An dieser Stelle dokumentieren wir eine Rede, die ich am 7. November 2012 in meiner Funktion als innen- und netzpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion vor Betriebsräten im Rahmen des dtb-Forums in Dresden gehalten habe.  In meiner Rede gehe ich auf aktuelle innen- und datenschutzpolitische Entwicklungen ein und kritisiere den absoluten Stillstand der Bundesregierung, der für einen effektiven Daten- und Verbraucherschutz der Bürgerinnen und Bürger fatal ist.

Datenschutz ist Bürgerrecht in der digitalen Welt!

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Betriebsrätinnen und Betriebsräte,

ich freue mich sehr und sehe das auch als ein Stück Anerkennung unserer Arbeit, dass ich hier und heute als innen- und netzpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion zu Ihnen sprechen darf. Für alle, die es nach dem gestrigen, wie ich finde ganz bemerkenswert umfangreichen Programmtag heute erneut auf sich nehmen, hoffe ich, Ihnen vor allem einen Mehrwert durch einen Einblick in die aktuelle parlamentarische Debatte zur Datenschutzpolitik geben zu können. Frau Bundesministerin der Justiz a.D. Frau Däubler-Gmelin werde ich nicht vorgreifen, sondern einen einleitenden Überflug versuchen.

Den Gau in Sachen Datenschutz und Kundenvertrauen, den schlimmsten anzunehmenden Unfall für die Compliance-Abteilung erlebte Sony im vergangenen Jahr, als Hacker die Datenbank der registrierten Playstation-Online-Spieler des Unternehmens knackten und Millionen von Datensätzen abgriffen.

Schon in den Jahren zuvor, die zur Mini-Reform des Bundesdatenschutzgesetzes 2009 führten, erlebten die Telekom, die Deutsche Bahn sowie die Deutsche Bank, welche Dynamik Datenschutzskandale entfalten können. Diese Beispielsfälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Darunter liegen zahllose weitere Fälle des Datenmissbrauchs, von denen wir nur nie erfahren, aus den unterschiedlichsten Gründen. Haben wir aber aus diesen Fällen gelernt, haben die Unternehmen gelernt, hat der Gesetzgeber ausreichend reagiert. Ich meine nein, im Gegenteil hat ganz überwiegend ein bemerkenswertes Aussitzen stattgefunden. Nicht nur hatte die große Koalition in Reaktion auf die genannten Skandale eine unzulängliche und kleinliche Reform des Bundesdatenschutzgesetzes vorgelegt. Auch die jetzige schwarz-gelbe Regierung tut nichts. Dazu gleich mehr. Dieser Stillstand aber ist für die Effektivität des Datenschutzes fatal.

