Am gestrigen Donnerstagabend standen mehrere innen- und netzpolitische Themen auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages. Meine Reden zur EU-Datenschutzverordnung, der sogenannten „Wissenschaftsschranke“ und dem §52a sowie zum Mikrozensusgesetz 2005 dokumentieren wir hier. Den Anfang macht meine Rede zur EU-Datenschutzverordnung. Wie immer gilt: Über Kommentare und Anregungen freue ich mich.
Protokollrede Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen)
TOP 37 am 8.11. 2012, EU-Datenschutzgrundverordnung
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,
meine Fraktion und ich haben das heutige Thema bereits vor einigen Monaten hier erstmalig ins Plenum getragen, weil wir in Sorge waren, dass von dieser Koalition dazu gar nichts mehr kommt.
Ich habe es damals gesagt, und ich tue es jetzt hier gerne wieder und appelliere erneut an die Koalition, all die Kritik, das Verharren und Zögern endlich in konstruktive Energien umzuwandeln. Denn wir brauchen die EU-Datenschutzreform.
Wir brauchen die EU-Datenschutzreform, weil wir ansonsten im zunehmend globalisierten Datenverkehr, in Zeiten, in denen zwei Drittel aller Bürgerinnen und Bürger online sind und heute beinahe 25 Millionen Deutsche ein Profil bei einem sogenannten Sozialen Netzwerk haben, mit unseren bestehenden nationalen Regelungen schlicht untergehen. Wir werden von den internationalen Playern auf dem heiß umkämpften Markt um immer mehr Daten der Bürgerinnen und Bürger schlicht nicht Ernst genommen, wenn wir nicht einheitlich als Wirtschaftsraum auch unsere Werte- und Grundrechtsordnung klar und deutlich ausformulieren.
Für uns bedeutet Datenschutz Grundrechtsschutz, und das gilt auch und mehr denn je für die Privatwirtschaft, wo staatliche Schutzpflichten den Gesetzgeber anhalten, gravierende Machtungleichgewichte zwischen den Vertragsparteien auszugleichen.
Wir unterstützen deshalb die Europäische Kommission darin, die ohne Zweifel beachtliche, auch ganz konkret fachliche Herausforderung zu stemmen, einen tragfähigen und in die Zukunft weisenden, den Bürgerinnen und Bürgern tatsächliche Mehrwerte bietenden Entwurf zu erarbeiten und freuen uns sehr, dass einer der Berichterstatter für dieses Vorhaben, welches der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, vor Kurzem während einer interparlamentarischen Anhörung in Brüssel eines der wichtigsten Vorhaben für das Europäische Parlament bis zum Ende der Legislatur genannt hat, mein geschätzter Kollege Jan Philipp Albrecht ist.
Auch wir verhehlen nicht, dass der gegenwärtige Entwurfsstand noch viele wichtige Fragen offen lässt und weisen auf diesen Umstand bei jeder Gelegenheit hin, – auch hier im Plenum. Die bestehenden Mängel des bisherigen Entwurfs haben wir in unseren Anträgen klar formuliert. Auch wir wollen durch die Reform keine Absenkung des allgemeinen und vergleichsweise hohen Schutzstandards, sehen aber auch die zahlreichen Lücken und bestehenden Probleme des bundesdeutschen Datenschutzrechts, bis hin zu den gravierenden Vollzugsdefiziten in der Kontrolle der Wirtschaft, die vor allem den viel zu knappen Ressourcen der Aufsicht geschuldet sind.
Um so wichtiger erscheint es uns deshalb, dass gerade unser Land in der weiteren Diskussion um die Ausgestaltung eines europäischen Datenschutzrahmens eine konstruktive Rolle einnimmt und mit konkreten Verbesserungsvorschlägen zumindest versucht, die führende innovative Rolle, die wir in Fragen des Datenschutzes einmal innehatten, wieder ein Stück weit zurückzugewinnen.
Dass wir aber soweit in der derzeitigen Diskussion zurückgefallen sind, verdanken wir leider dem beharrlichen Unterlassen der schwarzeglben Koalition und der politischen Bankrotterklärung, in diesem für die Bürgerinnen und Bürger so wichtigen Feld wirken und für einen hohe Daten- und Verbraucherschutzstandards sorgen zu wollen. An Aufforderungen und Erinnerungen zu handeln mangelte es freilich nicht.
