Gestern fand eine Veranstaltung des Branchenverbandes eco mit dem Titel “Der verwarnte Nutzer – sollen Provider ihre Kunden maßregeln?” statt. Es wurde vor allem die Frage diskutiert, ob Internet-Provider bei Urheberrechtsverletzungen Warnhinweise an ihre Kunden verschicken sollen. Diese Debatte wurde in den letzten Wochen und Monaten intensiv geführt – auch da die FDP-Bundesjustizministerin entsprechende Warnhinweismodelle ablehnt, gleichzeitig aber das ebenfalls von der FDP geführte Bundeswirtschaftsministerium kürzlich eine Studie der Fachhochschule Köln hat erstellen lassen, die sich für ein solches „vorgerichtliches Mitwirkungsmodell“ ausspricht.

Gast der heutigen Veranstaltung des eco ist auch der Parlamentarische Staatssekretär des BMWi, Hans-Joachim Otto, der die Studie als „eine wertvolle Grundlage für die weitere Diskussion in puncto Bekämpfung der Internetpiraterie“ bezeichnet hatte. Während so mancher vor diesem Hintergrund schon die Einladung des Staatssekretärs kritisierte, erfolgte die Einladung durch den eco, der sich – wie wir Grünen – seit Jahren immer wieder klar gegen entsprechende Warnhinweismodelle ausgesprochen hat, offensichtlich nicht ohne Hintergedanken.

So hat der eco, wie auch zeitonline bereits berichtet, ein rund 40-seitiges Gegengutachten in Auftrag gegeben, das von dem renommierten Prof. Hoeren von der Universität Münster erstellt wurde und zu dem Schluss kommt, dass derartige Modelle aus vielfältigen Gründen rechtswidrig seien. Die münsteraner Forscherinnen und Forscher teilen die Einschätzung des im Auftrag des BMWi erstellten Gutachtens, das Warnhinweisen eine Vereinbarkeit mit datenschutz-, europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben bescheinigte, explizit nicht.

Zeitonline zitiert folgenden Satz aus dem Gutachten:

„Gegen das vorgeschlagene Warnhinweismodell bestehen sowohl aus politischer, praktischer, technischer als auch aus rechtlicher Sicht erhebliche Bedenken.“

Die Vereinbarkeit mit EU-Recht, so Hoeren, sei „zweifelhaft“, das Modell aus datenschutzrechtlicher Sicht „äußerst bedenklich“. Wie auch der Branchenverbande sehen die Verfasser der Studie darüber hinaus eine ganze Reihe von weiteren Kritikpunkten, vor allem hinsichtlich der „Privatisierung der Rechtsdurchsetzung“, was kürzlich erst sowohl vom AK Vorrat als auch von der Digitalen Gesellschaft (pdf) kritisiert wurde.

Das Modell führe „im Kern dazu, dass Private Befugnisse erhielten, die eigentlich (Strafverfolgungs-)Behörden oder den Gerichten vorbehalten“ sein sollten. Eine rechtliche Einzelfallprüfung darüber, „ob tatsächlich ein Verstoß gegen geltendes Recht vorliegt, können die Zugangsanbieter schlechterdings nicht leisten“. Den Nutzerinnen und Nutzer stünden darüber hinaus keine außergerichtlichen Instrumentarien zur Verfügung, mit denen sie sich gegen unberechtigte Vorwürfe wehren könnten. Das sei hinsichtlich der Unschuldsvermutung „bedenklich“.

Darüber hinaus kritisiert das Gutachten, dass aufgrund einer Mehrfachbenutzung von Internetanschlüssen und vielfach existierender Sicherheitslücken eine Zuordnung von vermeintlichen Verstößen zu vermeintlichen Nutzerinnen und Nutzer gar nicht möglich sei.

Insgesamt lässt die Studie der Münsteraner kein gutes Haar an dem vom BMWi in Auftrag gegeben Gutachten. Ursprünglich wollte Staatssekretär Otto die Vorschläge der BMWI-Studie Mitte März mit den betroffenen Unternehmen diskutieren. Er kündigte an, „noch im ersten Halbjahr 2012“ zu einer Entscheidung kommen zu wollen. Ob nach der Veröffentlichung der Studie an diesem Zeitplan festgehalten wird, oder die heutige Veranstaltung eventuell sogar dazu führt, dass man von Seiten des BMWi die Sinnhaftigkeit entsprechender Vorstöße noch einmal hinterfragt, werden die nächsten Wochen zeigen.

UPDATE vom 2. Mrz 2012:

Das Gutachten von Prof. Hoeren (pdf, 500 KB)  ist ab sofort online auf den Seiten des eco abrufbar.

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