Es ist Cebit-Zeit und damit auch die Stunde derjenigen, die mit vermeintlich neuem Wein in alten netzpolitischen Schläuchen hausieren gehen, um billige digitalpolitische Punkte zu machen. Während in den letzten Jahren immer irgend eine schnell zusammengezimmerte, schmalspurige netzpolitisches Initiative in der Cebit-Woche in letzter Sekunde auf die Tagesordnung des Plenums des Bundestages gehievt wurde, ist dieses Jahr folgendes zu beobachten:
Während die Kanzlerin schicke Fotos produziert, wird die Wirtschaft, obwohl man selbst netzpolitisch seit Jahren nichts auf die Reihe bekommt, ufgefordert, nun endlich mal einen Zahn zuzulegen. Gleichzeitig probiert sich Wirtschaftsminister Gabriel mit einer Initiative zu profilieren, die zwar einen schicken Namen verpasst bekam, aber kaum Neues enthält.
Erneut werden, wie schon in den Jahren zuvor, netzpolitische Ballons gestartet, die kaum mehr als heiße Luft enthalten. Es werden digitalpolitische Pakete in Schaufenster gelegt, die hübsch verpackt, aber ziemlich inhaltsleer sind. Es werden Initiativen ersonnen und medial verkauft, die gut klingen, aber wenig durchdacht und noch nicht einmal mit dem Koalitionspartner abgestimmt sind. Eine solche Initiative ist auch die Idee Sigmar Gabriels, einen „digitalen Thinktank“, eine „Digitalagentur“ zu gründen.
Diese Idee ist alles andere als neu. Sigmar Gabriel geht mit ihr seit einigen Monaten schwanger. Sie dient auch dazu zu kaschieren, dass, wenn es um die Regulierung marktmächtiger Anbieter geht, man bislang wenig auf die Beine gestellt hat. Darauf haben wir zuletzt anlässlich der Eröffnung eines Verfahrens wegen Verdachts auf Marktmachtmissbrauch gegen Facebook durch das Bundeskartellamt aufmerksam gemacht. Die Bundesregierung duckt sich seit Jahren weg. Sie hat stets auf Selbstregulierung gesetzt und den Anbietern so signalisiert, dass sie nichts zu befürchten haben.
Wir erinnern uns: Sigmar Gabriel kündigte auf dem Höhepunkt des Europawahlkampfes an, Unternehmen wie Google notfalls zerschlagen zu wollen – um wenige Wochen später zu erklären, er sehe keinerlei Handlungsbedarf. Nun sieht man diesen offenbar doch. Zu Recht: Der Handlungsbedarf ist seit Jahren hoch. Wir brauchen dringend neue, moderne Wettbewerbsregeln.
Immer größere Daten-Sammlungen dürfen nicht erst bei Missbrauchsverfahren eine Rolle spielen. Sie muss auch bei der Analyse von Marktmacht berücksichtigt werden und in die Fusionskontrolle einfließen. Wir haben immer wieder konkrete Vorschläge hierzu unterbreitet. Hier findet Ihr unsere Kleine Anfrage zur Marktmacht global agierender IT-Unternehmen (pdf), hier einige Infos zu dem von uns durchgeführten Fachgespräch „Marktmacht, Wettbewerb und Vielfalt in der digitalen Wirtschaft“ hier unser Positionspapier „Vielfalt und fairer Wettbewerb statt Macht der Monopole“ (pdf).
Während andere ihre Arbeit gemacht und konkrete Vorschläge erarbeitet haben, hat die Bundesregierung gepennt. Dies versucht man nun zu kaschieren und tut so als sei die Idee der Gründung einer Digitalagentur gänzlich neu. Das ist sie aber nicht. Ganz im Gegenteil: Die Digitalagentur war längst Gegenstand parlamentarischer Beratungen, beispielsweise im Ausschuss „Digitale Agenda“, aber auch von parlamentarischen Fragen, die ich hierzu gestellt habe, die erste Mitte Januar. Sehr schnell wurde klar: Auch hier handelt es sich um kaum mehr als einen weiteren netzpolitischen Ballon, eine Idee, die zu verfolgen vielleicht gar nicht uninteressant wäre, die aber bislang eher den Versuch darstellt, rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl koalitionsintern netzpolitische Claims abzustecken, denn eine seriöse Digital- und Regulierungspolitik zu machen.
Der Vorschlag der Gründung einer „Digitalagentur“ ist bislang nicht nur wenig durchdacht. Er ist auch koalitionsintern nicht abgestimmt, der selbst ernannte „Digitalminister“ Dobrindt hat längst eine Absage erteilt. Die Bundesregierung hat dies auch längst eingeräumt. So antwortet sie auf eine entsprechende Frage in einer Kleinen Anfrage zu den „Chancen der Nutzung von Open Data“ (pdf) Anfang Februar:
„Eine erforderliche Meinungsbildung zur Errichtung einer Digitalagentur und zu möglichen Inhalten hat zwischen den Ressorts noch nicht stattgefunden.“
Insgesamt sind bezüglich der neuen „Digitalagentur“ derzeit bei Weitem noch immer mehr Fragen offen als beantwortet. Dennoch geht der Wirtschaftsminister weiter damit hausieren. Weil wird es leid waren, zuzuschauen, wie die Bundesregierung zwar immer und immer wieder ankündigt, aber wenig Substanzielles liefert, haben wir in einer Kleinen Anfrage „Planungen der Bundesregierung zur Gründung einer Digitalagentur“ (pdf) Ende Januar die Bundesregierung um Auskunft bezüglich der zahlreichen, weiterhin offenen Fragen gebeten. Unter anderem wollten wir wissen, wie die Agentur in das bestehende Aufsichtssystem integriert werden soll. Auf den Umstand, dass dies völlig unklar sei, hatte die Datenschutzbeauftragte zurecht verwiesen. An dieser Stelle dokumentieren wir die Antworten der Bundesregierung auf unsere Fragen (pdf), damit sich jedeR ein eigenes Bild machen kann, wie seriös das promoten der Idee zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich ist.
