Gastbeitrag von Frithjof Schmidt
Die sozialen Medien sind zum Kampfplatz um Aufmerksamkeit und Einfluss geworden und auch die Manipulation von demokratischen Willensbildungsprozessen rückt so in den Mittelpunkt von Debatten. Bürgerinnen und Bürger sehen sich der Gefahr gegenüber, dass ihre Daten manipuliert werden und mit ihnen gehandelt wird. Und das, obwohl die sozialen Medien ursprünglich ein Ort des Austauschs, der Verbindung und der Beteiligung sein sollten.
Manipulation von demokratischen Willensbildungsprozessen und die bewusst intransparente Verbreitung von Desinformationen hat auch der Europarat als zentrales politisches Problem identifiziert. Seit einiger Zeit beschäftigt sich die Parlamentarische Versammlung des Europarats in verschiedenen Ausschüssen sehr intensiv mit der Thematik. Im März wurde ich zum Berichterstatter für den Bericht „Democracy hacked? How to respond?“ ernannt.
In einem ersten Outline (pdf), einer Art Zusammenfassung dessen, was der spätere Bericht leisten soll, habe ich dargelegt, womit wir uns dringend auf europäischer und internationaler Ebene stärker befassen müssen. Die Sicherheit von Wahlen und die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaft gegen Desinformation und Manipulation werden dabei Schwerpunkte meines Berichts sein.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass Versuche, Wahlprozesse digital zu beeinflussen, in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben. Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 wurden über social bots täuschend echte Botschaften in sozialen Medien sowohl für (beziehungsweise gegen) Hillary Clinton als auch für (beziehungsweise gegen) den republikanischen Kandidaten Donald Trump verbreitet. Es gab Attacken auf die E-Mail-Konten des Nationalen Komitees der Demokratischen Partei. Hunderte von falschen Accounts verbreiteten vornehmlich über Facebook, Instagram und Twitter falsche oder irreführende Informationen und erreichten damit hunderttausende Nutzerinnen und Nutzer. Hauptverdächtigte sind Akteure aus Russland, gegen die in den USA auch strafrechtlich ermittelt wird.
Aber auch im Zuge des Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien gibt es Spuren der bewussten und intransparenten Einflussnahme, die bis nach Venezuela reichen. Ein großer Teil der gefälschten Twitter-Accounts, die während des Referendums irreführende Informationen verbreiteten, wurden in dem südamerikanischen Land erstellt. Auch in den jüngsten Parlamentswahlen in Schweden oder im Vorfeld des Brexit-Referendums konnten ausländische Einflussnahmen nachgewiesen werden. Eine Untersuchung des Computational Propaganda Research Projektes hat seit 2012 in 28 Staaten Aktivitäten der digitalen Manipulation beobachten können.
Dass es sich jedoch nicht immer ausschließlich um Staaten handelt, wenn es darum geht, demokratische Willensbildungsprozesse zu beeinflussen, zeigt etwa der „Cambridge Analytica“-Skandal. Unterstützer der republikanischen Partei beauftragten im Präsidentschaftswahlkampf 2016 die Firma Cambridge Analytica, Daten über Wahlverhalten bereitzustellen – und Facebook half bereitwillig aus. 50 Millionen Datensätze stellte das Unternehmen zur Verfügung. Facebook-Chef Mark Zuckerberg sagte nach der Präsidentschaftswahl in den USA, Desinformation hätte die Wahl nicht beeinflussen können. Und warb gleichzeitig bei den Wahlkämpfer*innen für Facebook als die beste Plattform, um Wählerstimmen zu generieren. Unternehmen bekommen dadurch ein hohes Maß an Einflussmöglichkeiten auf Politik, auch wenn sie ursprünglich gar kein Interesse an Politik hatten.
Neue digitale Techniken werden auch von terroristischen Gruppen genutzt. Bekannt dafür ist etwa ISIS. Die Terrorgruppe rekrutiert vorrangig online neue Anhänger*innen und 2014 kündigte die Terrorgruppe ihren Angriff auf Nordirak via Twitter mit dem Hashtag #AllEyesOnISIS an – beides erfolgreich mit bewusst irreführenden oder falschen Videos, Bildern und Nachrichten. Auf der anderen Seite erleben wir in China, wie staatliche Stellen immer mehr Kontrolle über das Internet ausüben. Massenüberwachung und großangelegte Zensur gehören hier zum Alltag der Bürgerinnen und Bürger. Das Internet ist hier vor allem Ort der Repression. Auch in Vietnam und Thailand werden derzeit Gesetze vorbereitet, um unter dem Deckmantel von Cybersicherheit Massenüberwachung umzusetzen.
Neben Manipulation und Desinformation spielt auch die IT-Sicherheit von Wahlsystemen eine wichtige Rolle. Allein die Möglichkeit, dass Hacking-Angriffe auf elektronische Systeme das Wahlergebnis verfälschen können, unterminiert die Legitimität von demokratischen Wahlen. Die Wähler*innen müssen auf die Verlässlichkeit des Wahlprozesses vertrauen können. Wir beobachten derartige Entwicklungen seit mindestens 10 Jahren und hinken hinter den großen Akteuren hinterher. Geheimdienste von Staaten wie Russland, befreundete Gruppen oder Akteure wie ISIS fühlen sich an Recht und Gesetz nur bedingt gebunden. Sie haben das System genau verstanden und machen es zu ihrem Spielball. Wenn wir als Rechtsstaaten nicht mit Regeln und Gesetzen darauf reagieren, werden wir zur ihren Geiseln.
