Heute wird im Bundestag ein Gesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) abschließend beraten, dass in den letzten Tagen sehr kontrovers diskutiert wurde. Das „Digitale-Versorgung-Gesetz“ hat eine ganz erhebliche Kritik erfahren, u.a. fordern die Kollleginnen und Kollegen des digitalpolitischen Vereins der SPD, D-64, die eigenen Abgeordneten auf, das Gesetz zu stoppen. An dieser Stelle freuen wir uns, dass wir Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, gewinnen konnten, uns in einem Gastbeitrag die grüne Sicht auf das aktuelle Vorhaben Spahns und unsere hierzu vorgelegten Alternativvorschläge vorzustellen.
Digitale Anwendungen und Produkte nehmen einen immer größeren Teil nahezu aller Bereiche unseres Alltags ein, sei es Kommunikation, Unterhaltung, Mobilität, oder die Arbeitswelt – nicht umsonst wird von der „digitalen Revolution“ gesprochen. Doch ein Bereich scheint in Deutschland überhaupt nicht von der Digitalisierung betroffen zu sein: das Gesundheitswesen. Seit eh und je werden hier Faxe gesendet und Patient*innen mit Ausdrucken von Röntgenbildern auf die Reise zur nächsten Behandlung geschickt. Das ist insofern verwunderlich, als dass digitale Prozesse und Anwendungen großes Potenzial für die Verbesserung nahezu aller Bereiche des Gesundheitswesens haben. Sie verkürzt Wege in ländlichen Räumen, vernetzt Ärzt*innen und andere Gesundheitsberufe und bezieht Patient*innen stärker in die Behandlung ein. Dadurch können Sektorengrenzen überwunden, Transparenz geschaffen und die Qualität der medizinischen Versorgung und Forschung verbessert werden. Das Potenzial der Digitalisierung sollte deshalb genutzt werden, aber dabei informationelle Selbstbestimmung und bestmöglicher Datenschutz nicht als Hindernisse, sondern Grundlage für Akzeptanz und Vertrauen im Umgang mit Gesundheitsdaten verstanden werden. Denn den Chancen der Digitalisierung stehen auch Risiken gegenüber, die nicht außer Acht gelassen werden sollten.
Potenzial der Digitalisierung wird nicht genutzt
Bislang liegt das Potenzial allerdings weitgehend brach. Lange Zeit wurden die nötigen gesetzlichen Weichenstellungen verschleppt, wodurch es keinen klaren Rahmen gibt, in dem sich die Digitalisierung entfalten könnte. Inzwischen scheint Gesundheitsminister Spahn zu dämmern, wie groß der Nachholbedarf ist. Doch sein Ansatz zielt nicht darauf ab, sinnvolle digitale Lösungen zu ermöglichen und mit der Digitalisierung eine Verbesserung des Status quo zu erreichen. Für ihn scheint es darum zu gehen, so schnell wie möglich so viel wie möglich zu digitalisieren. Damit werden aber nur Schaufensterregelungen geschaffen, die keinen echten Nutzen haben. Um die Chancen der Digitalisierung Realität werden zu lassen, brauchen wir eine Politik, die der Digitalisierung eine Richtung gibt – es darf nicht einfach nur „digitalisiert“ werden, es müssen mit Hilfe der Digitalisierung zentrale gesundheits- und pflegepolitische Probleme gelöst werden.
Im September haben wir einen Antrag mit dem Titel „Der Digitalisierung eine Richtung geben und sie im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer vorantreiben“ (pdf) in den Bundestag eingebracht, der beschreibt, wie eine solche Digitalisierung für das Gesundheitswesen gestaltet werden könnte. Der Mittelpunkt einer gelungenen Digitalisierung ist eine Strategie, die konkrete Ziele, Maßnahmen, Zeitpläne und Verantwortlichkeiten vorsieht. Eine solche Zielvorstellung klingt wie eine Selbstverständlichkeit allen politischen Handels, in Deutschland existiert sie aber bis heute nicht. Spahn gleicht bei der Digitalisierung einem Koch, der ohne Rezept Zutaten in den Topf wirft, aber keine Vorstellung davon hat, was er überhaupt kochen will. Doch der bloße Wunsch nach einem schmackhaften Ergebnis reicht nicht aus, um Erfolg zu haben.
Nutzen sicherstellen, digitale Kluft schließen und Standards setzen
Eine gelungene Strategie zur Digitalisierung für das Gesundheitswesen wird regelmäßig aktualisiert und stellt die Interessen der Patient*innen in den Vordergrund, denn um sie geht es ja im Gesundheitswesen. Sie haben aber noch viel zu wenige Möglichkeiten der Mitbestimmung, bspw. bei der Ausgestaltung der Funktionen der elektronischen Patientenakte (ePA). Die völlig unzureichende Ausgestaltung des Berechtigungsmanagements in der ePA zeigt, dass Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung noch immer stiefmütterlich behandelt werden. Doch ohne Mitbestimmung und Datenschutz leidet das Vertrauen der Patient*innen und dadurch auch die Akzeptanz.
Zusätzlich braucht es die technischen Voraussetzungen, damit die Digitalisierung ihren Nutzen entfalten kann. Denn ohne schnelles Internet in Arztpraxen, Krankenhäusern und Versorgungszentren ist Telemedizin schlicht und einfach nicht möglich. Wenn wir die digitale Kluft zwischen Stadt und Land, Arm und Reich, aber auch Jung und Alt überwinden und die Potenziale der Digitalisierung in der Medizin jedem Teil der Bevölkerung zugänglich machen wollen, müssen wir deshalb dringend in den Breitbandausbau investieren. Zum notwendigen technischen Rahmen gehören auch gemeinsame Standards, die den Austausch von Daten zwischen verschiedenen Systemen ermöglichen. Wir wollen eine staatliche Institution beauftragen, etablierte internationale Standards für Deutschland anzupassen und sie hier zu verbreiten. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass sinnvolle und nutzenbringende Lösungen aus anderen Ländern auf den deutschen Markt gebracht werden können.
Wir sollten uns also endlich überlegen, wie das Potenzial der Digitalisierung genutzt werden kann, um die Situation der Patient*innen und Pflegebedürftigen zu verbessern und gleichzeitig Raum für ein modernes Gesundheitssystem geschaffen wird, das Innovationen verantwortungsvoll zulässt und sich nicht vor der Zukunft fürchten muss.
Die heutige Plenardebatte wird gegen ca. 15:30 Uhr stattfinden. Sie kann auf den Seiten des Bundestags im Livestream verfolgt werden.
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