Gestern hat Christian Rath in der Tageszeitung kurz über die Rücknahme unserer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Speicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger auf Vorrat berichtet. Wir hatten angekündigt, noch einmal ausführlicher über unsere Beweggründe, die zur Rücknahme geführt haben, sowie unsere klare Erwartungshaltung in Richtung Bundesinnen- und -justizministerium bezüglich eines schnellstmöglichen Kabinettsbeschlusses zur Einführung eines Quick-Freeze-Verfahrens zu bloggen.

Als Grüne kämpfen wir seit nunmehr zwei Jahrzehnten mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen anlasslose Massendatenspeicherungen. Wiederholt haben wir auch vor höchsten Gerichten geklagt. Denn anlasslose Massendatenspeicherungen gefährden unsere Grundrechte massiv: Das offene Infragestellen der unseren Rechtsstaat konstituierenden Unschuldsvermutung kommt einem rechtsdogmatischen Dammbruch gleich. Auch die in sie gesetzten sicherheitspolitischen Erwartungen konnte die Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsverbindungsdaten der Bürgerinnen und Bürger nie erfüllen. Dennoch halten die Befürworter bis heute an diesem hochumstrittenen Instrument fest. Statt sich endlich verfassungsfesten und tatsächlich zielgerichteten Instrumenten der Strafverfolgung zuzuwenden, klammerte man sich nach jedem Urteil höchster Gerichte an einen neuen Strohhalm.

Auch die zuletzt von der Union geforderte, monatelange Speicherung von IP-Adressen ist nach Meinung zahlreicher Expertinnen und Experten klar grundrechtswidrig. Durch ein solches Vorgehen und die Ignoranz gegenüber höchstrichterlichen Vorgaben leistet man den Strafverfolgungsbehörden, die endlich Rechtssicherheit für ihre tägliche Arbeit brauchen, einen echten Bärendienst. Die Erkenntnis, dass anlasslose Massendatenspeicherungen sowohl rechtlich wie politisch mausetot sind, scheint noch immer nicht bei jedem angekommen zu sein.

Als Grüne haben wir gegen alle Versuche, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, geklagt. Höchste Gerichte haben über viele, viele Jahre immer wieder sehr deutlich darauf hinweisen müssen, dass solche Vorratsdatenspeicherungen mit deutschem und EU-Recht unvereinbar sind. Das jüngste Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das nun im Volltext vorliegt, fügt dem ein weiteres Kapitel hinzu: Das BVerwG betont noch einmal gänzlich unmissverständlich, dass auch die von der letzten GroKo vorgelegte Gesetz zur Speicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger auf Vorrat wegen Verstoß gegen EU-Recht nicht angewendet werden darf.

Wieder einmal musste ein Gericht denjenigen, die die anlasslose Massendatenspeicherung seit rund 20 Jahren erfolglos herbeisehnen, die Unzulässigkeit der Maßnahme erklären. Professor Matthias Bäcker hat als Prozessbevollmächtigter diese wiederholte Klarstellung herbeigeführt – und damit erneut einen wichtigen Dienst gegen anlasslose Massenüberwachungen und für unsere digitalen Grundrechte geleistet. Wir danken ihm für seinen Einsatz. Angesichts dieses erneuten, sehr deutlichen Urteils braucht es eine weitere Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht zur geltenden Gesetzeslage nicht, weshalb die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer der aus der grünen Bundestagsfraktion betriebenen Verfassungsbeschwerde dieses Verfahren nunmehr für erledigt erklärt haben.

Auch die jüngste Rechtsprechung macht einmal mehr unmissverständlich deutlich: Wir müssen endlich den gefährlichen Irrweg der Massendatenspeicherungen auf Vorrat verlassen. Der Koalitionsvertrag gibt die Richtung klar vor: Den von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vor über einem Jahr vorgelegte Gesetzentwurf für ein zielgerichtetes Einfrieren von bei den Unternehmen vorliegenden Verbindungsdaten bei konkretem Verdacht im Rahmen eines sogenannten „Quick-Freeze“-Verfahrens muss jetzt endlich kommen.

Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP gemeinsam darauf verständigt, die Bevölkerung zukünftig nicht mehr anlasslos zu überwachen, sondern Gefahren zielgerichtet abzuwehren und eine insgesamt grundrechtsorientierte und rechtsstaatlich ausgestaltete Sicherheitspolitik zu verfolgen. Hierzu setzen wir Grüne uns weiterhin ein. Das Bundesinnenministerium muss seinen Widerstand gegen ein solches, gemeinsam vereinbartes Vorgehen endlich aufgeben und den Weg zu einem Kabinettsbeschluss für ein Quick-Freeze Gesetz freimachen.

Statt eines Generalverdachts gegen alle Bürgerinnen und Bürger brauchen wir effektive und rechtsstaatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Kriminalität, insbesondere auch von sexualisierter Gewalt und deren Darstellungen. Hier haben wir immer wieder sehr konkrete parlamentarische Initiativen vorgelegt, die von der besseren personellen Ausstattung der Sicherheitsbehörden und Justiz über ein besseres Angebot an psychologischer Betreuung bis hin zur Verstärkung länderübergreifender Kooperation reichen. Vieles davon wurde in den Ampel-Koalitionsvertrag aufgenommen und muss nun sehr konsequent politisch umgesetzt werden.

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