Die Debatte um die Reform des Datenschutzes auf EU-Ebene wurde nicht erst am 25. Januar 2012 eröffnet, als Frau Reding ihren Entwurf einer Datenschutz-Grundverordnung vorgestellte. Die Debatte war bereits 2009 voll entbrannt, als annähernd 200 Institutionen und Personen auf Aufforderung der EU-Kommission in einer public consultation ihre Änderungswünsche zur EG-Datenschutzrichtline 95/46 unterbreitet haben.
Darunter auch die Bundesregierung mit einer äußerst knapp gehaltenen Stellungnahme, aus der ich gerne zitiere: „Die Bundesregierung ist bereit, an dieser wichtigen Aufgabe konstruktiv mitzuwirken“.
Doch erst heute, nach drei Jahren intensivster Diskussionen auf nationaler wie auch europäischer Ebene, erhalten wir hier allenfalls Andeutungen, wohin die Reise nach Ansicht der Bundesregierung gehen soll. In der Zwischenzeit haben andere die Arbeit gemacht. Andere haben die Richtungen vorgezeichnet – leider nicht immer in unserem Interesse. Wenn Sie jetzt, Herr Minister Friedrich, hier und heute betonen, sie wünschten sich „eine breite und sorgfältige Debatte“ und es bestehe „erheblicher Erörterungsbedarf auch in grundsätzlicher Hinsicht“, dann ist das vor diesem Hintergrund einfach nicht nachvollziehbar. Eine solche „breite Debatte“ läuft seit Jahren, bisher ist sie allerdings schlicht an Ihnen vorbei gegangen.
Sie haben sich, Herr Minister, zunächst entschieden, die ganze Sache in Brüssel mehr oder weniger laufen zu lassen. Sie haben dabei die ständig wachsende Bedeutung der Thematik sowie die politische Dynamik insgesamt völlig unterschätzt. Ideologische Scheuklappen machen eben immer auch ein Stück weit blind, denn, meine Damen und Herren, auch wenn ich nicht glaube, dass alle in der Union so denken, zu befürchten ist, dass durch die Brille der Inneren Sicherheit Ihrer Partei besehen Datenschutz oft immer noch auf Täterschutz, und durch die Wirtschaftsbrille besehen häufig auf Bürokratie reduziert wird.
Und so haben Sie bloß zugeschaut, als eine äußerst entschlossen auftretende Kommissarin Reding 2010 das Thema mit einer sehr weitgehenden Reformankündigung aufgriff. Seit aber die konkreten Vorschläge auf dem Tisch liegen, hintertreiben Sie die Reform, wo es nur geht. Von Ihren ersten grundsätzlich ablehnenden Stellungnahmen bis zu Ihrem auf Verzögerung angelegten, wenig konstruktiven Verhalten in den EU-Ratsverhandlungen wird deutlich, dass Sie eigentlich diese Reform nicht wollen.
Diesen Eindruck hinterließ auch die vom BMI kürzlich in größter Eile einberufene Datenschutzkonferenz, mit der eine breitere Zustimmung für die gröbsten Schlagworte der Bundesregierung zur Debatte gefunden werden sollte. Sie kam deutliche zwei Jahre zu spät. Sie ähnelte mit ihren an Grundsatzfragen ausgerichteten, selbstquälerischen, ja geradezu faustischen Debatten um das „Datenschutz oder nicht“ deshalb an absurdes Theater, weil in Brüssel und in vielen europäischen Großstädten derweilen ganz konkrete Fragen der Weiterentwicklung des Datenschutzes auf der Agenda stehen, es also um den Ausbau und die Effektivierung, und nicht um den Abbau des Datenschutzes geht.
Ebenfalls unangenehm aufgefallen ist, meine Damen und Herren von der Koalition, daran muss ich sie leider in diesem Zusammenhang auch noch einmal erinnern, wie Sie in unkollegialer Weise versucht haben, die Anhörung des Innenausschusses zur Datenschutzreform durch Ihre Sachverständigen zu torpedieren und die Fragerechte der Oppositionsfraktionen durch Zeitablauf zu beschränken bzw. leerlaufen zu lassen.