Denn die Technisierung unseres Alltages hat eine Dimension erreicht, die alles bisher Gewesene in den Schatten stellt. Die klassische konservative Abwiegelnummer, wonach „alles irgendwie schon mal da war“ passt hier ganz und gar nicht mehr. Und die vor uns liegenden großen Infrastrukturveränderungen werden dieses Rad noch einmal schneller drehen lassen: Cloud Computing, Smart Grids, Soziale Netzwerke oder Big Data sind nur einige wenige Schlagworte, mit denen die neuen Großbaustellen des Datenschutzes umrissen sind. Zur Cloud: Wenn alle unsere Daten in der weltweiten Wolke lagern, und nicht mehr auf dem heimischen PC, dann vervielfältigen sich selbstverständlich die Zugriffsmöglichketen durch Dritte exponentiell. Wir wissen, dass US-Sicherheitsbehörden durch den sog. FISA-Act entsprechende ganz legale Zugriffsmöglichkeiten haben. Wer möchte es also den kleinen und mittleren Unternehmen verdenken, wenn sie nach wie vor Sicherheitsbedenken gegen „die Cloud“ erheben? Zu Smart Grids: ja, auch wir Grüne wollen die Energiewende, und möglicherweise lässt sie sich effektiver und schneller erreichen, wenn wir eine totale Daten-Vernetzung der Einzelhaushalte zur Berechnung der Energie-Verbrauchsdaten vornehmen, um Bedarfe im Gesamtnetz besser steuern zu können. Aber die Datenschützer sagen uns voraus, dass ein digitales Energie-Verbrauchsbild auch nachvollziehbar macht, welches Fernsehprogramm man am Abend gesehen hat. Zu den Sozialen Netzwerken vielleicht nur so viel: Facebook mag sehr vereinfacht ausgedrückt eine Milliarde Menschen weltweit miteinander verbinden, was Hoffnungen in vielerlei Sicht weckt. Aber gleichzeitig handelt es sich eben um ein im Wettbewerb stehendes Unternehmen, dass vom Betreiben einer Werbeplattform lebt. Wir erleben derzeit nahezu tagtäglich, dass dieses Unternehmen keinesfalls vom Gutmenschentum und von der Völkerverständigung lebt, sondern fast alles daran setzt, an die Daten der Nutzerinnen und Nutzer zu kommen, um damit den Wert der Plattform zu steigern. Auf Datenschutz wird dabei keine Rücksicht genommen. Und schließlich auch ein Satz zu Big Data: gewaltige, bislang oft unverbundene Datenberge in den Unternehmen versprechen bei genauer Analyse möglicherweise die spannendsten Erkenntnisse. Bereits heute lassen sich Chefs in Echtzeit berichten, wie die Stimmung in den sozialen Netzwerken zu den eigenen Produkten oder auch nur zum Image ihres Unternehmens aussieht. Big Data birgt einige datenschutzrechtliche Fragen, weil die Zusammenführung der zu unterschiedlichen Zwecken entstandenen Datenberge persönliche Daten aus ihrem jeweiligen Kontext reißt und Auswertungen runter bis auf einzelne Personen möglich werden, vor allem aber kein Anreiz mehr besteht, überhaupt datensparsam vorzugehen. Daneben hat Big Data das Potential, schleichend Entscheidungsprozesse an ganz kurzlebige Trends und unscharfe statistische Annahmen zu koppeln.

Mit diesen Beispielen möchte ich Ihnen nur aufzeigen: Wir stehen, meine Damen und Herren, wenn wir uns etwa die noch kurze Geschichte des Internets vor Augen führen, erst am Anfang einer Entwicklung der Vernetzung, der Datenauswertung und der weiteren Informatisierung unseres Alltages, die selbstverständlich das Potential hat, uns zu gläsernen Bürgern und Verbrauchern zu machen und umgekehrt Organisationen, seien sie nun staatlich oder privat, große Machtpotentiale eröffnen.

Diese Entwicklung trägt autoritäre Züge, wenn es uns nicht gelingt, gegen zu steuern, um die Freiheit zu sichern. Ich stimme dem schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten Weichert zu, wenn er betont, dass diese Gegensteuerung nur erfolgreich sein kann, wenn sie auf ganz vielen Ebenen stattfindet, etwa als ein Umdenken auf kultureller Ebene, in Gestalt vielfältiger öffentlicher Diskussionen um den Wert der Privatheit, in der wissenschaftlichen Durchdringung des Geschehens und vielem mehr. Aber letztlich muss auch der Gesetzgeber ran. Nur der Staat hat gegenüber den aufgezeigten kommenden Entwicklungen als Akteur so viele Steuerungsmöglichkeiten, dass er zumindest grundlegende Schutzprinzipien durchsetzen kann.

Die Bundesregierung aber verweigert sich diesem Einsatz. Ihr Versagen macht sich insbesondere an drei Themen fest: Zum einen hat sie die Reform des Europäischen Datenschutzrahmens verschlafen. Wie Sie alle wissen, hat Kommissarin Reding ein insgesamt recht ehrgeiziges Reformpaket in Gestalt einer Verordnung für den Bereich der Privatwirtschaft und allgemeinen Verwaltung eingebracht, sowie ferner eine Richtlinie für den Bereich von Polizei, Strafvollstreckung und Justiz. Der Bundesinnenminister aber wollte nicht wahrhaben, dass es sich dabei um eine zentrale Weichenstellung für die kommenden Jahre handeln würde. Er hat die bereits vor Jahren gelaufenen Anhörungen ignoriert, dann die vor zwei Jahren vorgelegte Mitteilung der Kommission liegenlassen und schließlich, hier und heute, steht er in den Verhandlungen um den konkret vorgelegten Gesetzesentwurf der EU-Kommission im Bremserhäuschen und verzögert den Einigungsprozess, obwohl er weiß, dass das Fenster der Gelegenheit für Veränderungen auf EU-Ebene nicht mehr lange offen sein wird. Dabei brauchen wir diese Reform dringlichst: denn gegen die Googles, Facebooks und Amazons dieser Welt hilft unser föderales Datenschutzaufsichtssystem nicht mehr weiter. Nur ein geeintes Europa, das zu seinem Grundrecht auf Datenschutz steht und die Anwendbarkeit als auch Durchsetzbarkeit de europäischen Rechts gemeinsam sicherstellt, hat da eine reale Chance, unsere rechte gegenüber diesen Plattformen zu wahren.

