Seit Anfang März sagen wir als Grüne klar: Wir brauchen geeignete und rechtsstaatliche digitale Lösungen zur Eindämmung der Pandemie. Nach monatelangem Hin und Her gibt es nun endlich eine Corona-App. In zentralen Punkten ist die Bundesregierung unseren Empfehlungen gefolgt – ein Begleitgesetz fehlt aber noch immer. Um Vertrauen zu erhöhen und schnellstmöglich Rechtssicherheit für alle Beteiligten herzustellen, haben wir als Grüne Fraktion gerade noch einen weiteren, sehr konkreten Vorschlag für ein Begleitgesetz im Parlament erarbeitet.

Die Corona-Pandemie hat eine weltweite Notlage ausgelöst. Nahezu alle Teile der Bevölkerung sind weiterhin gefährdet, ältere Menschen überdurchschnittlich hoch. Das Gesundheitssystem muss mit einer hohen Zahl von Erkrankten fertig werden, die zum Teil sehr aufwändige Behandlung benötigen. Die Verringerung der Ansteckungsrate wurde zum Gebot der Stunde und ist es nach wie vor.

Seit Ausbruch der Pandemie wird über die digitale Anwendungen zur Unterstützung der Eindämmung der weiteren Ausbreitung des Cononavirus diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit hat dabei das „Tracing“, die gezielte Rückverfolgung der Kontaktdaten von mit dem Coronavirus möglicherweise infizierten Bürgerinnen und Bürgern erlangt. Ziel ist es, Kontaktpersonen schnellstmöglich zu lokalisieren – auch, um sie gezielt informieren zu können.

Durch eine solche digitale Kontaktverfolgung könnte das bisherige System ersetzt werden, bei dem die Gesundheitsämter mit positiv Getesteten Aufenthaltsorte und Kontakte während der Inkubationszeit analog durchgehen, um potentiell angesteckte Personen zu identifizieren, sie zu warnen, in Quarantäne zu schicken und Infektionsketten zu unterbrechen. Die Aussicht auf eine effizientere Kontaktverfolgung könnte einen wichtigen Baustein bei der Aufhebung zahlreicher bestehender Grundrechtseinschränkungen des „Lockdown“ bilden.

Debatte um digitale Unterstützung der Epidemie-Eindämmung

Die Debatte um die Möglichkeiten digitaler Unterstützung dieser sogenannten Kontaktverfolgung wird seit Anfang März intensiv geführt. Sie fand auch vor dem Hintergrund höchst unterschiedlicher internationaler Ansätze der Pandemiebekämpfung statt. Asiatische Länder wie China, Singapur, Taiwan oder Südkorea verfolgen differenzierende Ziele und Konzepte. Sie werten sowohl individuelle als auch aggregierte Informationen zu Bewegungen der Bevölkerung aus. In Israel nutzt man geheimdienstliche Trackingdaten zum Aufspüren von Infizierten und deren Kontaktpersonen.

Höchste Sicherheitsvorkehrungen als Garant für Vertrauen

Die europäische Herausforderung bestand darin, eine potentiell tief in Grundrechte eingreifende Lösung effektiv mit besten IT-Sicherheitsstandards in Einklang zu bringen. Die ursprünglichen Pläne von Bundesgesundheitsminister Spahn zur Handyortung per Funkzelle im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes waren so unausgegoren, rechtlich umstritten und auch wenig zielführend, dass die Bundesregierung sie selbst nach einigen Wochen verworfen hat. Dies hat einen Korridor für ebenso datenschutzkonforme wie zielführende Maßnahmen eröffnet.

Tracing-App kann bei Epidemie-Eindämmung helfen

Die Corona-Krise stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Außergewöhnliche Krisen erfordern außergewöhnliche Schritte. Aber: Gerade in diesen Krisen bewährt sich der Rechtsstaat. Demokratische Abstimmungsprozesse sind eine Stärke, keine Schwäche. Das hat die Diskussion um die Corona-App gezeigt.

Wir Grüne im Bundestag haben frühzeitig auf die Möglichkeit datenschutzkonformer und zielführender Alternativen hingewiesen. Die Bundesregierung ist in zentralen Fragen umgeschwenkt und so kann die nun vorgeschlagene App-Lösung ein wichtiger Baustein bei der weiteren Eindämmung der Pandemie werden. Mit ihr könnten grundsätzlich Lücken in der Kontaktverfolgung geschlossen, die Benachrichtigung von Kontaktpersonen beschleunigt und das bestehende System effektiviert werden. Sie ist aber gewiss kein Allheilmittel, auch weil nie alle Bürgerinnen und Bürger auf diesem Wege erreichbar sein werden.

