Nachdem der aktuelle Glücksspielstaatsvertrag Ende dieses Jahres ausläuft, verhandeln die Ministerpräsidenten derzeit über einen neuen Staatsvertrag. Geprägt wurden die Verhandlungen unter anderem durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das für Deutschland eine kohärenten Regelung sämtlicher Glücksspiele anmahnt. In den bisher bekanntgewordenen Vertragsentwürfen wurde immer wieder auf das umstrittende Mittel von Netzsperren zurückgegriffen. Heute treffen sich die Ministerpräsidenten der Länder erneut, um abschließend über den Glückspielstaatsvertrag zu beraten. Darüber, ob ein Passus, der das Sperren von illegalen Anbietern ermöglicht, nach wie vor in dem Vertragswerk steht oder nicht, besteht Unklarheit. Die grünen FachpolitikerInnen der Bundesländer haben sich auf eine gemeinsame Stellungnahme zum Glückspielstaatsvetrag geeinigt, in der sie dem Instrument Netzsperren eine klare Absage erteilen und mögliche Alternativen hierzu aufzeigen.
Bei der Neuausgestaltung des Glückspielstaatsvertrags (GlüStV) geht es für die Bundesländer um viel Geld. Insgesamt werden die zu erwartenden Steuermehreinnahmen bei einer Öffnung des Glücksspielmarktes von den Finanzministern der Länder auf 7,7 Milliarden Euro geschätzt. Eine stolze Summe, die so manchen dazu verleiten könnte, Bedenken von Seiten führender Suchtpolitiker oder Bürgerrechtsgruppen zu ignorieren. So gab es in den letzten Wochen viel Verwirrung um die Frage, ob der jeweils aktuelle Entwurf des Glückspielstaatsvertrags nun (noch) einen Passus, der das Sperren illegaler Anbieter erlaubt, enthält – oder eben nicht.
In der Fassung des Glückspielstaatsvertrags vom 4. April, der auf einem Treffen der Ministerpräsidenten vom 6. April beraten wurde, waren in § 9 Abs. 1 Nr. 5 auch Netzsperren vorgesehen. Dort heißt es:
„Die zuständige Behörde des jeweiligen Landes kann […] Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. Hierdurch sind Telekommunikationsvorgänge im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes betroffen.“
Für uns Grüne war von vornherein klar: Diese Formulierung ist in keinster Weise tragfähig. Wir Grünen lehnen das Sperren von Inhalten im Internet aus vielerlei Gründen seit Jahren ab und haben uns immer wieder deutlich für den Grundsatz „Löschen statt sperren“ ausgesprochen. Hauptschauplatz der Debatte war die Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz, das u.a. das Sperren von Internetseiten, die sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen zeigen, vorsah. Hier haben wir uns mit Bezug auf die leichte Umgehbarkeit von Sperren und angesichts der Tatsache, dass die Darstellungen im Netz verbleiben und das Sperren von Seiten letztlich sogar kontraproduktiv wirkt, vehement gegen das Sperren und für die effektive Löschung entsprechender Inhalte eingesetzt.
Im Zuge der Debatte um die Sinnhaftigkeit von Sperren auf diesem Gebiet wurde auch immer wieder die Befürchtung geäußert, Sperren könnte – einmal etabliert – auch auf andere Bereich ausgedehnt werden. Dies wurde von den Sperrbefürwortern immer wieder vehement bestritten. Heute wissen wir: Unsere Befürchtung waren ganz offensichtlich angebracht.
Letztlich hat sich die grüne Position, für die wir mit den anderen Oppositionsparteien, aber auch in sehr guter Zusammenarbeit mit vielen Bürgerrechtsgruppen gestritten haben, durchgesetzt: Am 13. April 2011 hat das Bundeskabinett – übrigens mit Hinweis auf die von uns beim BKA immer wieder nachgefragten Evaluierungsstatistiken – entschieden, ab sofort ebenfalls nur noch das Löschen entsprechender Inhalte vornehmen und das Zugangserschwerungsgesetz endgültig zurückzunehmen zu wollen.
Vor diesem Hintergrund, aber auch vor den Erfahrungen im Zuge der Verhandlungen um den jüngst gescheiterten Jugenmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) halten wir die anhaltenden Forderungen nach Netzsperren nicht nur nach wie vor für falsch, sondern zudem auch für politisch nicht mehr umsetzbar. So ist es schlicht nicht kommunizierbar, warum man beim sexuellen Missbrauch von Kindern entsprechende Inhalte nicht sperrt, dies aber bei der Verhinderung illegaler Glückspielangebote tun will.
Wo stehen wir heute?
Die Ministerpräsidenten wollen heute um 11.00 Uhr in Berlin abschließend über die Novellierung des Glücksspielstaatsvertrages beraten. Darüber, ob der jetzige Vertrag noch einen Passus zum Sperren von Seiten enthält oder nicht, herrscht aufgrund sich nach wie vor widersprechender Aussagen weiterhin Unklarheit.