Das zweite Versagen liegt zweifellos beim Beschäftigtendatenschutz. Sie haben dazu bestimmt bereits gestern einiges gehört. Von mir deshalb zunächst nur so viel: erst mussten wir zwei Jahre warten, bis überhaupt ein Entwurf vorgelegt wurde. Der jetzt uns Vorliegende wurde so lieblos dahingeschludert, dass sich selbst die Arbeitgeberverbände entsetzt abwanden. Vor allem aber bringt der Entwurf keine Verbesserungen für die Beschäftigten, sondern er verschlimmbessert die ohnehin höchst unübersichtliche Situation im Betriebsdatenschutz noch weiter. Und wenn zukünftig die offene Videoüberwachung im Betrieb gewissermaßen anlasslos zulässig sein soll, dann bedeutet das eben eine konkrete Absenkung des Schutzes der Beschäftigten, die ich persönlich für den völlig falschen Weg halte. Ich hoffe deshalb eben so wie viele andere, dass dieser Irrweg des Bundesinnenministers im Entwurfsstadium bleibt und wir im Bundestag uns nicht noch einmal damit befassen müssen. Die nächste Regierung wird sich dran machen müssen, eine taugliche Reform umzusetzen, wir haben einen umfangreichen eigenen Gesetzesantrag vorgelegt.

Das dritte Versagen ist für mich das Getue um die bis heute nicht existente Stiftung Datenschutz. Von den vollmundigen Versprechen im Koalitionsantrag, eine unabhängige Stiftung Warentest im Bereich Datenschutz zu schaffen, ist nichts geworden. Dabei brauchen wir, und das diskutiert der Deutsche Bundestag seit nunmehr zehn Jahren, endlich ein unabhängiges Gütesiegel- und Auditierungsverfahren. Damit sich Unternehmen wie Verbraucher gleichermaßen auf dem Markt einen Überblick verschaffen können, wo wirklich Datenschutz drin steckt, welchen Produkten sie also vertrauen können. Die Unternehmen könnten sich mit entsprechend ausgezeichneten Produkten und Verfahren am Markt positionieren, Datenschutz als Wettbewerbsfaktor also, ganz ohne Bußgelder und Bürokratie. Doch ausgerechnet diese Aufgabe wurde der angekündigten Stiftung nie zugestanden. Stattdessen soll sie nun vor allem Bildungsaufgaben im Bereich Datenschutz übernehmen. Und zwar mit sage und schreibe zwei Mitarbeitern, die voraussichtlich im schönen Leipzig zum Anfang des kommenden Jahres anfangen. Denn für mehr gibt es kein Geld! Meine Damen und Herren, sie sehen an diesem letzten der drei Beispiele, das ist Symbolpolitik vom Feinsten, leere Versprechen, bei denen der Datenschutz als Bürgerrecht nichts als ein leeres Versprechen bleibt und bei der die Zeichen der Zeit, der immense Druck, hier zu reagieren, völlig verkannt wird.