Das Problematische an den beschriebenen Entwicklungen ist weniger, dass Staaten und andere Akteure Willensbildungsprozesse beeinflussen – eine so alte Praxis, wie es die Demokratie gibt – sondern der Fakt, dass die digitale Gesellschaft besonders anfällig hierfür ist. Die genannten Beispiele zeigen vor allem, dass die Beeinflussung nicht vor nationalstaatlichen Grenzen halt macht. Social Media kennt keinen Schengenraum.
Das überhastete Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vom damaligen Justizminister Heiko Maas kann dabei erste Ansatzpunkte liefern. Gleichzeitig greift es bei Weitem zu kurz. Dass wir beispielsweise auch Regelungen zum Umgang mit social bots und Falschinformationen brauchen, ist lange überfällig. Das Gesetz legitimiert jedoch die Vorgehensweise von Online-Plattformen, nach eigenem Ermessen Inhalte zu löschen. Das kann zum Overblocking führen, großangelegtes Löschen von Inhalten, unter denen dann auch legitime Meinungsäußerungen enthalten sein können. Gut gemeint ist eben manchmal das Gegenteil von gut gemacht. Das kürzlich in Frankreich verabschiedete Gesetz zu Fake News ist ein weiteres Beispiel dafür. Im notwendigen Kampf gegen Desinformation und Manipulation darf die Meinungsfreiheit nicht auf der Strecke bleiben.
Der Blick in andere Länder lohnt: Schweden beschäftigt sich schon länger mit der Thematik. Medienkompetenz vor allem – aber nicht nur – von jüngeren Menschen etwa fördert das Land seit Jahren. Im jüngsten Wahlkampf hat die Regierung ihre Arbeit nochmal intensiviert und Broschüren an fast fünf Millionen Haushalte geschickt, in denen unter anderem Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Desinformationen enthalten waren. Wahlhelfer*innen und Politiker*innen wurden darin sensibilisiert und es wurde ihnen Rüstzeug an die Hand gegeben, Falschinformationen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Die staatliche Agentur „Myndigheten för samhällsskydd och beredskap“ (Swedish Civil Contingencies Agency) koordiniert zwischen den verschiedenen Ministerien die Vorbereitung auf Krisen – insb. zur Desinformation. Sie ist damit beauftragt, ein Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen und eine gesamtgesellschaftliche Strategie gegen ausländische Beeinflussung zu entwickeln.
Schwedens Umgang mit digitaler Wahlbeeinflussung kann durchaus als Vorbild dienen. Denn fremde Staaten oder Akteure sind nur fähig, zu manipulieren, wenn unsere Gesellschaften nicht vorbereitet sind. Wir müssen die Regeln der Beeinflussung und Manipulation auch als Individuen verstehen. Denn sobald wir online sind, laufen wir permanent Gefahr, von Akteuren beeinflusst zu werden, die unsere Aufmerksamkeit oder unsere Empörung zu Geld machen oder für die eigenen undurchsichtigen Ziele missbrauchen. Wenn wir nicht verstehen, wie das System funktioniert, können wir uns auch nicht schützen. Dazu braucht es verbindliche internationale Abkommen, in denen sich Staaten gemeinsam den Problemen stellen. Der Staat hat eine Schutzverantwortung gegenüber den Bürger*innen, bezüglich Privatheit, IT-Sicherheit, Datenschutz und gegen Hackerangriffe. Diese Schutzverantwortung muss auch in internationalen Abkommen verankert sein.
Das Recht auf freie Wahlen sieht sich in zweierlei Hinsicht digitalen Herausforderungen gegenüber: in Bezug auf die Freiheit der Wähler*innen, sich eine Meinung zu bilden, aber auch darauf, ihren Willen frei zu äußern. Beides muss bei demokratischen Wahlen sichergestellt sein. Genauso wie die Bildung junger Menschen im Hinblick auf den Informationsfluss im Internet. Es bedarf dafür beratender Organe, an die sich Bürger*innen wenden können, wenn sie sich Falschinformationen ausgesetzt sehen. Für die Prüfung von im Netz zirkulierenden Inhalten brauchen wir aber auch die Mitarbeit der Medien an Faktenchecks, da diese ebenso Opfer von Desinformationen sein können.
Bei allen Gefahren möchte ich kein Schreckgespenst Internet beschreiben. Für jedes Beispiel der Manipulation gibt es ein positives Beispiel, wie das Internet Bürger*innen mehr demokratische Beteiligung ermöglicht hat, als es je möglich war. Diese Formen der Beteiligung und Mobilisierung wollen wir stärken und schützen. Fakt ist: Diese Technologien werden bleiben und sich in großer Geschwindigkeit weiterentwickeln und wir brauchen einen Umgang damit. Wir haben keine andere Wahl. Mein Bericht „Democracy hacked? How to respond“ soll dazu einen Beitrag leisten.
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