Bei dem nun verfolgten Ansatz samt dezentraler Lösung verbleiben alle Kontaktdaten auf den Smartphones der Nutzerinnen und Nutzer. Hierfür haben wir immer wieder gemeinsam mit zahlreichen NGOs geworben, darunter der Chaos Computer Club (CCC). Wir begrüßen, dass die Bundesregierung von der von ihr ursprünglich verfolgten, risikoreicheren, zentralen Lösung abgekehrt ist. Auch, dass man sich entschlossen hat, auf einen Open-Source-Ansatz und die Veröffentlichung des Quellcodes der App umzuschwenken, haben wir begrüßt.

Bundesregierung hat Vertrauen unnötig verspielt

Während wir immer auf Transparenz, Freiwilligkeit, eine enge Zweckbindung, die dezentrale Speicherung und die Bereitstellung des Source Codes sowie die umfassende Einbeziehung und Überprüfung der Technik sowohl durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz (BfDI) als auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gedrängt haben, ließ die Bundesregierung diese Eindeutigkeit viel zu lange vermissen. So blieb viel zu lang unklar, ob die Nutzung der App – zumindest für bestimmte Personengruppen wie Angehörige von Berufen der kritischen Infrastrukturen – doch verpflichtend eingeführt werden könnten. Entsprechend äußersten sich wiederholt Vertreter der Bundesregierung. Durch immer neue, unausgegorene Pläne wie die einer zusätzlichen Quarantäne-Kontrolle-App hat sie eine weitere Verunsicherung in der Bevölkerung auslöst.

Gesetzliche Regelung kann Vertrauen wieder herstellen

Vor diesem Hintergrund haben wir frühzeitig für eine gesetzliche Regelung zur Corona-App geworben. Sie kann Vertrauen schaffen, klare rechtliche Verantwortlichkeiten, eine enge Zweckbindungen, Löschfristen und zeitliche Befristungen definieren, die Diskriminierung von App-NutzerInnen und Nicht-NutzerInnen ausschließen. Gerade in arbeitsrechtlichen Verhältnissen droht ansonsten eine große Rechtsunsicherheit. Genauso muss der Zugriff von Sicherheitsbehörden auf die Daten klar ausgeschlossen werden.

Anfang Mai haben wir den Antrag Demokratie, Bürgerrechte und Zivilgesellschaft in Zeiten der Corona-Krise (pdf) in den Bundestag eingebracht, der die Bundesregierung zur Vorlage eines Begleitgesetzes zur App aufforderte. Unserer Forderungen haben sich seitdem neben anderen Oppositionsfraktionen auch mehrere Landesdatenschutzbeauftragte, zahlreiche Verbände, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen sowie der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz angeschlossen. Zudem gibt es mittlerweile einen Gesetzesvorschlag der grünen Justizministerinnen und -minister der Länder. Die Bundesregierung lehnt eine Begleitgesetzgebung jedoch auch weiterhin ab.

Diskussion um gesetzliche Regelung spitz sich weiter zu

Die Diskussion dreht sich zunehmend um die Freiwilligkeit und den verpflichtenden Einsatz der App in Arbeitsverhältnissen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat in einem Schreiben an BMG, Kanzleramt und Bundestags-Fraktionen explizit darauf verwiesen, dass sich mehrere Menschen bereits mit Hinweisen auf entsprechende Pläne ihrer Arbeitgeber bei ihm gemeldet hätten. Ein solches Vorgehen stellt ein aus seiner Sicht „unzulässiges Verhalten“ dar, dass er für den Fall der Vorlage eines Begleitgesetzes empfiehlt, zu untersagen.

Die Ansicht der Bundesregierung, es bedürfe keiner gesetzlichen Regelung teilen wir explizit nicht. Sie ist aus unserer Sicht schon juristisch nicht tragbar. Die stets betonte Freiwilligkeit steht längst offen in Frage. Die Bundesregierung wäre nach all dem Hin und Her der letzten Monate und angesichts der Tatsache, dass sich schon jetzt eine große Unsicherheit bezüglich der Nutzung der App abzeichnet gut beraten, durch ein Begleitgesetz offene Fragen zu beantworten und die Rechtssicherheit für alle Beteiligten herzustellen.

