Auf einem verfassungsrechtlich höchst fragwürdigem Weg hat sich die schwarz-gelbe Bundesregierung am Anfang der Legislatur darauf verständig, ein ordnungsgemäß im Bundestag verabschiedetes, vom Bundespräsidenten unterschriebenes und im Bundesgesetzblatt veröffentlichtes Gesetz, von dessen Sinnhaftigkeit man inzwischen nicht mehr überzeugt ist, einfach nicht anzuwenden. Das ist ein in der Geschichte der Bundesrepublik so wohl einmaligen Vorgang, der von namhaften Verfassungsrechtlern als mit unserer Verfassung nicht zu vereinbaren, kritisiert wurde.

Anstatt das Gesetz einfach auf normalem parlamentarischem Wege „zurückzuholen“, d.h. einfach ein neues – geändertes – Gesetz zu verabschieden, aus dem die Passagen, die die Einführung von sich mittlerweile als falsch erwiesenen Instrumenten regeln, getilgt sind, hat es die schwarz-gelbe Bundesregierung, nachdem man sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt hatte, vorgezogen, das Gesetz zunächst für ein Jahr auszusetzen und zu prüfen, ob eine effektive Strafverfolgung bezüglich der Darstellung von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen im Internet nicht auch ohne das heftig kritisierte Instrument der Netzsperren, zu erreichen oder womöglich sogar noch effektiver ist.

In einem – zwischen den einzelnen Ressorts, als dem Innen- und dem Bundesjustizministerium abgestimmten – Ministererlass vom den 17. Februar 2010 an das BKA heißt es:

„Die Bundesregierung beabsichtigt eine Gesetzesinitiative zur Löschung kinderpornographischer Inhalte im Internet. Bis zum Inkrafttreten dieser Regelung wird sich die Bundesregierung auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes ausschließlich und intensiv für die Löschung derartiger Seiten einsetzen, Zugangssperren aber nicht vornehmen. Die damit gemachten Erfahrungen sollen in die Gesetzesinitiative einfließen.“

In dem Erlass wird das BKA aufgefordert, nicht nur in dem Gesetz ursprünglich vorgesehenen Sperrlisten zur Errichtung von Sperren nun doch nicht zu führen, sondern kurzerhand die mit den Providern bereits geschlossenen Verträge bezüglich der Sperrung von Seiten aufzukündigen.

Statt zu Sperren wurde das BKA per Erlass dazu angehalten, diejenigen Staaten,  „in welchen die identifizierten kinderpornographischen Inhalte physikalisch vorgehalten werden“ zu kontaktieren und „nachdrücklich“ um Löschung der betreffenden Inhalte und eine entsprechende Rückmeldung zu bitten. Des Weiteren wurde dazu aufgefordert, entsprechende Seiten zukünftig auch den Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft wie INHOPE zu melden und auch diese aufzufordern, eine Rückmeldung zu den „weiteren auf die Benachrichtigung hin erfolgten Schritten und insbesondere zu Erkenntnissen in Bezug auf die Löschung des inkriminierten Inhalts“ zu geben.

Um den Erfolg der Löschung nachvollziehen zu können, wurde das BKA darüber hinaus angehalten, regelmäßig über die Erfolge bei der Löschung von Seiten mit betreffenden Inhalten zu berichten und hierfür eine monatliche Statistik zu erstellen. Diese montalichen Statistiken sollten folgende Punkte beinhalten:

  • die Zahl der im Vormonat getätigten Unterrichtungen anderer Staaten
  • eine Auflistung der betroffenen Staaten (wie viele Fälle pro Staat im Monat)
  • die Zahl der erfolgten Rückmeldungen
  • der Inhalt der Rückmeldungen und Auskunft darüber, in wie vielen Fällen innerhalb welcher Frist eine Löschung geschah
  • eine Übersicht der BKA-seitig ermittelte Erkenntnisse über den weiteren Verbleib des betreffenden Materials, welche dem betroffenen Staat gemeldet wurde
  • die Zahl der monatlichen Unterrichtungen der Selbstregulierungsstellen sowie die Zahl der Rückmeldungen hierauf und deren Inhalt

Soweit sich aus diesen Statistiken Erkenntnisse ergeben würden, die ergäben, dass „in einer signifikanten Vielzahl von Fällen entweder keine Rückmeldung des benachrichtigten Staates erfolgt oder erkannt wird, dass trotz Meldung keine Maßnahmen zur Löschung der Inhalte unternommen wurden bzw. diese nicht zum Erfolg geführt haben“ wurde das BKA angehalten, über die erfolgten Mitteilungen und den jeweils weiteren Verlauf des Verfahren zu berichten. In diesen Fällen, so der Erlass, beabsichtige man, das Bundesjustizministerium und ggf. auch das Auswärtige Amt um Unterstützung zu bitten.

Wir fassen zusammen: Seit Mitte Februar führt das BKA also entsprechende Statistiken, welche den betreffenden Ministerien, zumindest dem Bundesinnenministerium, monatlich vorgelegt werden. Dass heißt, sowohl dem BKA als auch den beteiligten Ministerien müssen fundierte Erkenntnisse darüber vorliegen, wie erfolgreich das Löschen von Inhalten mit derartigen Inhalten tatsächlich ist.

