Big Brother made in Brüssel? Das von der Europäischen Union finanzierte Forschungsprojekt INDECT sorgt für berechtigten Unmut. Doch INDECT ist nur die halbe Wahrheit. Mir liegt viel daran, dass am weltweiten Aktionstag gegen INDECT am 20. Oktober möglichst viele BürgerInnen informiert für ihre Rechte eintreten.

Das Kürzel INDECT steht in seiner deutschen Übersetzung für „Intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Entdeckung für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung“. Ziel des EU-geförderten Forschungsprojekts ist die Entwicklung von Sicherheitssystemen, die automatisch „abnormales Verhalten“ erkennen und dann gegebenenfalls polizeiliche Aktivitäten auslösen.

Doch INDECT ist nur ein Teil des 7. Forschungsrahmenprogramms der EU, innerhalb dessen Schwerpunkt „Sicherheit“ rund 190 Forschungsprojekte gefördert werden. In der absoluten Mehrheit sind das Vorhaben, bei denen Sicherheit durch den Einsatz technologischer Lösungen hergestellt werden soll. Das heißt im Klartext: Große Datenmengen über menschliches Verhalten werden maschinell erfasst und ausgewertet. Dazu sollen verschiedene Sicherheitstechnologien (z.B. Videoüberwachung mit Gesichtserkennung) und Datenbanken (z.B. Melderegister und Internetverbindungsdaten) miteinander verknüpft werden. Diese Vorstellung von Sicherheit ist höchst problematisch. Sie stellt viele Menschen nach fragwürdigen Kriterien unter Generalverdacht und beraubt sie ihrer Grundrechte. Probleme werden dadurch eher verstärkt als gelöst. Benachteiligte Personen haben es doppelt schwer. So würde etwa EinwohnerInnen von „Problemkiezen“ durch die Logik des „Profiling“ noch mehr misstraut, statt gemeinsam mit ihnen Perspektiven aufzubauen.

An den Forschungsprojekten beteiligt sind neben verschiedenen europäischen Universitäten auch Privatunternehmen und Polizeibehörden. Die für die Verwaltung der Forschungsprojekte zuständige EU-Kommission nennt diese bedenkliche Verquickung von Forschung, Polizei und Wirtschaft „public-private dialogue“. Die Strategie ist eindeutig: Die EU soll nicht nur ein „Raum der Sicherheit“, sondern auch ein noch größerer Markt für Sicherheit werden. Neben ihrer Anwendung innerhalb Europas sind Sicherheitstechnologien schon heute ein Exportschlager im Nahen und Mittleren Osten.

Insgesamt 1,4 Milliarden Euro kosten die Sicherheitsprojekte des 7. Forschungsrahmenprogramms, das 2007 begann und noch bis 2013 läuft. Die Verhandlungen über das neue sechsjährige Forschungsrahmenprogramm unter dem Namen „Horizon 2020“ beginnen in diesen Tagen. Trotz berechtigter Kritik an Einzelprojekten wie INDECT müssen wir jetzt vor allem auf „Horizon 2020“ Einfluss nehmen. Neben mehr bürgerrechtsorientier Forschung fordern wir Grüne einen demokratischen Abwägungsprozess schon vor Genehmigung der Forschungsprojekte. Ethikräte in unethischen Projekten wie INDECT sind nicht nur ein Feigenblatt, sondern ein Widerspruch in sich.

Am weltweiten Aktionstag gegen INDECT am 20. Oktober 2012 finden Demonstrationen in über 60 Städten statt. Ich würde mich freuen, wenn auch Ihr dabei seid. Ich werde um 14:30 Uhr eine Rede während der Berliner Kundgebung halten.

Weiterführende Informationen:
Karte der Protestkundgebungen: http://gruenlink.de/cpn
Analysen und Berichterstattung zum Thema auf netzpolitik.org: http://gruenlink.de/cns

Hier findet Ihr eine Übersicht der bisher zu INDECT auf grün-digital erschienenen Artikel.

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