Bundesregierung muss Begleitgesetz schnellstmöglich vorlegen

Wie bei zahlreichen anderen Themen zuvor muss die Bundesregierung auch in diesem Punkt noch einlenken. Tut sie dies nicht, gefährdet sie auch den Erfolg der App. Unser Eindruck ist, dass der Meinungsbildungsprozess in dieser Frage, vor allem innerhalb der SPD-geführten Bundesministerien, noch nicht abgeschlossen ist. Wir befürchten, dass nach dem Start der Corona-App diese Fragen vermehrt auftreten. Um den Prozess innerhalb der Bundesregierung zu beschleunigen und schnellstmöglich Rechtssicherheit für alle Beteiligten herzustellen, haben wir als Grüne Fraktion gerade noch einen weiteren, sehr konkreten Vorschlag für ein Begleitgesetz im Parlament erarbeitet.

Warum ein grüner Gesetzesentwurf zur Corona-App?

Freiwilligkeit verlangt nicht nur Freiheit von staatlichem Zwang, sondern auch Freiheit von faktischem Zwang zur Nutzung und Offenbarung von Daten aus der App-Nutzung. Die Freiwilligkeit würde unterlaufen, wenn etwa sozialer oder wirtschaftlicher Druck, aber auch Arbeitgeber eine Nutzung erzwingen könnten. Deshalb sollte die Freiwilligkeit der Nutzung und Offenbarung von Daten aus der Nutzung der App bestmöglich abgesichert werden durch begleitende Regelungen zum Schutze für Verbraucherinnen und Verbraucher und Beschäftigte. Die Nutzung von privaten wie öffentlichen Einrichtungen, der Besuch eines Shopping-Centers, Dienstleistungen, bereits das Betreten von Geschäfts-, Betriebs- und Veranstaltungsräumen, generell der Abschluss von Verträgen, Arbeits- und Dienst-verhältnissen und vieles andere mehr könnten anderenfalls von der Nutzung der App abhängig gemacht. Dies liefe vielfach letztlich mangels Alternative und angesichts des Interesses an der Lockerung von Infektionsschutzmaßnahmen auf einen faktischen Nutzungszwang hinaus.

Konkreter Regelungsgegenstand unseres Gesetzesentwurfs

Mit unserem Gesetzentwurf soll die Problematik dadurch gelöst werden, dass für bestimmte Massengeschäfte geregelt wird, dass niemand deshalb benachteiligt werden darf, weil er keine Anwendung auf einem Mobilgerät installiert bzw. nutzt, die zwecks Nachverfolgung von Infektionsrisiken dazu dient, Kontakte mit anderen Personen zu identifizieren. Gleiches soll für Arbeitsverhältnisse gelten. Verstöße gegen diese Benachteiligungsverbote sollen mit einem Unterlassungs- so-wie einem Schadensersatzanspruch sanktioniert werden. Zudem sollen die Vertragsparteien über diese Ansprüche nicht disponieren können.

Außerdem wird klargestellt, dass die Nutzung oder die Offenbarung von Daten aus der Nutzung der App-Anwendung nicht dem Direktionsrecht des Arbeitgebers und dem Weisungsrecht des Dienstherrn unterliegen. Weiter regelt der Gesetzentwurf eine strenge Zweckbindung sowie ein Beschlagnahme- und Verwertungsverbot und sieht die Möglichkeit von Ordnungswidrigkeitssanktionen bei Verstößen vor.

Beschäftigte sollen durch die Nutzung der App auch keine finanziellen Einbußen befürchten müssen. Deshalb soll zwecks weiterer App-Akzeptanzerhöhung zweierlei vorgesehen werden: Erstens zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten ein an näher bestimmte Voraussetzungen gebundenes eigenständiges Leistungsverweigerungsrecht der App-Nutzer im Falle der Warnung für den Zeitraum zwischen Warnung durch die App und Testung bzw. infektionsrechtlicher Entscheidung des Gesundheitsamtes. Und zweitens vollständiger Ausgleich eines dadurch ggf. entstandenen Verdienstausfalls, auch für Erwerbstätige, die ihre selbständige Tätigkeit ohne angestellte Mitarbeiter ausüben („Solo-Selbständige“). Entsprechende Regelungen für die Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richter der Länder sind Sache der Landesgesetzgeber.

Hier findet Ihr unseren Entwurf eines Gesetzes zur zivil-, arbeits- und dienstrechtlichen Sicherung der Freiwilligkeit der Nutzung und zur Zweckbindung mobiler elektronischer Anwendungen zur Nachverfolgung von Infektionsrisiken (Tracing-App-Freiwilligkeits-und Zweckbindungs-Gesetz-TrAppFZG).

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