auch beispielsweise die Frage, wie Berufsgeheimnisträgerinnen und ‑träger nicht miterfasst werden sollen, bleibt unbeantwortet. Insgesamt zeigt sich im Koalitionsvertrag eine Priorisierung staatlicher Zugriffsmöglichkeiten ohne adäquate Schutzmechanismen für Unbeteiligte und Unschuldige. Faktisch handelt es sich bei dieser und anderen Absichtserklärungen um anlassunabhängige Zugangsmöglichkeiten zu privaten Daten der Bürgerinnen und Bürger, ohne dass gleichzeitig hinreichende Garantien des Datenschutzes oder besondere gerichtliche Prüfmechanismen verbindlich festgelegt werden. Das Prinzip der Unschuldsvermutung wird gezielt unterminiert. Daten über das Kommunikationsverhalten aller Bürgerinnen und Bürger auf Vorrat zu speichern – unabhängig davon, ob ein Verdacht vorliegt – bedeutet letztlich: Alle gelten potenziell als verdächtig. Die Pläne zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung verstoßen nicht nur gegen Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts, sondern untergraben auch das Vertrauen der Bevölkerung in den verantwortungsvollen Umgang des Staates mit sensiblen Daten und Informationen. Statt zielgerichteter Ermittlungsarbeit entsteht ein Klima generalisierter Überwachung. Dass solche Instrumente immer wieder von staatlichen Stellen gefordert werden – trotz mangelnder Wirksamkeitsnachweise – spricht für ein strukturelles Misstrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, nicht für eine moderne Sicherheitspolitik, die auf sehr konkrete, zweifellos gestiegene Bedrohungen zielgerichtet antwortet.

Biometrische Fernidentifizierung & Co. und Rückgriff auf hochumstrittene US-Firmen

Noch bedenklicher sind die Passagen im Koalitionsvertrag zur biometrischen „Fernidentifizierung“ und zum nachträglichen Abgleich von Videomaterial, das an Kriminalitätsschwerpunkten aufgezeichnet wurde, mit öffentlich zugänglichen Internetdaten. Das Fehlen eines explizit geregelten Richtervorbehalts, klar definierter Einsatzgrenzen, die in einem angemessenen Verhältnis zur Eingriffsintensität der Maßnahmen stehen, oder automatischer Löschfristen lässt erhebliche Missbrauchsrisiken offen. Die Technik mag im Stande sein punktuell zur Identifikation beizutragen, eröffnet aber ein gewaltiges Missbrauchspotenzial – von falschen Treffern über diskriminierende Algorithmen bis hin zu einem lückenlosen Bewegungsprofil und der finalen Absage der Anonymität im öffentlichen Raum. Wer sich im öffentlichen Raum stets beobachtet fühlt, verhält sich nicht mehr frei. Der Rückgriff auf hochumstrittene USFirmen wie „Palantir“, deren Software bereits in mehreren Ländern zum Einsatz kommt und nun auch im Bund ermöglicht werden soll, zeigt zudem, dass alle Absichtserklärungen zur notwendigen Erhöhung der digitalen Souveränität Deutschlands und Europas kaum mehr als Sonntagsreden sind. Wer Peter Thiel und Co. den direkten Zugriff auf hochsensible Daten und Informationen – auch von Dritten – ermöglicht, handelt genau gegensätzlich. Er ignoriert den Umstand, dass der Einsatz der Software bereits erfolgreich beklagt wurde, neue Klagen der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) angekündigt sind und das Risiko eines Abflusses hochsensibler Daten bis heute nicht ausgeschlossen werden kann. Alarmierend ist auch die Unterstützung für EU-weite Pläne zur sogenannten „Chatkontrolle“ – also der automatisierten Durchleuchtung privater Kommunikation etwa auf Messenger Plattformen. Was als Schutzmechanismus vor sexueller Gewalt gegen Kinder verkauft wird, bedeutet in der Praxis die faktische Abschaffung vertraulicher digitaler Kommunikation. Ende-zu-Ende Verschlüsselung – das technische Fundament sicherer Chats – wird damit untergraben. Die Folge: Selbst intime Gespräche zwischen Vertrauenspersonen, Ärzten und Patientinnen, Bürgerinnen und Journalisten könnten unter staatliche Sicht geraten. Auch hier gilt: Der Zweck heiligt gewiss nicht jedes Mittel.

