Lange Zeit galt das Netz als gleichberechtigter, freier und offener Raum mit großen Potenzialen für die Demokratie. Leider müssen wir seit einigen Jahren gegenteilige Entwicklungen feststellen. Wir beobachten im Netz tagtäglich eine zunehmende Verrohung der Umgangsformen. Hass und Hetze drohen alltäglich zu werden. Hemmschwellen brechen weg. Vorurteile werden geschürt und Feindbilder bedient. Menschen werden beleidigt und bedroht. Die Integrität von Kommunikation wird bewusst beeinflusst und zerstört, Falschinformationen über das Netz gezielt verbreitet. Zivilgesellschaftliche, journalistische und politische Akteurinnen und Akteure werden eingeschüchtert. All dies ist eine echte Gefahr für die Demokratie. Eine Gefahr, auf die Politik zielgenau und entschlossen reagieren muss. Gemeinsam haben wir als Grüne Bundestagsfraktion deshalb auf unserer Klausur in Weimar am 11. Januar 2017 den Beschluss „Verantwortung, Freiheit und Recht im Netz“ (pdf) gefasst.

In einem Gastbeitrag des Berliner medienpolitischen Magazins promedia fordere ich erneut die konsequente Anwendung geltenden Rechts auch in sozialen Netzwerken. An dieser Stelle dokumentieren wir den Beitrag, der in der Februar-Ausgabe des Magazins (2/2017) erschienen ist.

Der Rechtsstaat muss klare Kante zeigen

Konsequente Anwendung geltenden Rechts für soziale Netzwerke

Die Utopie war greifbar: Das Netz, so die Hoffnung nach dem „Arabischen Frühling“, würde seine demokratische Wirkung endgültig zum Wohle aller entfalten. Die Realität: Hass und Hetze drohen alltäglich zu werden. Hemmschwellen brechen weg. Vorurteile werden bewusst geschürt. Menschen werden beleidigt und bedroht. Hass und Hetze haben Konsequenzen im Handeln und führen zu mehr Gewalt. Das Netz befördert diese Dynamik und wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Klick-Logiken kennen keine Menschenwürde. Das Jahr 2016 hat deutlich gezeigt: Gesellschaftliche Meinungsbildung kann durch gezielte Falschinformationen, durch IT-Angriffe und Hacking, aber auch durch den intransparenten Einsatz von „Social Bots“ und viral verbreitete Falschmeldungen manipuliert werden.

Wir beobachten, dass sich Menschen angesichts vollkommen enthemmter Diskurse zurückziehen oder in Filterblasen weiter radikalisieren. Beides ist längst eine echte Gefahr für unsere Demokratie. Eine Gefahr, auf die Politik entschlossen reagieren muss. Es braucht klare Regeln, damit alle mehr Verantwortung im und für das Netz übernehmen, dem wichtigsten Kommunikationsraum unserer Zeit. Die Bundesregierung hat sich mit diesen Themen bislang viel zu wenig beschäftigt. Auch dadurch ist die Dimension stetig gewachsen und die Dringlichkeit mittlerweile groß. Der intransparente Einsatz von Social Bots, das gezielte Verbreiten von Falschmeldungen und bewusste Manipulationen von Wahlen und politischen Entscheidungsprozessen übers Netz verlangen differenzierte, passgenaue Antworten. Sie gibt die Bundesregierung bislang nicht. Im Gegenteil: Ihre bisherigen Vorschläge schießen teilweise weit über das Ziel hinaus, zum Teil sind sie hoch widersprüchlich und auch kontraproduktiv. In einem auf ihrer Neujahrsklausur in Weimar verabschiedetem Beschluss hat die grüne Bundestagsfraktion den Versuch unternommen, all die Punkte zusammenzufassen, die derzeit bezüglich der Verschiebung von Diskursen im und durch das Netz diskutiert werden. Vorliegende Vorschläge haben wir rechtsstaatlich eingeordnet und eigene Ideen entwickelt.

Als grüne Bundestagsfraktion bekennen wir uns zu den Grundrechten der Meinungs-, Medien- und Informationsfreiheit. Sie gelten auch für abseitige, oftmals schwer erträgliche Positionen. Gleichzeitig sind dem Verbreiten von strafbaren Meinungsäußerungen und Falschmeldungen, gerade wenn die Rechte Dritter, z.B. ihre Persönlichkeitsrechte, verletzt sind, durchaus enge rechtliche Grenzen gesetzt. Die rote Linie liegt also dort, wo rechtswidriges Handeln anfängt. Hier muss der Rechtsstaat klare Kante zeigen. Bei Rechtsverletzungen reichen bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten, Strafgesetze und die staatliche Pflicht zur Strafverfolgung unseres Erachtens grundsätzlich aus. Gleichzeitig gibt es große Umsetzungsdefizite. Um sie abzustellen, müssen Unternehmen stärker in die Pflicht und Polizei und Strafverfolgungsbehörden in die Lage versetzt werden, bestehende Instrumente auch konsequent anzuwenden. Der reflexhafte Ruf nach immer neuen Straftatbeständen führt hingegen in die Sackgasse. Stattdessen müssen wir bestehende individuelle Rechte und den staatlichen Strafanspruch durchsetzen, Sorgfaltspflichten für Dienstleister ausbauen und die Rechtsanwendung stärken. Das hat die Bundesregierung über Jahre verpasst. Sie toleriert bis heute, dass sich milliardenschwere Unternehmen nicht an geltendes Recht halten und mit lapidaren Hinweisen auf die eigene Multinationalität oder selbst gegebene AGBs klare rechtliche Vorgaben missachten. Das muss ein Ende haben. Selbstverpflichtungen, medienwirksame „Task Forces“, offene Briefe und immer neue, vollkommen folgenlose Fristen können keine ernstgemeinte rechtsstaatliche Antwort sein.