Nur kurz möchte ich auf das klassische Feld des Datenschutzes eingehen, nämlich das Verhältnis Bürger – Staat im Bereich der Inneren Sicherheit. Wie Sie alles wissen, verfolgt diese Bundesregierung weiterhin hartnäckig das Ziel der Widereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Wir Grüne lehnen diese völlig anlasslose und pauschale Erfassung und Speicherung der Verkehrsdaten aller Bundesbürgerinnen und Bundesbürger ab. Für uns ist das ein Instrument des Generalverdachts, wie es sie im Rechtsstaat nicht geben darf. Und die Argumentation des Bundeskriminalamtes, es gebe keinen anderen Weg, um die sog. Internetdelikte aufzuklären, ist angesichts der heute für die Ermittlungsbehörden geradezu allgegenwärtigen digitalen Ermittlungsansätze nichts als ein schlechter Witz. Dementsprechend gibt es auch keinerlei auch nur ansatzweise seriöse Zahlen, die die Forderungen nach der Vorratsdatenspeicherung untermauern können. Im Gegenteil: in der Zeit, als wir sie hatten, blieben die Straftatenzahlen gleich oder fielen sogar. Aber die ideologische Fixierung dieser Bundesregierung wie auch ihrer Vorgängerregierung auf den starken Staat hinterlässt ihre Spuren, wie wir an den Auseinandersetzungen um die sog. Quellentelekommunikationsüberwachung sehen konnten. Um die Computer von Tatverdächtigen heimlich infiltrieren zu können, war in den zurückliegenden Jahren offenkundig jedes Mittel Recht. Man kaufte Schadsoftware auf dem freien Markt und nahm gleich den Generalschlüssel, aber ohne ganz zu wissen, wie er funktioniert. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig. Erst der Chaos Computer Club deckte auf, welche unverhältnismäßigen Eingriffe mit der im übrigen höchst unsicheren Software erfolgen können, eine Totalüberwachung von privaten PC-Rechnern war damit möglich. Damit aber waren wiederum bereits die vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Grenzen für solche staatlichen Übergriffe in den höchstpersönlichen Lebensbereich überschritten, kleinlaut verkündete man die die zukünftige Einstellung des  Einsatzes der Software. Um den Bereich der staatlichen Überwachung abzuschließen nur noch eine kurze Anmerkung zum NSU-Skandal. Verstehen Sie, meine Damen und Herren, weshalb ein derartiges Versagen der Inlandsgeheimdienste, die letztlich für die geschehenen zehn Morde eine erhebliche Mitverantwortung tragen, jetzt mit einer Ausweitung der Kompetenzen und Kooperationsmöglichkeiten der Geheimdienste belohnt werden soll? Dass noch mehr Daten geheim erhoben werden und ausgetauscht werden sollen, von denen die Betroffenen oft niemals etwas erfahren, obwohl sie im Raster der Behörden bleiben? Ich verstehe das nicht, meine Damen und Herren und ich möchte das Gegenteil durchsetzen. Eine Auflösung des Bundesverfassungsschutzes in seiner jetzigen Form und eine Umstrukturierung zu einer auf dem rechten Auge nicht mehr blinden Behörde ist aus unserer Sicht das Gebot der Stunde.

Doch lassen Sie mich für den letzten Teil meiner Ausführungen zu dem sie alle hier sicherlich am meisten interessierenden Thema der EU-Datenschutzreform und des Beschäftigtendatenschutzes zurückkehren. So viel Rückenwind für eine übergreifende Regelung auch des Beschäftigtendatenschutzes wie gerade jetzt war eigentlich schon lange nicht mehr. Allerdings gilt dies wie bereits gesagt für das gesamte Gebiet des Datenschutzes. Ob dieses berühmte window of opportunity genutzt wird und wenn ja, auf welche Weise, hängt zur Zeit nicht allein vom Bundestag, sondern auch von der Europäischen Union ab. Wir Grüne jedenfalls tun derzeit alles in unserer Macht Stehende, um die Chance im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, und damit auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu nutzen.

Wenn es um den Datenschutz geht, brauchen wir die Europäische Union mehr denn je: schon seit 1995 haben wir eine Richtlinie zum Datenschutz, die uns geholfen hat, die zunehmend grenzüberschreitenden Datenflüsse mit im Sinne der Menschen zu gestalten – mit europaweiten Vorgaben für Unternehmen und Verwaltung für die Verarbeitung von persönlichen Daten und der Einräumung von zahlreichen Gestaltungsrechten, die Ihnen, uns allen zukommen wie etwa dem Recht auf Auskunft, Widerspruchsrechten oder auch Korrektur und Löschungsrechten.