Erlauben Sie mir noch kurz, auf die mantraartig vorgetragenen, aber zu keinem Zeitpunkt konzeptionell untermauerten drei Thesen des Bundesinnenministers in Sachen Reform einzugehen:
Wenn wir den Datenschutz des öffentlichen Bereichs aus der Grundverordnung wieder herausnehmen, dann fallen wir hinter den Stand der Richtlinie von 1995 zurück. Denn auch diese erstreckt sich bereits auf den öffentlichen Bereich, und sie gilt nach der Rechtsprechung in einer Reihe von Punkten bereits als vollharmonisierend. Natürlich bedeutet der Schritt zur Rechtsform der Verordnung auch insoweit eine bedeutende Veränderung, aber dann lassen Sie uns doch konkret über diejenigen Gebiete wie etwa den Sozialdatenschutz, das Meldewesen oder vielleicht sogar Teile des Medizindatenschutzes reden, bei denen wir uns konkret wünschen, dass unsere Standards auch auf europäischer Ebene Eingang finden.
Die Verordnung lässt dafür durchaus Spielräume offen, und die grundlegende Gesprächsbereitschaft der Kommission wurde bereits signalisiert. Bereichsausnahmen oder Übernahmen unserer Schwellen in das Gerüst der Verordnung bleiben somit möglich – man muss dafür aber wenigstens konkrete Vorschläge vorlegen.
Selbstregulierung bleibt ein Schlagwort, wenn man nicht über den Status quo redet. Wir haben eine Regelung im Bundesdatenschutzgesetz, doch die findet in der Wirtschaft keinen Anklang. Uns liegt bis heute keine einzige Selbstregulierung vor, die den Namen tatsächlich verdient. Denn Selbstregulierung heißt im grundrechtssensiblen Bereich des Datenschutzes eben nicht, dass mal eben eine Handvoll Unternehmen vage Zusagen geben und dafür im Gegenzug von der Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen befreit werden. Hier fehlt es an einem Konzept, bei dem die bessere Sachkenntnis der Betroffenen in ihren Unternehmen und Branchen und die Verantwortung des Gesetzgebers für einen durchgehend hohen Schutzstandard zusammengeführt werden. Ein solches Konzept konnten Sie bis heute noch immer nicht vorlegen.
Und schließlich: Die irreführende These vom Verbotsvorbehalt dient lediglich dazu, das Bild der hinderlichen Bürokratie zu evozieren. Der Erlaubnisvorbehalt behält seine wichtige Funktion der Verteilung der Rechtfertigungslast auch für scheinbar unwichtige Informationen über Personen, weil diese, einmal ihrem Kontext entrissen und anderswo verwendet, eben doch erheblichen Schaden entfalten können. Deshalb ist es gerade Sache der Verantwortlichen, die Erforderlichkeit der Verarbeitung überzeugend zu begründen und nicht umgekehrt Sache der Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen zur Einhaltung grundlegender Spielregeln im Umgang mit ihren Daten anzuhalten.
Auch die These von der Notwendigkeit eines stärker risikobezogenen Ansatzes verfehlt vor allem die gelebte Praxis des Datenschutzes, die sich in den Unternehmen und vermittelt über deren Verbände auf der Grundlage des sicherlich besonders unschönen § 28 BDSG längst etabliert hat. In jahrelanger Absprache mit den Aufsichtsbehörden bestehen weitgehende Erleichterungen und Anpassungen für kleine und mittlere Unternehmen sowie sehr weitgehende Rechtfertigungen der unterschiedlichsten Verarbeitungspraktiken in den Unternehmen auf der Grundlage des bestehenden Rechts. Die gesamte Auslegung des Bundesdatenschutzgesetzes erfolgt also seit über zwanzig Jahren höchst pragmatisch und risikobezogen.
Lassen sie mich abschließend noch eins sagen, meine Damen und Herren der Koalition. Ihr Antrag enthält, das sage ich an dieser Stelle ausdrücklich, durchaus einzelne unterstützenswerte Punkte. Aber aus Ihrem Munde klingen sie, gemessen an Ihrem Gesamtnichtverhalten zum Thema Datenschutz, einfach unglaubwürdig. Der Grundtenor des Antrages atmet eine insgesamt so rückwärtsgewandte Perspektive auf den Datenschutz, dass wir ihn nur ablehnen können.
Herzlichen Dank!
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