Obwohl sich nicht nur die Opposition, sondern auch die Vertreter der Bürgerrechtsbewegung gerne ein ebenfalls fundiertes Bild verschafft hätten, wurden die BKA-Listen bisher nicht öffentlich gemacht. Von Seiten des BKA, aber auch von Seiten des Bundesinnenministeriums wurde lediglich immer wieder, gerade im Zuge der Diskussionen um die möglichst rasche Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, immer wieder davon gesprochen, dass es ohne eine solche Speicherung eklatante „Sicherheitslücken“ gäbe. Als Beispiel für derartige Sicherheitslücken wurde auch immer wieder das Beispiel „Kinderpornographie“ (unsere Sprachregelung ist mittlerweile eine andere) ins Feld geführt, wobei auch in diesem Zusammenhang keine fundierte empirische Datenlage, nach der sich ein tatsächliches Bild der Problematik erstellen ließe, zur Verfügung gestellt.

Wenn überhaupt, wurden in den letzten Monaten Auszüge der vom BKA erstellten Statistiken zur Verfügung gestellt. So auch im Zuge der Sitzung des Unterausschusses Neue Medien vom 08.07.2010, in der die beiden zuständigen Parlamentarischen Staatssekretäre, Dr. Ole Schröder(Bundesinnenministerim) und Dr. Max Stadler (Bundesjustizministerium) einen so genannten Sachstandsbericht bezüglich der derzeitigen Lösch-Aktivitäten abgegeben haben.

Auch wenn die Koalition, indem sie die nach wie vor anhaltende Uneinigkeit bezüglich des weiteren Vorgehens in der Sache offen vor den Ausschussmitgliedern austrugen und im Grunde – beide im Namen der Bundesregierung – konträre Ansichten vortrugen, hatte die Sitzung auch etwas Gutes, bot sie den von den Ausführungen enttäuschten Mitgliedern doch die Gelegenheit, die beiden Staatssekretäre zu bitten, uns die monatlichen Berichte zukommen zu lassen.

Da wir bis dato noch keine Rückmeldung aus den beiden Ministerien bekommen haben und die Anhörung im Unterausschuss Neue Medien zum Thema immer Näher rückt, erlaubte ich mir die beiden Staatssekretäre in der vergangenen Woche noch einmal an ihre gemachte Zusage, zu erinnern.

Am Anfang dieser Woche bekamen meine Mitarbeiter dann einen Anruf aus einem der beiden Ministerien, in dem man um wenige Tage Aufschub bat. Gleichzeitig versicherte man uns, dass wir die angefragten Statistiken am 21. Oktober 2010, also heute, bekommen sollen. Diese würden nicht nur uns, sondern allen Mitgliedern des Unterausschusses Neue Medien zur Verfügung gestellt werden.

Nun warten wir also gespannt auf das versprochene Zahlenwerk, von dem wir uns endlich Aufschluss über die Erfolge bzw. Misserfolge der vergangenen Monat in Sachen Löschung von Inhalten, die den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen im Netz dokumentieren, erhoffen. Auf Grundlage dieser fundierten Datenlage wird es uns endlich möglich sein, bisherige Argumentationen nachvollziehen oder wiederlegen zu können und uns von dem Ausmaß des Problems endlich ein eigenes Bild machen zu können.

Dies ist umso wichtiger als das durch eine entsprechende Richtlinie der Europäischen Kommission die Einführung von Netzsperren über den Umweg Europa droht, d.h. alle Verbündete, die gegen eine unnütze und letztlich kontraproduktive Placebo-Politik und für eine tatsächliche, effektives Strafverfolgung, die das Ziel verfolgt, sexuellen Missbrauch an der Wurzel zu bekämpfen, sich neu aufstellen und zusammen Debatten führen müssen, die wir alle für längst beendet geglaubt hatten. Für das Aufzeigen der Notwendigkeit einer Effektivierung der tatsächlichen Strafverfolgung kann das BKA-Zahlenwerk sicherlich einen wichtigen Beitrag leisten.

UPDATE:

Soeben haben wir als anfragendes Büro eine erste – wenig aussagekräftige – Evaluationsstatistik der bisherigen BKA-Berichte erhalten. Morgen werden uns dann die ausführlichen Berichte auf postalischem Wege zugeleitet.

In den nächsten Tagen werden wir eine genaue Bewertung der Statistiken vornehmen und die Ergebnisse dieser Bewertung auch in die Anhörung am kommenden Montag einfließen lassen. Wir stellen die Statistik hier bereits vorab bereit und damit sich jede/r ein eigenes Bild machen kann:

Zusammenfassung der Evaluationsstatistik (Excel-Tabelle)

UPDATE II: Das BKA hat nun endlich die monatlichen Statistiken geschickt. Wir stellen auch diese hier wieder zur Verfügung, so dass sich jede/r ein eigenes Bild von den bisherigen Löschbemühungen der schwarz-gelben Bundesregierung machen kann. Zu einer ersten Bewertung und Diskussion des vorgelegten Zahlenwerkes wird es dann ja in der Anhörung am Montag kommen.

monatliche Evaluierungsberichte BKA (pdf-Datei)

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