Doch diese Grundlage ist heute, nur 17 Jahre später bereits hoffnungslos veraltet, und sie war es eigentlich schon bereits wenige Jahre nach ihrer Entstehung. Denn die modernen Industriegesellschaften verändern sich gegenwärtig in einer so atemberaubenden Geschwindigkeit, auch und nicht zuletzt durch die IT-technische Entwicklung, dass unsere Versuche der gesetzlichen Einhegung, Steuerung und Begrenzung zugunsten der Menschen zum permanenten, zum Dauerprozess geworden sind. Wir müssen, darin etwa der Daueraufgabe der Reparaturmaßnahmen zugunsten des Berliner Straßennetzes gar nicht unähnlich, unser Recht laufend ändern, damit es weiter effektiv sein kann und die wirklichen Probleme bewältigt. Deshalb ist es auch falsch oder zumindest irreführend, wenn Professoren in polemischer Absicht tadeln, bei der jetzt vorgelegten Reform des EU-Datenschutzes handele es sich um kein Jahrhundertwerk (So ein Unfug!). So ein Werk kann es nicht mehr geben, gerade nicht im Bereich des Technikbewältigungsrechts, denn die Welt hat sich so gründlich verändert, die digitale Revolution hat uns so gründlich erfasst, dass die bisherigen Erwartungen und Grenzen in Bewegung geraten sind und laufend neue Baustellen auftauchen.

Vor diesem Hintergrund, dass möchte ich hier betonen, verdient der Ansatz der Europäischen Kommission Respekt. Schon die Bereitschaft, grundlegend eine Gesamtreform zu wagen, lässt Einsicht und Verständnis in die massiv gewachsene Bedeutung dieses gerne mal als Orchideenfach belächelten Gebietes erkennen. Denn der Datenschutz hat sich längst ins Zentrum der Debatten um das Vertrauen in die neu entstandene und uns allgegenwärtig umgebende IT-Welt geschoben. Und der geballten Datenmacht von Google, Facebook, Microsoft oder auch Apple können Nationalstaaten mit Sicherheit allein nicht mehr beikommen, dazu braucht es eine einheitliche Stimme in Europa. Wenn es aber gelingen sollte, der Reform ein hohes Datenschutzniveau zu geben, die vor allem die Rechte der Bürger nie aus den Augen verliert, dann wäre dies ein wichtiger Schritt auf dem Weg in eine menschenwürdige IT-Welt, auch und insbesondere der Arbeitswelt.

Gerade der letzte Versuch, auf europäischer Ebene Grundregeln für den Datenschutz am Arbeitsplatz zu finden, ist ja vor ca. 10 Jahren kläglich gescheitert, wie so häufig in diesem Bereich an dem noch heftigeren „Widerstreit“ der Lager aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Was aber bringt uns die geplante Reform? Zunächst einmal muss man sagen: gerade der Zeithorizont der Reform ist noch offen. Viele, von Beginn an auch die Bundesregierung, stehen im Bremserhäuschen. Selbst wenn es zu einer erfolgreichen Verhandlung Ende des kommenden Jahres und einem Inkrafttreten in 2014 käme, würde eine zweijährige Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten Aufschub bis 2016 gewähren, realistischer aber ist womöglich sogar ein noch späteres Datum. Das ist eine zu lange Zeit, um den grundgesetzlich verbürgten Schutz der Daten der Bürger schleifen zu lassen, da gibt es eine Schutzpflicht! Wir sollten deshalb in jedem Fall nationale Reformanstrengungen weiterbetreiben und nicht auf den ungewissen Ausgang auf europäischer Ebene verweisen. Die EU-Datenschutzgrundverordnung würde, so sie denn käme, zwar eine europäische Vollharmonisierung nach sich ziehen, sie sieht aber im Entwurf eine ungewöhnliche Bereichausnahme für den Schutz von Beschäftigten vor, mit der es grundsätzlich möglich bliebe, nationale abweichende und auch höherwertigere Schutzstandards festzulegen, als die Verordnung für alle anderen Bereiche vorsieht.

