Wir sind immer, sofern irgendwie machbar, bemüht, über die wichtigsten netzpolitischen Baustellen im Parlament zu berichten. Dies gelingt uns derzeit aufgrund einer Hülle an verschiedenen Themen leider zugegebenermaßen nur bedingt. Eben haben wir über die bisher stattgefundenen Fachgespräche des Ausschusses „Digitale Agenda“ im ersten Halbjahr 2015 berichtet und einen Ausblick auf die Fachgespräche im 2. Halbjahr 2015 gegeben. Genauso haben wir eben bereits über die heutige, reguläre Sitzung des Ausschusses und unseren Antrag zur Netzneutralität berichtet. Im Anschluss an die reguläre Sitzung findet am heutigen 30. September 2015 das erste der drei Fachgespräche im 2. Halbjahr 2015 statt. Das Thema lautet „Digitalisierung der Arbeit“. Hier die Tagesordnung als pdf.

Fragenkatalog:
Im Vorfeld der Anhörung haben sich die Fraktionen auf einen gemeinsamen Fragenkatalog (pdf) verständigt. Die Sachverständigen wurden gebeten, im Vorfeld und während der Sitzung auf die ihnen zugesandten Fragen einzugehen.

Fragenkatalog für das Fachgespräch zum Thema Digitale Arbeit
des Ausschusses Digitale Agenda am 30. September 2015