Digitale Gatekeeper müssen in die Pflicht genommen werden, ihrer Verantwortung nachzukommen und geltendes Recht wie das Notice and Takedown-Verfahren auch anzuwenden. Hierfür braucht es gute Meldewege und ausreichend Personal, das die Prüfungen entlang der nationalen Rechtslage vornimmt. Zudem braucht es gesetzliche Berichtspflichten. Die Unternehmen müssen ggf. dazu verpflichtet werden, entsprechende Evaluierungen vorzulegen. Und es braucht wirksame Sanktionen bei Verstößen. In der freiheitlichen Demokratie gibt es keinen Anspruch – und schon gar nicht des Staates – auf absolute Wahrheit, und eine Zensur darf nicht stattfinden. Es ist aber notwendig, entschlossen gegen erwiesene oder bewusste Falschmeldungen vorzugehen, die von der Meinungsfreiheit verfassungsrechtlich nicht geschützt sind. Der Staat hat daher auch hier sicherzustellen, dass die bestehenden Ansprüche auf Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz effektiv verfolgt werden können und dass die Strafverfolgungsbehörden strafrechtlich relevante falsche Behauptungen effektiv verfolgen können.

„Der Staat hat sicherzustellen, dass die bestehenden Ansprüche auf Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz effektiv verfolgt werden können.“

Um Freiheit zu wahren, bedarf es auch im Netz ständiger Achtsamkeit sowie des aktiven Engagements für demokratischen Diskurs und Respekt. In einer Zeit, in der alle möglichen Akteure problemlos publizieren und weiterverbreiten können, ohne sicher zu stellen, dass durchweg anerkannter journalistischer Sorgfaltspflichten entsprochen wird, muss die Fähigkeit gefördert werden, Inhalte kritisch zu hinterfragen und bewusst verfälschte Nachrichten als solche zu erkennen. Daher bleibt im digitalen Zeitalter der Erwerb von Medienkompetenz – möglichst lebenslang – eine zentrale Herausforderung. Vollkommen abwegig hingegen ist die Schaffung eines staatlichen „Wahrheitsministeriums“ auch nur zu erwägen. Das kann kein ernst gemeinter Vorschlag in einer pluralistischen Demokratie sein.

Andere Vorschläge, wie zum Beispiel die Schaffung unabhängiger Einrichtungen zur Prüfung der Einhaltung grundlegender Sorgfaltspflichten, etwa in Anlehnung an das, was für Medienangehörige gilt, sollten diskutiert werden. Die wenigen großen Plattformen, die heute einen erheblichen Teil dazu beitragen, dass Falschnachrichten – obwohl teilweise längst widerlegt – weiterverbreitet werden, müssen aktiv an der Verhinderung der weiteren Verbreitung mitwirken. Freilich dürfen ohnehin übermächtige Konzerne aber nicht in die Rolle von Zensoren gedrängt werden und noch stärker als bislang darüber entscheiden, was ein wünschenswerter Inhalt ist und was nicht. Vor diesem Hintergrund werden wir die tatsächliche Sinn- und Durchsetzbarkeit einer Verpflichtung zur Gegendarstellung prüfen. Auch der intransparente Einsatz von „Social Bots“ braucht klare Regeln. Technik kann immer ambivalent eingesetzt werden. Social Bots sind hierfür ein gutes Beispiel. Es gibt durchaus zahlreiche sinnvolle Anwendungen. Genauso können Social Bots aber dort, wo sie missbräuchlich eingesetzt werden, demokratische Diskurse vergiften und vermeintliche Mehrheitsverhältnisse vortäuschen, die real nicht bestehen. So beeinflussen sie verdeckt demokratische Entscheidungsprozesse. Den Einsatz von Social Bots per se zu verbieten, würde allerdings der skizzierten Ambivalenz nicht gerecht werden. Selbstverpflichtungen allein reichen aber auch nicht aus. Zur effektiven Verhinderung der intransparenten Beeinflussung demokratischer Willensbildungsprozesse sprechen wir uns daher für eine gesetzliche Transparenz- und Anzeigepflicht für den Einsatz aus.

Als Grüne Fraktion haben wir uns auf den Weg gemacht und erste Vorschläge zur Frage unterbreitet, wie mögliche, rechtsstaatliche Antworten auf diese Phänomene aussehen könnten. Dabei haben wir uns sehr bemüht zu differenzieren. Denn genau hieran mangelte es bislang häufig. Rechtsstaatlich fragwürdige Scheinantworten helfen jedoch nicht weiter. Insgesamt haben wir uns bemüht, auf derartige Fehlentwicklungen hinzuweisen und alternative, eigene regulatorische Vorschläge vorzulegen. Parallel haben wir die Bundesregierung noch einmal aufgefordert, sich endlich auch Gedanken zu all diesen Fragen zu machen. Unserer Vorschläge, da geben wir uns keiner Illusion hin, werden sicher nicht alle Probleme dieser Welt lösen. Sie können jedoch einen Beitrag zu einer Diskussion leisten, der wir uns als Demokraten entschlossen stellen müssen.

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