Die große Koalition ist erst wenige Wochen im Amt. Dennoch streitet sie schon heute über die Wiedereinführung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Obwohl man sich im Koalitionsvertrag gemeinsam darauf verständigte, die Vorratsdatenspeicherung umgehend wieder einzuführen, hat Bundesjustizminister Maas nun angekündigt, die Einführung der Vorratsdatenspeicherung bis zu einem endgültigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs auf Eis zu legen. Diese Entscheidung ist, nachdem im Dezember der EU-Generalanwalt zur Überzeugung gelangte, dass die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gegen geltende Grundrechte verstößt, nur folgerichtig. Gleichzeitig ändert sie nichts am grundsätzlichen Festhalten von SPD und Union an der Vorratsdatenspeicherung.
Dieser Tage zeigt sich, wie töricht es von der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD war, sich im gemeinsam vorgelegten Koalitionsvertrag trotz einer anstehenden Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshof auf eine rasche Wiedereinführung der anlasslosen Massenspeicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten aller Bürgerinnen und Bürger zu Strafverfolgungszwecken festzulegen. Die Absicht einer raschen Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung war und ist auch und gerade vor dem Hintergrund des schwelenden, nach wie vor völlig unaufgeklärten Geheimdienste- und Überwachungsskandals von NSA, GHCQ und BND und Co., die mit vergleichbaren Mitteln gegen die Gesamtbevölkerung vorgehen, für uns Grüne absolut nicht nachvollziehbar. Wiederholt hatten wir die Koalitionäre von CDU/CSU und SPD aufgefordert, zumindest das anstehende Urteil abzuwarten.
Kein Einsatz gegen die Vorratsdatenspeicherung von GroKo zu erwarten
Heute wird auch dem letzten klar: Die bisherige schwarz-gelbe Koalition hat es im Zuge einer jahrelangen koalitionsinternen Auseinandersetzung verpasst, sich auf europäischer Ebene für eine Aufhebung der Richtlinie einzusetzen. Entsprechende Anträge hatten wir vor Jahren im Bundestag vorgelegt. Dieses schwarz-gelbe Versäumnis rächt sich heute bitter. Viel zu lang haben sich Union und SPD hinter der Umsetzungsverpflichtung der betreffenden EU-Richtlinie versteckt. Es steht zu befürchten, dass es sich bei der jetzigen Initiative von Justizminister Maas um kaum mehr als Säbelrasseln handelt. Vielleicht werden wir aber ja auch überrascht und die Große Koalition setzt sich zukünftig mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts endlich für eine grundlegende Überprüfung der Richtlinie auf europäischer Ebene ein. Dies wäre dringend angeraten, nicht nur, weil sich führende Vertreter der SPD im Wahlkampf noch für eine solche grundlegende Überprüfung ausgesprochen hatten.
Zu befürchten steht jedoch, dass sich der jetzt abzeichnende Streit bei näherer Betrachtung als bürgerrechtlicher Sturm im Wasserglas entpuppt. Seine Ankündigung, keinen neuen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung vorlegen zu wollen, bevor der Europäische Gerichtshof geurteilt hat, ist das fachlich Mindeste, was der Justizminister zur Ehrenrettung der SPD in dieser Frage tun kann. Die reflexhafte Reaktion von Unionsseite war ebenso erwartbar wie sie rechtspolitisch fragwürdig ist. Denn das jetzige Verfahren wird aller Voraussicht nach zumindest zu einer grundlegenden Revision der bestehenden Richtlinie führen. Der zuständige Generalanwalt hat in seiner regelmäßig äußerst einflussreichen Stellungnahme fundamentale Kritik an der EU-Richtlinie geübt und sogar deren Aufhebung gefordert. Gerade weil somit derzeit niemand sagen kann, in welchem Umfang der Gerichtshof seinen fundamentalen Bedenken folgen wird, ist es nur folgerichtig, zu warten, bis die europäischen Rahmenbedingungen geklärt sind. Abwarten allein ist noch keine verantwortliche Bürgerrechtspolitik. Ich fordere den Bundesjustizminister auf, sich auf EU-Ebene für eine rasche Aufhebung der Richtlinie einzusetzen.