  1. Im Zuge der Digitalisierung unserer Arbeitswelt entstehen neue Branchen und neue In welchen Bereichen werden wie viele neue Arbeitsfelder, Arbeitsformen, Jobs und Branchen geschaffen? Inwieweit werden Branchen, die starken Veränderungen durch Digitalisierung ausgesetzt sind oder gänzlich verschwinden, durch neue Branchen ersetzt und wie verhalten sich Arbeitsplatzzahlen in dieser Hinsicht? Osborne und Frey kommen nach ihren Studien auf eine potentielle Wegfallquote von weltweit 18 Millionen Arbeitsplätzen. In welchen Dienstleistungsbereichen gehen Sie von einem wachsenden Bedarf an Arbeitskräften aus und welche Anstiegszahlen prognostizieren Sie in welchen Zeiträumen? Was sind Ihre Erfahrungen/Einschätzungen für den deutschen Arbeitsmarkt? Kann man durch die Digitalisierung dem Fachkräftemangel entgegenwirken? Bildet Deutschland auch aufgrund des dominierenden Mittelstandes eine Ausnahme bzw. werden die Entwicklungen durch die Digitalisierung dadurch hier anders verlaufen, als beispielsweise in den USA oder China?
  2. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Arbeitswelten fallen immer wieder die Begriffe „Cloud Working“ oder „Clickworking“, wonach die Arbeit dorthin flexibel verteilt wird, wo auch unternehmerisch die geringsten Kosten entstehen und gleichzeitig wird auch eine Form der Flexibilisierung der Arbeit und vor allem auch der Arbeitszeit möglich. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können also in der Theorie davon profitieren. In bestimmten Branchen, gerade in der Kreativwirtschaft, ist diese Form sicherlich praktikabel. Funktioniert „Cloud Working“ jedoch auch bei industriellen Arbeitsprozessen? Wie wird also in Zukunft die Struktur der Arbeitnehmer in einem Unternehmen, das produziert und exportiert, aussehen? Wird das „Cloud Working“ künftig in allen Branchen vorherrschen und wird durch „Cloud-Working“ die Globalisierung der Arbeitswelt vorangetrieben? Wie schätzen Sie die ökologischen Potenziale ein?
  3. Mit der Digitalisierung der Arbeit gehen neue Flexibilisierungsmöglichkeiten einher, die zu einer Steigerung der Freiheitsgrade führen können (etwa Work-Life­Balance, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, etc.). Wie können diese Potenziale gehoben werden? Wie bewerten Sie den Vorschlag, einen Rechtsanspruch auf orts- und zeitflexible Arbeitsanteile zu schaffen (früher Telearbeit)? Wie könnte ein solcher Vorschlag konkret ausgestaltet werden?
  4. Die Digitalisierung der Arbeit kann zu neuen Entgrenzungen, Belastungen oder Überforderungen führen, etwa durch die Immer-und-Überall-Erreichbarkeit. Wie bewerten Sie die Vorschläge zu einem Recht auf Nichterreichbarkeit oder Nicht-Reaktion? Wie konkret könnte ein solches Recht ausgestaltet sein? Wie bewerten Sie technische Vorschläge, etwa die zwangsweise Mailserverabschaltung?
  5. Die KMU in Deutschland boten 2012 60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten einen Arbeitsplatz. Werden auch in Zukunft die kleinen und mittelständischen Unternehmen die überwiegende Zahl der Arbeits- und Ausbildungsplätze bereitstellen? Wie wird künftig die Unternehmensstruktur aussehen? Wird es tatsächlich so sein, dass die Zahl der Kleinunternehmen und Start-Ups ansteigt und durch Zusammenschlüsse so genannte „Megakonzerne“ entstehen, während der Mittelstand mehr und mehr verschwindet? Wie ist hier der Mittelstand – auch im Vergleich zu anderen Ländern – aufgestellt?
  6. Wie steht es mit einer Anpassung der täglichen Arbeitszeit an die EU-Arbeitszeitrichtlinie? In Deutschland gilt die 8-Stunden Obergrenze mit der Möglichkeit zur Ausweitung auf 10 Stunden täglich, wenn dies innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten wieder ausgeglichen wird. Die EU-Richtlinie kennt keine tägliche Obergrenze, sondern nur die Obergrenze von 48 Stunden pro Woche. Durch die Digitalisierung wird auch von Seiten der Wirtschaft eine Flexibilisierung der Arbeitszeit gefordert. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in einer Anpassung der Höchstarbeitszeiten?
  7. Für die Digitalisierung der Arbeitswelt sind die Überwindung von Grenzen und die Schaffung gemeinsamer Standards unverzichtbar. Mit Blick auf die Digitalisierung herrschen in Europa unterschiedliche Standards und Rahmenbedingungen, gerade was den Verbraucherschutz, das Urheberrecht, den Datenschutz (insbesondere auch beim Beschäftigtendatenschutz) oder auch das Arbeitsrecht betrifft, vor. Wo liegen diesbezüglich die Potenziale und die Schwächen, insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts? Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Vorschläge der Datenschutz-Grundverordnung? Sehen Sie die Notwendigkeit, dass die Mitgliedsstaaten darüber hinausgehende Vorgaben zur Wahrung des Beschäftigtendatenschutzes machen können?