Die Antworten der Bundesregierung sind, um es kurz zu machen, ein schlechter Witz. So antwortet die Bundesregierung auf unsere insgesamt 28 Fragen gar nicht. Bezüglich aller anderen Punkte sei die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. Wörtlich heißt es erneut:
„Wann diese Prüfung abgeschlossen sein wird und mit welchem Ergebnis, kann heute noch nicht gesagt werden. Eine hierzu erforderliche Meinungsbildung zwischen den Ressorts hat noch nicht stattgefunden.“
Gespräche mit bislang mit Regulierungsaufgaben befassten Behörden haben noch nicht stattgefunden (siehe Antwort Frage 2). Auch in den Zuständigkeitsbereich welches Ministeriums die neu zu schaffende „Digitalagentur“ fallen wird, weiß man heute noch nicht (s. Antwort Frage 3). Die These, dass es sich bislang um kaum mehr als um das Abstecken netzpolitischer Claims durch die SPD geführten Ministerien handelt, wird durch die Antworten auf meine Fragen 4 bis 6 bestätigt.
„Es handelt sich um eine rein interne Vorprüfung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz.“
Der eigens für netzpolitische Fragestellungen innerhalb der Bundesregierung eingerichtete „Steuerungskreis zur Koordinierung der Digitalen Agenda“ war nicht eingebunden (s. Antwort Frage 7). Auch das Bundeskabinett war bislang nicht mit der Thematik befasst (s. Antwort Frage 8).
Sämtliche Fragen zu den Aufgaben und Befugnissen der neu zu schaffenden Agentur, zu deren Mittelausstattung, zur Kompetenzverteilung und Zusammenarbeit mit bestehenden Strukturen etc. (Fragen 9-25) beantwortet die Bundesregierung gar nicht und verweist erneut auf die anhaltende Prüfung der Ministerien. Dies gilt sogar für Fragen, die sich auf längst vorgelegte Papiere und Medienberichte hierzu beziehen. Hier wird deutlich: Während man Medien gegenüber immer wieder (s. exemplarisch hier und hier) Auskunft erteilt, welche Aufgaben und Funktionen die neue „Digitalagentur“ übernehmen soll, hält man es offenbar nicht für nötig, dies dem Parlament mitzuteilen.
Das Antwortverhalten der Bundesregierung ist absolut nicht akzeptabel. Nicht einmal auf die Frage, ob die Bundesregierung die Schaffung einer Digitalagentur noch in dieser Wahlperiode für realistisch erachtet, beantwortet man. Doch unter anderem das hat man vorher immer erklärt: So zitiert die Rheinische Post am 8. Oktober 2015 aus einem Zehn-Punkte-Papier der beiden Ministerien, dass die „Bündelung der behördlichen Zuständigkeiten in Bezug auf die Verbraucherrechte“ und die Schaffung einer Digitalagentur als „Behörde mit starken Aufsichts- und Durchsetzungskompetenzen“, in der die „Aufgaben zur Erhaltung und Förderung von funktionierenden Wettbewerbsstrukturen und der Marktregulierung zusammengefasst“ werden könnten, „noch in dieser Legislaturperiode“ geklärt werde.
Zu alledem, obwohl wir in unseren Fragen explizit auf diese Artikel und die in ihnen gemachten Aussagen verweisen, kein Wort. Genauso wenig erfahren wir als Parlamentarier, wer mit der Prüfung all dieser Fragen beauftragt ist. Auch hat die Bundesregierung entweder keine Lust uns Auskunft bezüglich der Frage zu erteilen, wie der konkrete Zeitplan für die Prüfung, Planung und Schaffung einer Digitalagentur aussieht und wie weit die Prüfung derzeit ist, oder sie hat selbst einfach keinerlei Plan.
Gleichzeitig lesen wir heute wieder von einer neuen „Strategie“ Gabriels, in der auch Fragen zur „Digitalagentur“ durchaus beantwortet werden. Eben jene Fragen, die man gegenüber dem Parlament scheinbar nicht gewillt ist, zu beantworten. So lesen wir, dass die „Digitalagentur“ als „modernes Kompetenzzentrum“ ins Leben gerufen werden und die Bundesregierung sowohl als „Thinktank“ bei der Politikvorbereitung als auch bei der Umsetzung gesetzgeberischer Initiativen unterstützen soll. Als denkbare Aufgaben identifiziert man etwa die Marktbeobachtung zur Digitalisierung, die Information von Verbraucherinnen und Verbrauchern und die Streitschlichtung bei Verbraucherbeschwerden.
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