„Ein Bundesinnenminister, der heute die Vorratsdatenspeicherung einführen will, die morgen für verfassungswidrig erklärt wird, muss übermorgen zurücktreten“
Dass der gerade erneut zum Bundesinnen- und Verfassungsministern ernannte Thomas de Maizière trotz der aktuellen Umstände auf die Einführung dieses erwiesenermaßen verfassungsrechtlich hochbedenklichen Instruments drängt, ist für mich nicht ansatzweise nachvollziehbar. Klar ist: Ein Bundesinnenminister, der heute die Vorratsdatenspeicherung einführen will, die morgen für verfassungswidrig erklärt wird, muss übermorgen zurücktreten.
Große Koalition befürwortet die Vorratsdatenspeicherung auch weiterhin
Die Ankündigung von Heiko Maas erscheint auf den ersten Blick grundrechtewahrend zu sein. Die Frage ist jedoch, ob und wann die SPD endlich den Mut haben wird, sich von der verfassungsrechtlich höchst umstrittenen Vorratsdatenspeicherung und dem mit ihr einhergehenden Generalverdacht gegenüber 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger endlich zu verabschieden. Das hat sie bis heute nicht getan. Im Gegenteil: Führende Sozialdemokraten halten, genau wie ihre Kolleginnen und Kollegen der Union, bis heute unbeirrt an dem umstrittenen Massenüberwachungsinstrument der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung fest und wollen trotz anhaltender verfassungsrechtlicher Bedenken und täglich neuen Hiobsbotschaften in Sachen NSA und Co. höchstens kosmetische Änderungen an den rechtlichen Grundlagen der Vorratsdatenspeicherung vornehmen.
Sowohl CDU/CSU als auch SPD befürworten also auch weiterhin den Einsatz des bürgerrechtlich wie rechtsstaatlich höchstproblematischen Instruments des Generalverdachts. Dabei hatte bereits das Bundesverfassungsgericht der Vorratsdatenspeicherung bescheinigt, durch seine unterschiedslose und verdachtsunabhängige Einbeziehung der Verkehrsdaten aller Bürgerinnen und Bürger in nie dagewesener Weise in unsere Grundrechte einzugreifen. Das Gericht hatte die Vorratsdatenspeicherung zwar für nicht völlig unzulässig erklärt, sie aber nur unter höchsten grundrechtlichen Anforderungen für zulässig befunden. Es warnte in seinem Urteil vor einem freiheitsgefährdenden „diffusen Gefühl des Beobachtetseins“. Ein solches Gefühl, das sich durch die jüngsten Enthüllungen im Zuge des Überwachungs- und Geheimdienstskandal noch einmal verstärkt haben dürfte, ist Gift für jeden Rechtsstaat. In seinem Urteil mahnte das höchste deutsche Gericht zudem an, eine „Überwachungsgesamtrechnung“ aufzumachen. Wie diese heute aussähe, ist eine spannende Frage.
Grüne Bundestagsfraktion lehnt Vorratsdatenspeicherung auch weiterhin ab
Als Instrument des verdachts- und gefahrenunabhängigen, massenhaften Vorgehens gegen die Gesamtbevölkerung ist die Vorratsdatenspeicherung mit unserem bürgerrechtlichen Grundverständnis demokratisch-rechtstaatlicher Sicherheitsgewährleistung nicht vereinbar. Zudem gilt: Weder gibt es die von den Behörden stets behauptete, aber nie valide belegte Schutzlücke, die dieses grundrechtsbelastende Instrument erforderlich machen würde, noch gibt es bis heute hinreichende Belege ihrer möglichen Wirksamkeit, wie zuletzt die gescheiterte Evaluation der Europäischen Kommission gezeigt hat. In jedem Falle aber ist die Vorratsdatenspeicherung der Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger völlig unverhältnismäßig. Für uns ist daher klar: Wir Grünen lehnen die Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsverkehrsdaten auch weiterhin entschieden ab und werden entsprechend weiter im Bundestag engagieren.
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