Als Grüne lehnen wir den Staatsvertrag ab, wenn damit weiterhin die Möglichkeit besteht, dass Sperrungen verfügt werden. Zur effektiven Durchsetzung dieser Vorhaben könnte der Aufbau einer weitreichenden Sperrinfrastruktur die mögliche Folge sein. Dabei bleiben Netzsperren auch bei Glücksspielangeboten technisch leicht umgehbar und sind daher eine ineffektive, kontraproduktive Maßnahme. Statt für die Etablierung einer solchen Sperrinfrastruktur setzen wir Grünen uns für effektive Instrumente ein, um das Angebot illegaler Wett-Angebote nachhaltig zu unterbinden. Dies könnten unter anderem ein Werbeverbot und eine verbesserte Aufsicht über die in dem Bereich getätigten Zahlungen sein. Selbstverständlich spielt für uns in dem Bereich auch die Suchtprävention eine herausragende Rolle.
Da der Staatsvertrag zwischen den Bundesländern beraten wird, haben wir als Netzpolitiker der Bundesebene in den vergangenen Monaten eine koordinierende Funktion eingenommen. Dass es uns gelungen ist, eine gemeinsame Stellungnahme der FachpolitikerInnen der grünen Länder zu den heutigen Beratungen der Ministerpräsidenten auf den Weg zu bringen, freut uns sehr. An dieser Stelle dokumentieren wir Stellungnahme:
FachpolitikerInnen von Bündnis 90/Die Grünen lehnen derzeitigen Entwurf des Glückspielstaatsvertrags ab und fordern klare Absage an Netzsperren
Der Entwurf eines neuen Glückspielstaatsvertrags in der Fassung vom 14. April 2011 wird von uns abgelehnt.
Ein Vertrag, in dem nach wie vor Netzsperren als Regulierungsmittel gegen illegale Wettangebote enthalten sind, ist für uns auch weiterhin nicht zustimmungsfähig. Wir halten das Instrument Netzsperren aus vielerlei Gründen für den falschen Weg bei der Bekämpfung derartiger Inhalte und haben dies in der Vergangenheit an verschiedenen Stellen deutlich gemacht.
Das Festhalten an Netzsperren ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar. Die Diskussionen der Vergangenheit haben gezeigt, dass es durchaus Alternativen zu diesem Vorgehen gibt. So können nach Expertenmeinung illegale Angebote, die auf deutschen Servern liegen, konsequent gelöscht und Angebote, die auf ausländischen Servern liegen, vor allem durch folgende Maßnahmen zurückgedrängt werden:
– ein striktes Werbeverbot und
– eine Kontrolle der Geldströme, d.h. eine effektive Durchsetzung des Verbots von Zahlungstransfers illegaler Anbieter bei Kreditkartenfirmen und anderer Zahlungssystemanbietern.
Diese Maßnahmen leisten einen wichtigen Beitrag zum Zurückdrängen derartiger Online-Glückspielangebote mit hohem Suchtfaktor.
Wir fordern die Ministerpräsidenten der Ländern auf, sich ebenfalls deutlich gegen Netzsperren auszusprechen, den entsprechenden Passus – falls noch nicht geschehen – aus dem nun vorgelegten Entwurf des Glückspielstaatsvertrags zu streichen und auch nicht auf die im aktuellen GlüStV befindliche Formulierung, die die Anwendung von Netzsperren offenlässt, zurückzugreifen, sondern stattdessen Alternativen zum Sperren entsprechender Inhalte zu verfolgen.
Auch einem Alleingang der schleswig-holsteinischen Landesregierung beim Glückspielstaatsvertrag erteilen wir eine klare Absage und setzen uns stattdessen für eine bundesweit einheitliche und EU konforme Regelung ein. Dabei ist die Verbesserung des Jugendschutzes, der Suchtprävention und des Spielerschutzes zentrales Ziel unserer Forderungen. Dazu gehören auch deutlich härtere Regelungen für Spielhallen und für das Automatenspiel.
Auf das Ergebnis der heutigen Beratungen sind wir sehr gespannt und werden versuchen, Euch bestmöglich über die Ergebnisse zu informieren. Für 12:30 Uhr ist eine Pressekonferenz der Ministerpräsidenten angesetz.
UPDATE 9.06.2011 13:30 Uhr: Ministerpräsidenten schieben Glücksspielvertrag auf die lange Bank
Die Ministerpräsidenten wollen nun erst im Oktober den neuen Glücksspielstaatsvertrag unterzeichnen. Das erklärten sie am Rande der heutigen Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin. Der Regierungschef des federführenden Bundeslandes Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), gab jedoch zu Protokoll, dass man auf einem „guten Weg“ sei. Der Zeitplan sei insgesamt nicht gefährdet.
Weiter hieß es, dass sich die Ministerpräsidenten aller Länder darüber einig seien, dass es im Oktober einen „finalen Beschluss“ geben solle. Dies habe auch die schleswig-holsteinische Landesregierung bekräftigt.
In Sachen Netzsperren dürften vor allem die Äußerungen von Haseloff von Interesse sein, der zu Protokoll gab, dass sich die Pläne für den Staatsvertrag „in den Eckpunkten“ nicht verändern werden.
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