In unregelmäßigen Abständen berichten wir in unserer Rubrik “Aus den Ländern” über Initiativen, Veranstaltungen und Debatten aus dem Bereich Innen- und Netzpolitik in den Bundesländern. Heute berichtet Rasmus Andresen über eine aktuelle Initiative der Jamaika-Koalition aus dem Landtag Schleswig-Holstein, die heute debattiert wird und das Ziel verfolgt, der Nutzung von Open Source Software politisch zum Durchbruch zu verhelfen (pdf).
Open Source ist ein zentrales Zukunftsthema. In einer sich digitalisierenden Gesellschaft, deren Strukturen zunehmend in bedenklicher Weise von wenigen, vermeintlich übermächtigen Konzernen bestimmt werden, bietet der Ansatz „public money, public code“ einen Anhaltspunkt, wie wir die Digitalisierung aus der Politik heraus demokratischer gestalten können.
Nicht nur nutzen nahezu alle Bürger*innen die bekannten Plattformen der Internetgiganten Google, Amazon, Facebook und Apple, sondern auch nahezu die komplette öffentliche Verwaltung bezieht ihre Software und IT-Architektur meist zum großen Teil von Microsoft, Oracle und einigen wenigen weiteren Akteuren. Der Staat macht sich damit abhängig von großen, marktbeherrschenden IT-Giganten, die dies nutzen, um immer aggressiver ihre Preise und Lizenzgebühren zu bestimmen. Dass das für ein Land wirtschaftlich unvorteilhaft ist, liegt auf der Hand: Beschließen die Lizenzgeber, die Gebühren von einem Jahr aufs andere plötzlich anzuheben, bleibt kaum eine Wahl, als das zu akzeptieren – eine kurzfristige Umstellung wäre kaum durchführbar.
Doch gerade auch den Ansprüchen in einer Demokratie kann das nicht genügen – schließlich wird schon heute nahezu alles, was unseren Staat ausmacht, mit Computern bearbeitet – von der Finanzverwaltung über die Justiz bis hin zu meinem eigenen Arbeitsort, dem Parlament.
Den Gedanken, dass Open Source auch Fragen der IT-Sicherheit berührt, greifen wir in unserem aktuellen Landtagsantrag auf. Die Nutzung von Open-Source Software hat den Vorteil, dass Risiken von Sicherheitslücken reduziert werden, da verschiedene Anwendungen für verschiedene Bereiche verwendet werden. Doch der Sicherheitsnutzen geht weit über den Aspekt von Softwarediversität hinaus. Bei Anwendungen von Microsoft o. ä. kann unsere Verwaltung nur unter den stark restriktiven Bedingungen der Anbieterseite den Code der Software überprüfen. Sie kann also mangels Kenntnis ihrer eigenen IT-Architektur auch keine Sicherheitslecks erkennen, die unter Umständen Hacker oder auch fremde Geheimdienste zum unbefugten Zugriff auf unsere Daten verwenden. Das kann sich niemand leisten, am allerwenigsten der Staat. Unsere IT-Infrastruktur muss höchsten Anforderungen gerecht werden, denn Bürger*innen müssen darauf vertrauen können, dass ihre zum Teil überaus sensiblen Daten in sicherer Obhut sind. Open Source ermöglicht eine umfassende Kontrolle der Sicherheitsstandards durch Aufsichtsbehörden, das BSI, private Unternehmen oder Forschungsinstitute und bietet auch außenstehenden Expert*innen die Möglichkeit, sich nutzbringend einzubringen und auf mögliche Sicherheitslücken hinzuweisen.
Daneben sehe ich große wirtschaftliche Chancen für unser Land, das wir in dieser Koalition ja gerade auch als Standort für Digitalwirtschaft und -technologie nach vorn bringen wollen. Open Source ist ein echter Innovationstreiber. Wenn das Land Software entwickeln lässt, sollen auch regionale Unternehmen den Code studieren können. Sie können ihn dann nicht nur für sich selbst verwenden, sondern gerade auch weiterentwickeln – und daraus individuell maßgeschneiderte Angebote fertigen. Eine für Flensburg entwickelte Lösung für ein digitales Bürgeramt kann, wenn sie gut angenommen wird, auch für andere Kommunen in Schleswig-Holstein oder andere Bundesländer interessant sein, die aber eventuell leicht andere Bedürfnisse haben. Der offene Code ermöglicht eine leichte Portierbarkeit einer Best-Practice-Lösung zu anderen Behörden.
Diese Idee belebt den Markt und Wettbewerb, denn natürlich wird das Wechseln von Dienstleistungsanbietern leichter, wenn Akteure auf Basis offener Codes mit offenen Schnittstellen individuelle Lösungen entwickeln können, statt vor der Frage zu stehen, ob eine komplette Ersetzung geschlossener Komponenten notwendig ist.
Daneben müssen wir auch wieder stärker auf eine nationale Technologieführerschaft in wichtigen Bereichen der Digitalisierung hinwirken. Regionale Softwarehäuser müssen gestärkt werden, damit sie eine realistische und bessere Alternative zu den heutigen großen, weltweit den Markt dominierenden Konzernen darstellen können. Dies ist – wie bereits erwähnt – auch von Vorteil für die IT-Sicherheit. Ganz am Rande ist es auch eine schöne Sache, wenn wir Unternehmen haben, die hier ihre Steuern bezahlen und nicht wie die großen Konzerne auf die Vorteile internationaler Steueroptimierung zurückgreifen.
In unserem Koalitionsvertrag ist es uns Grünen gelungen, uns mit unseren Koalitionspartnern auf ein sehr weitgehendes Bekenntnis zu Open Source zu einigen. Die dort festgehaltene Verpflichtung zum zunehmenden Einsatz von Open-Source Software in der Landesverwaltung nehme ich sehr ernst und habe darauf gedrängt, sie jetzt in einem aktuellen Landtagsantrag zu bekräftigen und in diesem Bereich Druck zu machen, auch wenn unser zentrales IT-Management ohnehin schon sehr Vieles tut.
Unser im Koalitionsvertrag formuliertes Ziel ist eine vollständige Ablösung von bestehenden Closed-Source-Lösungen durch Open Source. Dies wird nicht kurzfristig und auch nicht in der Nähe dieser Wahlperiode umzusetzen sein, denn eine Softwareumstellung ist aufwändig und kurz- bis mittelfristig gedacht oft nicht wirtschaftlich. Die gängigen Ausschreibungskriterien wie Wirtschaftlichkeit, Bedienbarkeit, Sicherheit sollen dabei in keinster Weise vernachlässigt werden. Doch es ist wichtig, dass wir endlich beginnen, auch langfristiger zu denken.
Deshalb leiten wir jetzt konkrete Schritte in die Wege leiten, die eine vollständige Ablösung irgendwann möglich erscheinen lassen sollen. Andere Länder wie die USA, Schweden, Frankreich, Großbritannien und Italien zeigen wie es geht. Dort wird Open Source massiv unterstützt und in Ausschreibungsbedingungen generell Vorfahrt eingeräumt. In diese Richtung wollen wir mit unserem Antrag auch. In Schleswig-Holstein gehen wir jetzt einen ersten Schritt in Richtung einer offeneren und zukunftsfesteren IT-Landschaft und bieten der europaweiten Initiative von Grünen zur Umstellung auf Open Source Rückenwind.
UPDATE 19.06.2018:
Hier findet Ihr meine Rede während der Plenardebatte in der vergangenen Woche, hier könnt Ihr die gesamte Debatte nachschauen. Zwischenzeitlich haben u.a, das Linux Magazin, heise online und focus über unsere Initiative berichtet.
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