Gleichzeitig käme aber etwa zur Anwendung, auch für den Bereich eines nationalen Beschäftigtendatenschutzes, was die Verordnung etwa zum Problem der Einwilligung sagt: in Fällen von strukturellen Ungleichgewichten (significant imbalance) zwischen einem Verantwortlichen der Datenverarbeitung und den sog. Datensubjekten können Einwilligungen keine Rechtfertigung für die Verarbeitung personenbezogener Daten bilden. Es ist bezeichnend, dass die Europäische Kommission diese Formulierung aufgenommen hat und damit indirekt auch die viele Jahre von Datenschützern wie Arbeitnehmervertrern vorgetragenen Argumente gegen die individualrechtliche Einwilligung anerkennt. Wer sich vor Repressalien, Nichtanstellung oder Jobverlust fürchtet, ist eben nicht frei, sich so oder so zu entscheiden. Gleichzeitig war die Kommission so klug, die Einwilligung eben nicht pauschal für bestimmte Bereiche auszuschließen, und eröffnet damit, wie auch etwa im grünen Entwurf eines Beschäftigtendatenschutzes Spielräume, und zwar dann, wenn es um für die Beschäftigten allein rechtlich vorteilhafte Datenverarbeitungen handelt. Nebenbei hat die Kommisssion sich dabei auch vor dem Urteil der Verfassungswidrigkeit gerettet, denn Einwilligungen sind in der Grundrechtecharta als mögliche Rechtfertigung ausdrücklihc erwähnt und müssen somit eine hinreichende Möglichkeit in gesetzlichen Vorgaben der Mitgliedstaaten erfahren.

Eben so wie die Beschränkung der Wirksamkeit der Einwilligung bietet der Verordnungsentwurf eine deutliche Erhöhung des Sanktionsrahmens für die Aufsichtsbehörden des Datenschutzes. Zwar hat das wirklich massive Lobbying bereits im Vorfeld zu einer Absenkung geführt, von den vormals maximalen 5 % des jährlichen weltweiten Umsatzes sind nur ein bzw. zwei Prozent (bei Vorsatz) geblieben. Trotzdem ist es das richtige Zeichen, was auch in den HR-Abteilungen die Aufmerksamkeit für den Datenschutz weiter erhöhen dürfte. Denn ohne dieses klasische Ordnungsrecht kommen wir auch und gerade in den Betrieben nicht weiter. Die Datenskandale der zurückliegenden Jahre, denken sie nur an das freche Massenrastern von Mehrdorn bei der Deutschen Bahn, sind ja nur die Spitze eines Eisbergs von non-compliance, ja teilweise offen zutage getragener Ignoranz gegenüber Beschäftigtendatenschutzbestimmungen. Erst wenn die Geschäftsleitungen sich persönlicher konkreter Haftung ausgesetzt sehen beginnt das Umdenken.

Aus Beschäftigtensicht fraglich und nicht ganz klar geregelt ist im Verordnungsentwurf, ob Kollektivvereinbarungen, wie eben die Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge, wie sie im Rahmen der Rechtsprechung des BAG bei uns schon lange möglich sind, noch Bestand haben könnten. Hier wollen wir auf eine Klarstellung hinarbeiten, allerdings nicht ohne auf die inneren Grenzen auch dieser Rechtfertigungsformen der Datenverarbeitung hinzuweisen, die mangels Gesetzesqualität eben keine deutlichen Unterschreitungen gesetzlicher Schutzniveaus festsetzen dürfen. Ungeregelt bleibt leider auch das Problem der Konzerndatenverarbeitung, so dass die in diesem Bereich teilweise erforderliche, aber gut zu dosierende Rechtssicherheit fehlt.

Das Fazit zur EU-Datenschutzreform aus Sicht des Beschäftigtendatenschutzes muss insgesamt verhalten optimistisch ausfallen. Auch hier gilt: wer konservativ beklagt, „der Bereich des Beschäftigtendatenschutzes komme nicht zur Ruhe“, der redet der Grabesruhe das Wort. Die neuen technischen Möglichkeiten führen eben auch zu einer weitgehend lückenlosen Möglichkeit der Überwachung. Wir alle sind dazu aufgerufen, und Sie hier leisten mit Ihrer Fortbildung eben so einen Beitrag dazu wie ich mit meiner Arbeit im Bundestag, die möglichen Folgen dieser Entwicklung kritisch zu benennen und Auswege aufzuzeigen, bei denen am Ende nicht allein kommerzielle Interessen oder letztlich abstrakt bleibende Sicherheitsinteressen, sondern die Freiheit der Einzelnen, der Beschäftigten, Verbraucher und Bürger im Mittelpunkt steht.

Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit!

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