Dr. Frithjof Schmidt ist seit März 2018 als Mitglied der Deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Berichterstatter für das Thema „Democracy hacked? How to respond?“. Bereits im Vovember letzten Jahres hat Frihtjof Schmidt an dieser Stelle in einem Gastbeitrag das Gesamtvorhaben skizziert. Bei unserer sechsten netzpolitischen Soirée hat er einen kurzen Vortrag zur Thematik gehalten und mit uns bei unserem Fachgespräch zu hybriden Bedrohungen unserer Demokratie diskutiert. Am gestrigen Donnerstag, 14.11.2019 fand eine abschließende Anhörung zu dem Bericht statt, der im Januar in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats verabschiedet werden soll. Dem gingen weitere Anhörungen voraus, sowie eine Fact Finding Mission nach Stockholm.
Hass und Hetze im Netz, Falschnachrichten, Veröffentlichungen privater Informationen von Politiker*innen – diese Phänomene nehmen derzeit zu. In fast allen demokratischen Wahlkämpfen der letzten Jahre konnten Versuche intransparenter – auch ausländischer – Einflussnahme nachgewiesen werden. Durch missbräuchliche Nutzung von Social Bots und instransparente Werbung können die Nutzer*innen oft nicht mehr erkennen, welche Informationen vertrauenswürdig sind und wer hinter politischen Kampagnen steckt. Das stellt ein relevantes gesellschaftliches Problem dar. Unsere Demokratie beruht auf dem Grundsatz, dass sich die Bürger*innen unabhängig und frei über Parteien und Politiker*innen informieren können. Die Herausforderung ist, den unabhängigen Willensbildungsprozess aller Bürger*innen sicherzustellen. Es geht um zentrale Weichenstellungen für unsere Demokratie.
In Europa wurde bisher sehr unterschiedlich darauf reagiert. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (kurz NetzDG) in Deutschland wurde im Schnellverfahren in der letzten Legislaturperiode unter dem damaligen Justizminister Heiko Maas durchgeboxt. Dem ging zwar ein Jahr runder Tische, offener Briefe und massiver Kritik voraus. Doch am Ende musste es ganz schnell gehen. Das Gesetz richtet sich gegen illegale Inhalte im Internet und führt gesetzliche Regeln für soziale Netzwerke ein. Es ist gut, dass die Unternehmen in Verantwortung genommen werden und dass es endlich Regelungen zu Bußgeldern bei Verstößen gibt. Die vorgesehenen Verpflichtungen für Unternehmen bergen jedoch in der jetzigen Form die Gefahr des Overblocking: Internetplattformen löschen dann im Zweifel auch legitime Meinungsäußerungen, um sich vor den hohen Strafen zu schützen. Ein Wiederherstellungsrecht bei unrechtmäßig gelöschten Inhalten sieht das Gesetz nicht vor. Zudem fehlen konkrete Strafbestimmungen, ohne die das Gesetz wirkungslos bleibt.
Auch Frankreich hat trotz heftiger Kritik der Opposition ein Gesetzespaket gegen gezielt gestreute Falschinformationen in Wahlkampfzeiten verabschiedet. Das Gesetz ermöglicht es etwa, dass sich Kandidat*innen in den drei Monaten vor Wahlen im Eilverfahren gegen die Verbreitung von Falschinformationen im Internet wehren können. Ein*e Richter*in muss dann innerhalb von 48 Stunden entscheiden, ob eine Nachricht gelöscht werden soll und ob weitere Maßnahmen ergriffen werden. Erfahrungen zeigen, dass es in der Praxis extrem schwierig ist, in so kurzer Zeit diesbezüglich eine valide und seriöse Entscheidung zu treffen.
Schweden hingegen hat sich gegen den Weg neuer gesetzlicher Bestimmungen entschieden. Im Rahmen meiner Berichterstattertätigkeit in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates konnte ich mit verschiedenen Vertreter*innen aus Politik, Forschung und Gesellschaft über den schwedischen Weg sprechen. Die digitale Beeinflussung von demokratischen Entscheidungen ist auch in Schweden ein relativ neues Phänomen, an das sich die Gesellschaft erst langsam anpasst. In meinen Gesprächen wurde deutlich, dass Schwedens Antwort vor allem Bildung ist. So ist die Quellenarbeit und das kritische Hinterfragen von Informationen fester Bestandteil in Schulen, für politische Kandidat*innen gibt es Trainings und auch die breite Öffentlichkeit wird für Desinformation sensibilisiert. Das sollten wir uns europaweit zum Vorbild nehmen und dafür sorgen, dass die Bürger*innen falsche Informationen erkennen und Quellen überprüfen.
Es ist gut, dass jetzt auch die Bundesregierung in ihrem 9-Punkte-Plan zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus eine bessere Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden angekündigt hat. Wenn Plattformen dazu angehalten sind, strafbare Inhalte zu löschen und – laut des neuen 9-Punkte-Plans – auch zurückzuverfolgen, braucht es auf juristischer Seite Spezialist*innen, die die Entscheidung der Plattformbetreiber rechtlich bewerten, gegebenenfalls rückgängig machen und Täter*innen verurteilen können. Durch die digitale Öffentlichkeit, die die Verbreitung von Hasskommentaren, falschen Informationen oder gezielter Desinformation innerhalb kürzester Zeit ermöglicht, braucht es eine ebenso schnelle Reaktionsfähigkeit von Seiten der Justiz. Das erfordert spezialisierte Staatsanwaltschaften und Richter*innen.
Derzeit gehen die Staaten alle auf ihre eigene Weise mit dem Problem um. Doch das Internet macht bekanntlich nicht an nationalen Grenzen halt. Es braucht daher internationale Abkommen, die das Teilen von Best Practice vereinfachen, gemeinsame Regeln für Plattformbetreiber festlegen und die Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden verbessern.
Unsere Demokratie ist nicht in Gefahr, nur weil sich durch die Digitalisierung unsere Öffentlichkeit wandelt. Aber es kommt nun darauf an, dass die Politik darauf reagiert und in demokratischen Entscheidungsprozessen dafür sorgt, dass die Bürger*innen sich unabhängig informieren und sich eine Meinung bilden können.
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