Angriffe aus dem Ausland erfordern Resilienz, nicht Selbstentwaffnung

Gerade angesichts zunehmender hybrider Bedrohungen durch ausländische Akteure – von gezielten Desinformationskampagnen bis hin zu Spionage und Cyberangriffen – müsste der Staat alles daransetzen, um das Vertrauen der eigenen Bevölkerung in seine digitalen Institutionen zu stärken. Doch wenn gleichzeitig der Schutz der persönlichen Daten und Informationen weiter gezielt aufgeweicht wird, weil vermeintliche sicherheitspolitische Effizienzgewinne winken, dann entsteht eine paradoxe Situation: Wir schützen uns nicht durch Robustheit, sondern durch Kontrolle nach innen. Das macht die Gesellschaft verwundbarer, nicht resilienter. Ein moderner Rechtsstaat darf eben nicht dieselben Kontrollwerkzeuge nutzen, wie sie autoritäre Staaten perfektioniert haben. Vielmehr muss er in der Lage sein seine Sicherheit durch freiheitliche Mittel zu gewährleisten – etwa durch zielgerichtete Ermittlungen, technischen Datenschutz, mehr Ressourcen für Cybersicherheit und transparente Aufsichtsinstitutionen. Die digitale Selbstbestimmung ist dabei kein Luxus, sondern Voraussetzung – übrigens auch für das für die Nutzung neuer digitaler Anwendungen zwingend notwendige Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer.

„Entbürokratisierung“ kann kein Anlass zur Beschränkung der Datenschutzaufsicht sein

Unter dem Schlagwort „Entbürokratisierung“ will die Koalition den Datenschutz und insbesondere die Datenschutzaufsicht letztlich bewusst schwächen. Der Koalitionsvertrag sieht vor „im Interesse der Wirtschaft“ Zuständigkeiten und Kompetenzen bei der Bundesbeauftragten (BfDI) zu zentralisieren. Ein solches Vorgehen kommt einer kalten Entmachtung der bisher zuständigen Landesbeauftragten gleich. Es ist zu bezweifeln, dass es im Interesse der zahlreichen kleinen und mittleren Unternehmen ist, wenn sie keine Ansprechpartner mehr in ihrem Bundesland haben. Gleichzeitig hat die Koalition vereinbart in den nächsten vier Jahren die Bundesverwaltung außerhalb der Sicherheitsbehörden personell um acht Prozent zurechtzustutzen. Es ist daher abzusehen, dass ein im Lichte neuer Zuständigkeiten und stark gestiegener Herausforderungen zwingend notwendig werdender Personalaufwuchs bei der BfDI im Ergebnis dem Aufgabenzuwachs nicht gerecht werden wird. Am Ende steht als Ergebnis nicht mehr Kooperation und Kohärenz, sondern weniger Datenschutz, so zumindest unsere Befürchtung. Die vorgesehene gesetzliche Verankerung der Datenschutzkonferenz (DSK) ist hingegen grundsätzlich zu begrüßen, sofern damit tatsächlich ein echter und verbindlicher Koordinierungs- und Kooperationsmechanismus im gemeinsamen Sinne aller Landesdatenschutzbeauftragten und der BfDI geschaffen wird.

Fazit

Die im Koalitionsvertrag für die 21 Wahlperiode vorgestellten Pläne der Bundesregierung zur Ausweitung staatlicher Überwachungskompetenzen widersprechen dem Geist der informationellen Selbstbestimmung. Die (Wieder-)Einführung von Vorratsdatenspeicherung, der Ausbau biometrischer Überwachung und die Unterstützung der Chatkontrolle gefährden zentrale Grundrechte. Statt Datenschutz als strategisches Mittel gegen Bedrohungen zu begreifen, wird er als sicherheitspolitisches und bürokratisches Hindernis gesehen – ein alter, gefährlicher Irrtum. Eine demokratische Gesellschaft muss ihre Stärke daraus ziehen, dass sie Freiheiten effektiv schützt, gerade in der digitalen Sphäre. Der Koalitionsvertrag aber sendet hier völlig falsche Signale.

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