  8. Die Strukturen von Arbeitsverhältnissen werden sich dauerhaft verändern. Schon heute gibt es Plattformen, die Arbeitskräfte und Dienstleistungen vermitteln. Unternehmen können aus einer Fülle das beste Angebot auswählen und gleichzeitig die eigenen Arbeitsprozesse optimieren und selbstverständlich auch Kosten sparen – die bei Festanstellungen wesentlich höher ausfallen würden. Gerade mittelständische Unternehmen sind darauf angewiesen, dass die Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen/Produkt etc. identifizieren. Macht es künftig Sinn, sich die Arbeitskräfte nur nach Bedarf und auf Abruf zu besorgen? Es wird auch immer wieder davon gesprochen, dass sich Arbeitgeber künftig die Arbeitnehmer nach Auswertung der Bewerberdaten nach einem bestimmten Algorithmus aussuchen können. Werden solche Möglichkeiten in den Personalabteilungen von Unternehmen und speziell größeren Konzernen tatsächlich diskutiert und wo liegen die ethisch-moralischen Grenzen?
  9. Wie bewerten Sie die Auswirkungen von Crowdsourcing und/oder der Plattformökonomie in Hinsicht auf bestehende Standards von Arbeit und deren Bezahlung? Bedarf es eines Mindesthonorars für Crowdworker, vergleichbar dem Mindestlohn für Arbeitnehmer? Ist eine Fair-Work-Kommission sinnvoll, mit der Arbeitszeit- und Honorarbedingungen überprüft werden können? Welche anderen Möglichkeiten sehen Sie, um faire Arbeitsbedingungen und -entgelte zu schaffen? Wie können neue Formen der (arbeitsrechtlichen) Selbstorganisation aussehen und wie anschlussfähig sind diese zu Gewerkschaften bzw. diese zu neuen Arbeitsformen?
  10. Es wird immer wieder davon gesprochen, dass die Digitalisierung bei vielen Unternehmen noch nicht angekommen ist. Konkret gibt es jedoch bereits heute digitale Angebote, die die Arbeitsabläufe und die Organisation von Personal Gibt es Information darüber, welche Systeme im Bereich der Personalentwicklung genutzt werden und ob und welche Standards sich, z.B. für die Organisation des Schichtbetriebs, durchsetzen werden?
  11. Welche arbeitsrechtlichen Regelungen müssen verändert werden? Wie erfolgt die soziale Sicherung der Arbeitnehmer, wenn sie ständig von Job zu Job und verschiedenen Formen der Beschäftigung wechseln und wie kann die Transparenz bei der Gehaltsabrechnung gewährleistet werden? Wie können die prekarisierungsgefährdeten (Solo-)Selbständigen besser sozial abgesichert werden? Ist eine GründerInnenkasse eine mögliche Erweiterung des Solidarprinzips?
  12. Wie müssen konkret die Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Weiterbildungswerkzeuge weiterentwickelt, ausgebaut und gefördert werden, um die digitale Selbständigkeit der Beschäftigten zu befördern? Und wie müssen sich in diesem Zusammenhang die Rolle bzw. Aufgaben der Arbeitsagentur angepasst werden? Sind Formen der Bildungsteilzeit für von Digitalisierung betroffenen Arbeitnehmer denkbar und einführbar, um diese für neue Tätigkeiten zu qualifizieren?
  13. Wenn nicht nur von Seiten der Arbeitgeber, sondern insbesondere auch von Seiten der Arbeitnehmer der Wunsch nach mehr Flexibilität besteht, so stellt sich die Frage, wie künftig Beschäftigungsverhältnisse (auch das Modell Leih- und Zeitarbeit und Werkvertrag) umstrukturiert an diesen Wandel angepasst werden müssen. Gibt es hierzu bereits Beispiele aus der Praxis? Welche Rolle spielen die Gewerkschaften zukünftig, wenn die Anzahl der Freiberufler steigt? Wie können die Mitbestimmungsrechte auch in den neuen Arbeitsmodellen gesichert werden und welche Maßnahmen sind darüber hinaus notwendig, um sicherzustellen, dass digitale Arbeit auch gute Arbeit ist?

Eingegangene Stellungnahmen:
Im Vorfeld der Anhörung wurden die geladenen Sachverständigen gebeten, schriftliche Stellungnahmen abzugeben. An dieser Stelle dokumentieren wir die bisher eingegangenen Stellungnahmen.

Stream und Anmeldung:
Die Fachgespräche werden auf www.bundestag.de gestreamt. Interessierte können sich im Vorfeld beim Ausschusssekretariat anmelden. Wir sind immer bemüht, vor den jeweiligen Anhörungen detailliert über die geladenen Sachverständigen, den Fragenkatalog und die eingegangenen Stellungnahmen sowie die Modalitäten der Anmeldung berichten. Die Videos der Anhörungen stellen wir nachträglich auch immer bei gruen-digital ein.

Nächste Fachgespräche:
Die nächsten Fachgespräche finden dann am 11. Nov. 2015 (Digitalisierung der Finanzwirtschaft) und am 16. Dez. 2015 (Effektivierung der Kontrolle des Exports von Überwachungs- & Spionagesoftware auf deutscher und europäischer Ebene und öffentliche Auftragsvergabe) statt.

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